Grenzstreit zwischen Deutschland und EU-Kommission: Mahn­brief aus Brüssel - doch keine Ein­sicht in Berlin

23.02.2021

Der Ton wird schärfer. Die EU-Kommission fordert im Grenzstreit mit Deutschland innerhalb von zehn Werktagen Erklärungen - und sie verlangt mehr Ausnahmen. An der Bundesregierung perlt das jedoch ab.

Der Streit zwischen Deutschland und der EU-Kommission um die verschärften Einreiseregeln wegen der Coronapandemie spitzt sich zu. Während die Brüsseler Behörde in einem Beschwerdebrief Änderungen fordert, will Deutschland die Grenzkontrollen an den Übergängen zu Tschechien und dem österreichischen Bundesland Tirol bis zum 3. März verlängern. Zugleich wies man die Kritik aus Brüssel entschieden zurück.

Deutschland hatte Tschechien, die Slowakei und weite Teile Tirols Mitte Februar zu sogenannten Virusvariantengebieten erklärt und damit die Freizügigkeit des Binnenmarkts teilweise außer Kraft gesetzt. Von dort dürfen aktuell nur noch Deutsche sowie Ausländer mit Wohnsitz und Aufenthaltserlaubnis in Deutschland einreisen. Ausnahmen gibt es unter anderem für Lastwagenfahrer und Grenzgänger mit systemrelevanten Berufen. Sie müssen einen negativen Corona-Test vorlegen, der nicht älter als 48 Stunden sein darf. Die Regeln waren zunächst für zehn Tage eingeführt worden.

Die EU-Kommission sieht aufgrund diverser Alleingänge jedoch die Bewegungsfreiheit und damit den Warenfluss im Schengen-Raum gefährdet. Deshalb schickte sie am Montag Beschwerdebriefe an Deutschland sowie Belgien, Dänemark, Schweden, Finnland und Ungarn. Mehrere Vorgaben seien unverhältnismäßig oder unbegründet, heißt es in dem Schreiben an den deutschen EU-Botschafter in Brüssel, Michael Clauß, das der Deutschen Presse-Agentur (dpa) vorliegt. "Wir glauben, dass das nachvollziehbare Ziel Deutschlands - der Schutz der öffentlichen Gesundheit in einer Pandemie - durch weniger restriktive Maßnahmen erreicht werden könnte."

Die EU-Kommission erwartet nun innerhalb von zehn Werktagen eine Antwort. Theoretisch könnte sie ein rechtliches Verfahren gegen Deutschland einleiten, dies gilt wegen der andauernden Pandemie aber als unwahrscheinlich.

Seehofer: "schönes Zusammenspiel Europas"

Die EU-Kommission hatte sich in den vergangenen Tagen mehrfach kritisch über die deutschen Maßnahmen geäußert, was Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) stets brüsk zurückwies. Grundlage der Bedenken aus Brüssel ist, dass die EU-Staaten sich vor einigen Wochen auf gemeinsame Empfehlungen für das Reisen innerhalb der EU geeinigt hatten. Diese basieren auf einer Europakarte, auf der Regionen anhand gemeinsamer Kriterien farblich markiert werden. Daran sollten sich nach Ansicht der EU-Kommission alle halten. Auch die Europaminister der EU-Staaten wollten am Dienstag über die Reiseregeln beraten.

EU-Staatsminister Michael Roth wies die Kritik der EU-Kommission am Dienstag zurück. Was man getan habe, stehe im Einklang mit dem Schengener Übereinkommen, sagte der SPD-Politiker. Die Entscheidung sei der Bundesregierung sehr schwer gefallen. "Aber wir stehen in der Verpflichtung, gegenüber einer Virusmutation so aufzutreten, dass der Schutz unserer Bürgerinnen und Bürger oberste Priorität genießt." Im Schengen-Raum, dem 26 europäische Länder angehören, gibt es eigentlich keine stationären Grenzkontrollen. In besonderen Gefahrenlagen sind allerdings Ausnahmen möglich.

Seehofer sagte am Dienstag: "Wir haben keinen einzigen Grenzübergang geschlossen." Das sei anders als noch bei der letzten Runde coronabedingter Kontrollen. Tschechen, Österreicher, Slowaken und Italiener hätten ihrerseits Teststationen eingerichtet, um größere Rückstaus zu verhindern, "so dass das ein schönes Zusammenspiel Europas ist".

Kommission unzufrieden mit Ausnahmen

Der Minister betonte, es gehe nur um Mutationsgebiete. "Vielleicht sind wir mal noch froh, dass wir das gemacht haben." Man könne nicht den Menschen in Deutschland große Einschränkungen auferlegen und dann "mutierte Viren ungebremst" ins Land lassen. Mit Blick auf die angespannte Corona-Lage im französischen Département Moselle berät eine Taskforce, die Seehofer zufolge am Mittwoch dem Kabinett berichten soll.

Die EU-Kommission führt in ihrem vierseitigen Schreiben detailliert auf, welche deutschen Maßnahmen sie für unangemessen hält. Dabei stellt sie auch die Einordnung Tschechiens und der Slowakei als Virusvariantengebiete infrage: In beiden Ländern seien nach Angaben der EU-Gesundheitsbehörde ECDC bislang nur wenige Fälle der britischen Virusvariante entdeckt worden.

Auch mit den Ausnahmen ist die EU-Kommission unzufrieden. Unter anderem gebe es für grenzüberschreitend lebende Familien keine Ausnahme. Ebenso kritisiert die Behörde die Vorgaben für Lkw-Fahrer. Diese müssten auch dann einen höchstens 48 Stunden alten Corona-Test vorlegen, wenn sie die Variantengebiete nur durchquert hätten. Die Empfehlungen der EU-Staaten sähen hingegen vor, dass Verkehrsarbeiter in der Regel gar keinen Test machen müssen - und wenn doch, solle es ein Schnelltest sein. Die 48-Stunden-Regel ermögliche es zudem, sich in Polen, Italien oder Slowenien testen zu lassen, durch ein Virusvariantengebiet zu fahren und dann nach Deutschland einzureisen.

EU-Kommissionsvize Margaritis Schinas spielte den Konflikt am Dienstag herunter. "Wir sehen Bewegung bei der deutschen Regierung, um zu einem Konsens zu kommen", sagte er der dpa. "Ich bin sicher, dass eine Art gemeinsames Verständnis entstehen wird."

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Grenzstreit zwischen Deutschland und EU-Kommission: Mahnbrief aus Brüssel - doch keine Einsicht in Berlin . In: Legal Tribune Online, 23.02.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/44340/ (abgerufen am: 27.03.2024 )

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