Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Juli 2013: NSA-Spähprogramm "XKeyscore" – Gefährlicher Safe Harbor – Anspruchsvolle Advokaten

22.07.2013

BND, BfV und NSA verstehen sich doch ganz gut und Merkel plant ein Zusatzabkommen zum UN-Bürgerrechts-Pakt. Ein Genehmigungsverfahren für Datenserver nach Vorbild des Umweltrechts könnte vielleicht auch helfen. Außerdem in der Presseschau: Safe-Harbor-Abkommen auf dem Prüfstand, das neue Anwaltsdasein, Braunkohletagebau vorm BVerfG und das männliche Pseudonym von Joanne K. Rowling.

BND + BfV + NSA: Der Spiegel (R. Pfister/L. Poitras/M. Rosenbach/J. Schindler/H. Stark, Zusammenfassung auf spiegel.de) widmet sich dem NSA-Skandal und exklusiven Geheimpapieren, die eine engere als bislang bekannte Zusammenarbeit deutscher Behörden - Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV), Bundesnachrichtendienst (BND) sowie Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik - mit der NSA belegten. BfV und BND würden in den "top Secret"-Akten als "Schlüsselpartner" der Amerikaner bezeichnet, der neue BND-Chef Gerhard Schindler als "eifrig" gelobt. Noch im April dieses Jahres  habe es ein Treffen von BNDlern mit der NSA gegeben, um Methoden zur besseren "Datenbeschaffung" zu besprechen. Auch wolle der BND auf die Bundesregierung einwirken, um auf lange Sicht eine "laxere" Auslegung der Datenschutzregeln zu erreichen und eine engere Geheimdiensteaustausch zu ermöglichen. Die Weitergabe von Daten aus der Überwachung nach den G-10-Gesetzen – bislang im BND noch umstritten - sei von Schindler erlaubt worden. Weiter informiert der Spiegel über das NSA-Spähprogramm "XKeyscore", mit welchem auch Kommunikationsinhalte erfasst werden könnten, also ein sogenannte "full take" möglich sei. Sowohl BND als auch BfV setzten diese Software laut Spiegel ein. Dazu auch spiegel.de (Veit Medick).

Die Montags-taz (Christian Rath) berichtet: Hans Georg Maaßen, Präsident des BfV, habe lediglich einen Test von "XKeyscore" eingeräumt. Weiter behaupte der BND-Präsident Schindler, im vergangenen Jahr seien lediglich "zwei einzelne personenbezogene Datensätze deutscher Staatsbürger" an die USA weiter gegeben worden. Separat findet sich in der Montags-taz (Christian Rath) ein Interview mit Michael Hartmann (SPD), Mitglied im parlamentarischen Kontrollgremium (PKG). Laut Hartmann sei die Zusammenarbeit des BND mit US-Diensten "generell kein Thema" im PKG gewesen. Zur Verteidigung des Informationsanspruches auch im NSA-Skandal schlägt er einen vom Gremium eingesetzten Ermittlungsbeauftragten vor; dies sei auch gesetzlich vorgesehen. Laut Montags-FAZ (Johannes Leithäuser) plane Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion und Vorsitzender des PKG, den Kanzleramtsminister Ronald Pofalla (CDU) im PKG zu befragen. Die Montags-SZ (Hans Leyendecker) stellt Gerhard Schindler vor. 

In einem Gastbeitrag für die Frankfurter Rundschau fordern Katrin Göring-Eckhardt und Jürgen Trittin, beide Grünen-Bundestagsabgeordnete, Konsequenzen, nicht nur mit Blick auf die NSA. Deutschland solle auf ein Vertragsverletzungsverfahren gegen Großbritannien drängen, deren "Späh-Programm" Tempora sei ebenso datengierig wie das US-amerikanische. Weiter sprechen sie sich für einen Ausbau des Schutzes aus Art. 10 Grundgesetz zu einem "Kommunikations- und Mediengeheimnis" aus. Im Feuilleton der Montags-FAZ befasst sich Georg Mascolo mit den (notwendigen) Folgen der NSA-Affäre. Dabei stellt er den Vorschlag des Ex-BND-Chefs Hansjörg Geiger vor, der für einen "Kodex für korrektes nachrichtendienstliches Arbeiten" (Intelligence Kodex) plädiere, der regele, was zulässig ist. Solche Vereinbarungen gebe es zwischen den USA, Großbritannien, Neuseeland, Australien und Kanada. Christian Rath (Montags-taz) kommentiert unter dem Titel "Regierungsgeheimdienste", es sei viel naheliegender, dass die Bundesregierung alles gewusst habe, als dass sie an der Nase herum geführt wurde. 

