Die juristische Presseschau vom 25. Juli 2023: Israe­li­sche Jus­tiz­re­form sch­reitet voran / Bun­des­re­gie­rung gegen Finanz­kri­mi­na­lität / Bayern gegen Fi­nanz­aus­g­leich

25.07.2023

Die Knesset hat einen Teil der umstrittenen Justizreform beschlossen. Die Bundesregierung will ein Bundesamt zur Bekämpfung der Finanzkriminalität einrichten. Bayern klagt beim BVerfG gegen Ausgestaltung des Länderfinanzausgleichs.

Thema des Tages

Israel – Justizreform: Das israelische Parlament hat ein Kernelement der umstrittenen Justizreform beschlossen. Dem Obersten Gericht wurde durch Gesetz die Möglichkeit entzogen, Entscheidungen der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" einzustufen. Regierungschef Benjamin Netanjahu sagte: Dies ermögliche der gewählten Führung das Regieren im Sinne der Mehrheit der Bürger. Die Erfüllung des Wählerwillens sei "das Wesen der Demokratie" – und nicht ihr Ende. Kritiker:innen befürchten, dass die Beschränkung des Obersten Gerichts die Besetzung wichtiger Posten mit Vorbestraften und Extremist:innen begünstigt. Die Entscheidung wurde mit 64 von 120 Stimmen getroffen, nachdem die Opposition die Abstimmung boykottiert hatte. Das beschlossene Gesetz ist Teil eines umfangreichen Maßnahmenpakets und soll durch mehrere Petitionen nun dem Höchsten Gericht selbst zur Überprüfung vorgelegt werden. FAZ (Christian Meier), spiegel.de, HBl und LTO berichten. 

Laut Alexander Haneke (FAZ) gibt es vernünftige juristische Argumente für die Einschränkungen des Höchsten Gerichts. Dieses habe sich über den Begriff der "Angemessenheit" immer wieder in Kernbereiche der Exekutive eingemischt. Da Ministerpräsident Netanjahu mittlerweile aber "zur Geisel seiner ultrarechten Koalitionspartner" geworden sei, seien "die wirklich weitreichenden Teile" der Justizreform erst noch zu erwarten. Alexandra Föderl-Schmid (SZ) hält die Demokratie in Israel durch die Justizreform für "nachhaltig beschädigt." Interessen einzelner Regierungsmitglieder seien über das Gemeinwohl gestellt worden, kritisiert die Autorin. 

Rechtspolitik

Finanzkriminalität/Geldwäsche: Das Bundesfinanzministerium hat einen Gesetzesentwurf zur Neuordnung der Bekämpfung von Finanzkriminalität vorgestellt. Wie das HBl berichtet, soll mit dem "Bundesamt zur Bekämpfung von Finanzkriminalität" (BBF) eine neue Behörde eingerichtet werden, in der die "Financial Intelligence Unit" (FIU) und die "Zentralstelle für Sanktionsdurchsetzung"(ZfS) vereint werden sollen. Die Zusammenlegung ist auch eine Reaktion auf die zuletzt kritisierte mangelhafte Effizienz der FIU. 

Justzisenatorin Badenberg im Interview: Mit LTO (Hasso Suliak) spricht die parteilose Berliner Justizsenatorin Felor Badenberg über Klimaproteste der letzten Generation, die Verurteilung in beschleunigten Verfahren, die Bekämpfung von Rechtsextremismus, Clankriminalität, den Schwarzfahrtatbestand und mögliche Cannabis-Modellprojekte in Berlin. Auch als Justizsenatorin wolle die ehemalige Vizepräsiedentin des Bundesamtes für Verfassungsschutz "Akzente gegen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit" setzen. Ein konkreter Ansatz ist dabei der Plan Badenbergs, Verfassungsfeinde nicht mehr zum juristischen Vorbereitungsdienst zuzulassen. 

Cannabis: Das Bundesgesundheitsministerium hat Fragen der Unionsfraktion zu den geplanten Cannabis-Anbauvereinigungen (die die Union "Cannabis Social Clubs" nennt) beantwortet. Die Union befürchtet, dass Konsument:innen Mitglieder in mehreren unterschiedlichen Clubs werden, um den erlaubten maximalen Ankauf von 50 Gramm pro Monat (30 g/m bei Heranwachsenden) mehrfach ausnutzen zu  können. Die Bundesregierung verweist auf Stichprobenkontrollen der Landesbehörden. Eine zentrale Registrierung der Vereinsmitgliedschaft sei nicht vorgesehen. LTO (Hasso Suliak) berichtet. 