Rechtsrahmen für Datenserver: Reichen die Mittel des Rechts aus, um dem "digitalen Zerfall" des Staates entgegen zu treten?, fragt sich Thomas Darnstädt (Der Spiegel). Ein "Update für die digitalisierte Gesellschaft" hat der Leviathan-Vertrag, aus dem sich der Deal moderner Staaten - "Schutz gegen Loyalität" – ergab, zwar vor drei Jahren vom Bundesverfassungsgericht erhalten. Es übertrug dem Staat die Verantwortung, aktiv vor Ausforschungen der Bürger zu schützen. Aber: Die Regierung hat es "ignoriert", dem Recht fehlten einfach allzu oft die Worte. Darnstädt erläutert einen Ansatz vergleichbar mit der Umwelt-Rechtsordnung, um der Aushöhlung des staatlichen Schutzes entgegen zu treten: Es bedürfe eines Ansetzens an der Gefahrenquelle, nicht erst beim angezapften Glasfaserkabel. So müssten etwa Datenserver "als gefährliche Anlage" einem Genehmigungs- und Überwachungsverfahren unterworfen werden, so wie auch ein Braunkohlekraftwerk. Dieses Datenschutzregime würden dann eben auch staatliche und ausländische Anlagen treffen, auch die der Geheimdienste.

Merkel-Interview/UN-Bürgerrechtspakt und Vorratsdatenspeicherung: Mit der Welt am Sonntag (Robin Alexander/Jochen Gaugele) spricht Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) über ihre Beziehung zur DDR, über Freiheit und Gerechtigkeit, warum ein Vergleich zwischen NSA- Aktivitäten und DDR-Spionage sie empört und ihre Verantwortung dafür, dass in Deutschland deutsche Gesetze eingehalten werden. Merkel betont die Wichtigkeit der geplanten EU-Datenschutzgrundverordnung und erläutert die Idee, dem UN-Pakt über bürgerliche und politische Rechte, speziell dessen Art. 17 zum Schutz der Privatsphäre, ein Zusatzprotokoll hinzuzufügen mit einem "Bekenntnis zu zeitgemäßem und weitreichendem Datenschutz". In Sachen Vorratsdatenspeicherung könne sie sich zwar eine Begrenzung der Speicherpflicht auf drei Monate vorstellen, nun solle aber erst einmal die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes zur Richtlinie abgewartet werden.

Verwaltungsabkommen zu US-Abhörrechten: Wie die Samstags-SZ (Daniel Brössler, Zusammenfassung auf sueddeutsche.de) berichtet, habe Bundeskanzlerin Merkel angekündigt, die Verwaltungsvereinbarungen von 1968 aufzuheben, die den USA ein Recht einräume, "unter bestimmten Voraussetzungen" Telekommunikation in Deutschland abzuhören.

Weitere Themen – Rechtspolitik

NSA und das Grundgesetz: Im Wochenendteil der SZ empört sich Heribert Prantl vor dem Hintergrund des NSA-Skandals ganzseitig über die Untergrabung des "Bodens des Grundgesetzes" und die Missachtung der darauf gewachsenen Grundrechte. Die US-Schleppnetzüberwachung sei der "GAU" für das allgemeine Persönlichkeitsrecht: Die "Größte Anzunehmende Überwachung". Wenn der deutsche Staat den Schutz der Grundrechte nicht mehr garantieren könne oder wolle, dann "handelt es sich um einen Fall von Staatsnotstand". Es gehe eben nicht um Sensibilitäten, sondern um den "Kern von Demokratie und Rechtsstaat".

"Big Data, Big Friedrich": Die ehemalige Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) plädiert in der Montags-SZ für einen "180-Grad-Wende der Politik" zum "Schutz der Bürgergesellschaft und -freiheiten". Ein Skandal sei es, wie die Bundesregierung derzeit (nicht) agiere, so etwa der fehlende Widerspruch der Kanzlerin, nachdem Bundesinnenminister Friedrich (CSU) ein "Supergrundrecht Sicherheit" ausrief. Auch müsse der politische Satz "Datenschutz ist Täterschutz" gestrichen werden.

SPD und Vorratsdatenspeicherung: In der Samstags-FAZ sprechen sich Gesche Joost, Designprofessorin, und Thomas Oppermann, parlamentarischer Geschäftsführer der SPD-Bundestagsfraktion, "im Zweifel für die Freiheit" aus: Die Totalüberwachung müsse gestoppt werden, es brauche einen einheitlichen EU-Datenschutz – dabei dürfe die Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung "keinen Bestand" mehr haben - und es müsse ein "Völkerrecht des Netzes" entwickelt werden.