Asyl: Die Politikprofessorin Petra Bendel und der Wissenschaftliche Mitarbeiter Marcus Engler kritisieren in der FAZ, die Forderung des CDU-Innenpolitikers Thorsten Frei, das Individualrecht auf Asyl abzuschaffen. Dies sei nicht erforderlich, wenn man besonders vulnerablen Gruppen durch die Aufnahme von Kontingenten helfen wolle. Resettlementprogramme seien heute schon möglich. 

Wertpapierhandel: Die Europäische Union möchte den sogenannten "Pay for Order Flow"-Vergütungsmechanismus (PFOF) regulieren, mit dem sich führende Neobroker zum Großteil finanzieren. Das Verfahren führe häufig zu Interessenkonflikten der Neobroker mit ihren Kunden schreibt der wissenschaftliche Mitarbeiter Robin Misterek auf LTO. Laut dem Autor könnte sich das geplante Verbot aber aufgrund von unterschiedlichen Situationen in den Mitgliedsstaaten "als undifferenziert und überstürzt erweisen". Ein Ende der Neobroker sei deshalb nicht in Sicht. 

Justiz

BVerfG – Länderfinanzausgleich: Vor der anstehenden Landtagswahl klagt Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht gegen den Länderfinanzausgleich. Bayern sei mit Abstand das größte Geberland. Von 18,5 Milliarden Euro, die umverteilt werden, zahle Bayern fast 9,9 Milliarden Euro ein. Das sei ungerecht. Verhandlungen mit den elf Geberländern seien aussichtslos. beck-aktuell berichtet. 

BFH – Ausländische Betriebsorte: Über Urteile des Bundesfinanzhofs von März und April zur Berücksichtigung finaler Verluste bei ausländischen Betriebsstätten berichtet das HBl (Robert Ullmann). Durch die Rechtsprechung erhärte sich die "Symmetriethese", die besagt, dass Gewinne und Verluste ausländischer Betriebsstätten nach der genau gleichen Besteuerungsdogmatik behandelt werden. Diese Rechtsprechung sei ungünstig für deutsche Unternehmen, sorge aber für Rechtssicherheit. 

OLG Frankfurt/M. – Untersuchungshaft: Das Oberlandesgericht Frankfurt/M. hat entschieden, dass fünf Angeschuldigte trotz dingenden Tatverdachts wegen zu später Terminierung des Hauptverfahrens am Landgericht Frankfurt/M. aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Das Gericht hob die zunächst nur ausgesetzten Haftbefehle wegen eines Verstoßes gegen das Beschleunigungsgebot auf. Zuvor hatte es Unstimmigkeiten zu einer möglichen Überlastung der LG-Kammer gegeben. Diese dürften nicht zu Lasten der Angeschuldigten gehen, berichtet beck-aktuell .

VG Berlin – Cannabis und E-Scooter: Das Verwaltungsgericht Berlin hat entschieden, dass infolge einer Schlangenlinien-Fahrt mit einem E-Scooter und dem eingeräumten Konsum von Cannabis ein medizinisch psychologisches Gutachten (MPU) verlangt und bei Nichteinreichung die Fahrerlaubnis entzogen werden kann. Es berichten spiegel.de und LTO

AG Frankfurt/M. – Zübeyde Feldmann: Das Amtsgericht Frankfurt/NM. hat Zübeyde Feldmann, die Ehefrau des ehemaligen Frankfurter Oberbürgermeisters Peter Feldmann, wegen Beihilfe zur Untreue zu einer Geldstrafe von 100 Tagessätzen zu je 30 Euro verurteilt. Zübeyde Feldmann hatte von November 2014 bis April 2017 Gehalt in Höhe von 13.500 Euro in einem Minijob bei der Wiesbadener Arbeiterwohlfahrt (AWO) bekommen, ohne hierfür tatsächlich gearbeitet zu haben. Wie die FAZ (Kim Maurus) berichtet, wurden zudem 10.800 Euro des Gehalts eingezogen. Einen parallel bestehenden Arbeitsvertrag als Kinderpflegerin, ebenfalls bei der AWO, erfüllte Feldmann.

AG München – Eigentum an Haustier: Die ehemalige Besitzerin eines Hundes, die diesen in die Obhut von Bekannten gegeben hatte, kann den Hund wieder herausverlangen, entschied das Amtsgericht München. Der Rüde sei nicht dadurch übereignet worden, dass die damalige Eigentümerin den Hund zeitweise ihren Bekannten übergeben hatte. Hierzu fehle es laut Gericht an einem nachweisbaren rechtsverbindlichen Erklärungswillen der Frau. Weiter sei auch ein Eigentumsverlust infolge von Dereliktion nicht gegeben, da der Frau das Schicksal des Hundes nicht gleichgültig gewesen sei. LTO berichtet. 