Safe-Harbor Abkommen auf Prüfstand/ Minister in Litauen: Laut Samstags-FAZ (Nikolas Busse) will EU-Justizkommissarin Viviane Reding das zwischen der EU-Kommission und den USA geschlossene Abkommen über einen "sicheren Hafen" (safe harbor) überprüfen. Das Abkommen regele die Weitergabe personenbezogener Daten durch in der EU tätige US-amerikanische Unternehmen, die gegenüber ihrer Handelskommission (Federal Trade Commission) Selbstverpflichtungen abgeben, woraufhin ihr Datenschutzniveau von der EU anerkannt werde. Problematisch sei, dass die Selbstverpflichtung nur gegenüber der FTC abgegeben werde und es keine Rechtsschutzmöglichkeiten für EU-Bürger vor einer Datenweitergabe gebe.

Auch die Samstags-SZ (Javier Cáceres) berichtet vom Treffen der EU-Justizminister in Litauen, wo Reding ihre Pläne verkündete. Weiter sei es auch um eine möglichst schnelle Umsetzung der Pläne für die EU-Datenschutzreform gegangen. "EU macht Tempo beim internationalen Datenschutz" meldet auch die Samstags-Welt (Florian Eder). Dies zeige sich etwa an der Teilnahme am informellen Treffen von Bundesinnenminister Friedrich (CSU) und Bundesjustizministerin Leutheusser-Schnarrenberger (FDP), die das Jahr 2014 als "Zieldatum" für die neuen EU-Datenschutzregelungen nannte. Zusammen mit der französischen Justizministerin Christiane Taubira habe sie in einer Erklärung eine enge Begrenzung und starke Kontrolle des Zugangs zu persönlichen Daten durch ausländische öffentliche Stellen gefordert.

BMJ-Papier zur Unterbringungs-Reform: "Lehren aus dem Fall Mollath oder Wahlkampfpropaganda?" fragt sich Constantin Baron van Lijnden (lto.de) angesichts des neuen Eckpunktepapiers zum Unterbringungsrecht aus dem Bundesjustizministerium. Dies sehe u.a. eine neue Differenzierung nach den bedrohten Schutzgüter vor und eine engmaschigere Überprüfung der Maßnahme, getragen jeweils von (neuen) Sachverständigengutachten. Thomas Ullenbruch, Amtsrichter und Rechtswissenschaftler, sehe ein großes Problem bei der Anreizstruktur für die Sachverständigen, auch gebe es nicht genügend Sachverständige für die vielen tausend Untergebrachten.

Presserecht - Neuzuschnitt Informationsfreiheitsgesetz: Um die Informationsrechte der Presse gegenüber Bundesbehörden ist es schlecht bestellt, befindet Jost Müller-Neuhof (Sonntags-Tagesspiegel). Zur Bestandsaufnahme verweist Müller-Neuhof auf ein Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, wonach Auskunftsansprüche aus den Landes-Pressegesetzen nicht auf Bundesbehörden Anwendung finden und auf das Bundesinnenministerium, das auf diese Rechtsansicht hingewirkt habe. Eine Neuordnung der Presserechte solle durch einen Neuzuschnitt des Informationsfreiheitsgesetzes erfolgen, das Bürgern schon jetzt einen schnelleren Aktenzugang beim Bund ermögliche, als Journalisten.

Bahr zu Impfzwang: Im Gespräch mit der FAS (Eckart Lohse) erläutert Daniel Bahr (FDP), Bundesgesundheitsminister, dass der Impfstatus mit Blick auf Masern künftig bereits bei Kita- oder Kindergarten-Eintritt abgefragt werden. Ungeimpfte Kinder sollen vom Schulunterricht ausgeschlossen werden, sobald ein Masern-Fall in ihrer Schule auftrete. Bahr hoffe, auch ohne Zwang die Masern in den nächsten Jahren ausrotten zu können, ansonsten müsse aber eine Impfpflicht her.

Mieten und Makler in den Wahlprogrammen: In Teil 1 einer Serie zu den Wahlprogramme der Parteien für die Bundestagswahl befasst sich lto.de (Claudia Kornmeier) mit den Plänen von SPD, Grünen und der Linken, Maklergebühren von demjenigen zahlen zu lassen, der den Makler bestellt hat. Weiter geht es um eine bei allen großen Parteien, außer der FDP, geplanten Mietpreisdeckelung bei der Weitervermietung von Wohnraum. Diese könne etwa ein Eingriff in die Eigentumsfreiheit sein.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 20. bis 22. Juli 2013: NSA-Spähprogramm "XKeyscore" – Gefährlicher Safe Harbor – Anspruchsvolle Advokaten . In: Legal Tribune Online, 22.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9184/ (abgerufen am: 18.05.2024 )

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