FG Münster – Jahresbericht: Das Finanzgericht Münster hat seinen Jahresbericht 2021/2022 vorgelegt. Danach stieg die durchschnittliche Dauer bei erledigten Klageverfahren von 15,8 Monate auf 16,6 Monate an. Das Hbl (Michael Stahlschmidt) berichtet. 

Beschleunigte Verfahren: Über beschleunigte Verfahren in der Praxis berichtet die Welt (Kristian Frigelj) und begleitet einen Kölner Amtsrichter bei mehreren solcher Verfahren im Alltag. Die von CDU-Generalsekretär Carsten Linnemann geforderte Aburteilung von Gewaltkriminalität am Tag der Straftat sei laut erfahrenen Juristen organisatorisch nicht möglich.

Recht in der Welt

Russland – LGBTQ: Der russische Präsident Wladimir Putin hat ein Gesetz unterzeichnet, das die Rechte der LGBTQ-Community, insbesondere von Trans-Personen, einschränkt. Neben einem Verbot von chirurgischen oder hormonellen Geschlechtsumwandlungen kommt es zur Annullierung von Ehen, in denen ein Partner sich einer Geschlechtsumwandlung unterzogen hat. Auch ist es Trans-Personen nicht mehr erlaubt, Pflege- oder Adoptivelternschaften zu übernehmen, spiegel.de berichtet.

Großbritannien - Anleger-Klimaklagen: Nun berichtet auch spiegel.de über die gescheiterte Klage der Klimaschutzorganisation ClientEarth gegen den Vorstand des Shell-Konzerns. ClientEarth hatte nach dem Erwerb von Shell-Aktien versucht, durch eine Aktionärsklage vor dem High Court gegen den Vorstand des Konzerns wegen mangelnden Kilmaschutzes vorzugehen. 

USA – Donald Trump: Die SZ (Fabian Fellmann) portraitiert den US-Sonderermittler Jack Smith, der gegen den ehemaligen US-Präsidenten Donald Trump im Juni wegen des Aufbewahrens von Geheimakten in seinem Anwesen Anklage erhoben hat und wegen des Sturms auf das US-Kapitol vom 6. Januar 2021 gegen diesen ermittelt. Smith habe "den Ruf eines effizienten und zielstrebigen Strafverfolgers" und sei parteipolitisch unabhängig.  

Schweden – Greta Thunberg: Klimaaktivistin Greta Thunberg muss wegen "Ungehorsams gegen die Ordnungsmacht" eine Geldstrafe von umgerechnet 130 Euro zahlen. Dies entschied das Amtsgericht Malmö, wie FAZ und taz (Reinhard Wolff) berichten. Thunberg hatte am 19. Juni 2023 bei einem Klimaprotest im Ölhafen von Malmö die Zufahrt für Tanklastwagen blockiert. Ihre Berufung auf einen Klimanotstand wurde nicht akkzeptiert.

Sonstiges

Arbeit in Großkanzlei: zeit.de (Martina Kix) veröffentlicht mehrere Erfahrungsberichte junger Juristinnen und Juristen, die in einer Großkanzlei gearbeitet haben und von ihrem Alltag dort erzählen. Themen sind unter anderem die hohen Einstiegsgehälter und die hohe Belastung bei der Arbeit. 

Reiserecht: Welche Rechte Reisende infolge der Waldbrände auf der griechischen Insel Rhodos haben, beleuchtet die FAZ (Timo Kotowski). Ein grundsätzliches Rücktrittrecht gebe es nicht. Es sei außerdem zwischen Pauschal- und Nichtpauschalreisenden zu unterscheiden. Letzteren stehen weniger Rechte zur Verfügung, während Pauschalreisende unter Umständen ein gesetzliches Rücktrittsrecht haben.

Rechtsgeschichte - DDR-Prozess gegen Spion: Über den damaligen Prozess vor dem Bezirksgericht Cottbus gegen den ehemaligen Leutnant der Kasernierten Volkspolizei Christian Lange-Werner berichtet die FAZ (Helmut Müller-Enbergs). Nachdem das Ministerium für Staatssicherheit der DDR (MfS) Lange-Werner 1953 neben sieben weiteren Personen verhaftet hatte, wurde er 1954 in einem "Schauprozess" wegen seiner nachrichtendienstlichen Arbeit für die USA und die Organisation Gehlen zum Tode verurteilt.

 

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Morgen erscheint eine neue LTO-Presseschau.

LTO/lkh/chr

(Hinweis für Journalist:innen)  

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Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 25. Juli 2023: Israelische Justizreform schreitet voran / Bundesregierung gegen Finanzkriminalität / Bayern gegen Finanzausgleich . In: Legal Tribune Online, 25.07.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52328/ (abgerufen am: 19.05.2024 )

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