Entscheidungsgründe im Fall des Familienrichters: "Schwer­wie­gender Ver­stoß gegen die Rechtspf­lege"

von Tanja Podolski

09.02.2023

Mehrere Verstöße gegen Verfassungs- und Verfahrensprinzipien: Laut den Entscheidungsründen geht das Thüringer Richterdienstgericht davon aus, dass ein Familienrichter aus Weimar nicht wieder Recht sprechen wird.

Der Familienrichter am Amtsgericht (AG) in Weimar habe "bewusst und schwerwiegend" gegen die Rechtspflege verstoßen. Dabei habe er "lange geplant und überlegt" gehandelt, davon ist das Dienstgericht für Richter und Staatsanwälte am Landgericht (LG) Meiningen überzeugt.

Die Wahrscheinlichkeit sei groß, dass er seinen Richterstatus schon kraft Gesetzes wegen der im Strafverfahren zu erwartenden Strafe verliert. Und darauf käme es nicht einmal an: Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit in die Amtsführung des Richters sei so "unheilbar zerstört", dass als Disziplinarmaßnahme nur die Entfernung aus dem Dienst in Betracht komme, heißt es in den Entscheidungsgründen, die LTO nun vorliegen (Beschl. v. 19.01.2023, Az. DG 1/22).

Rückblick: Demonstrationen und Ermittlungen

Der betroffene Richter war am AG Weimar für Familiensachen zuständig. Der Mann hatte im April 2021, als an den Schulen auch in Thüringen Maskenpflicht, Abstandsgebot und die Pflicht zu Selbsttests bestand, mit dem Hinweis auf die Gefährdung des Kindeswohls, § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB), für alle Schüler:innen an zwei Schulen die Maßnahmen aufgehoben. Zugleich hatte er den Lehrer:innen untersagt, die Maßnahmen durchzusetzen (Beschl. v. 08.04.2021, Az. 9 F 148/21).

In der Folge hat sich das Thüringer Ministerium für Bildung, Jugend und Sport eingeschaltet, das Oberlandesgericht in Jena hatte die Entscheidung im Eilverfahren aufgehoben. Es folgten massive Demonstrationen von Querdenkern vor dem Gericht in Weimar.

Außerdem nahm die Staatsanwaltschaft Erfurt Ermittlungen auf - es gab Durchsuchungen auch im Gericht – und erhob schließlich am 17. Mai 2022 Anklage  wegen Rechtsbeugung, die inzwischen mit Beschluss vom 04. August 2022 auch zugelassen und das Hauptverfahren eröffnet ist (Az. 2 KLs 542 Js 11498/21). Ein Termin für die Hauptverhandlung ist jedoch noch immer nicht angesetzt. Das zuständige LG Erfurt nennt dringende Haftsachen als Grund.

Zwischenzeitlich leitete die Präsidentin des LG Erfurt mit Verfügung vom 02. August 2021 gegen den Richter ein Disziplinarverfahren ein, der Freistaat Thüringen strengte das Verfahren vor dem Thüringer Richterdienstgericht beim LG Meiningen an. Das Disziplinarverfahren ist derweil wieder ausgesetzt.

Mit Beschluss vom 19.01.2023 suspendierte das Richterdienstgericht den Familienrichter dann vorläufig vom Dienst und kürzte die Bezüge um 25 Prozent. Gegen die Entscheidung legte der Richter mit seinem Verteidiger Gerhard Strate wie angekündigt bereits Beschwerde ein. Strate hat bereits betont, dass er die Beschlagnahme der Beweismittel für rechtswidrig hält.

"Lange und überlegt" gehandelt

Doch auf die stützen sich die Anklage und damit auch die Entscheidung des Richterdienstgerichts. Denn fest steht: Der Richter hat sich eine Zuständigkeit angemaßt, für Rechtmittel gegen Entscheidungen von Behörden sind die Verwaltungsgerichts zuständig, ein Amtsrichter darf dabei nicht tätig werden. Doch er könnte ja auch einfach einen Fehler gemacht haben, dafür gib es den Begriff des so genannten Augenblicksversagens. Das aber sei hier nicht der Fall, beurteilte das Richterdienstgericht. Vielmehr habe der Familienrichter "lange und überlegt" gehandelt.

Der Mann habe Anregungsschreiben nach § 1666 BGB mit entwickelt, heißt es in den Entscheidungsgründen, habe dazu mögliche Antragsteller gesucht und soll in die Gründung einer entsprechenden Gruppierung involviert gewesen sein. Einer Veranstaltung dazu soll er nur nicht beigewohnt haben, um sich "kein Befangenheitsproblem einzuhandeln". So jedenfalls soll es in einer WhatsApp-Nachricht heißen. Es wäre daher zwingend gewesen, dass er seine Befangenheit mitteilt, dessen sei er sich auch bewusst gewesen.

Ein Richter müsse in seinen Entscheidungen "nicht beteiligter Dritter" sein, müsse Neutralität und Distanz haben - das sei hier nicht mehr der Fall gewesen.

Kammer müsste nicht prüfen, tut es aber

Das Richterdienstgericht sieht in dem Verhalten des Richters nicht nur einen Verstoß gegen das Neutralitätsgebot und gegen die Grenzen der richterlichen Zuständigkeit. Er habe auch gegen das Gebot des gesetzlichen Richters aus Art. 101 Grundgesetz (GG) verstoßen, indem er den Beschluss nicht nur gegenüber den beteiligten Kindern, sondern für alle Schüler:innen, Lehrer:innen und Leitungen aussprach. Das sei zudem ein Verstoß gegen das Gebot des rechtlichen Gehörs und ein Eingriff in das Gewaltenteilungsprinzip.

Die Kammer legt all dies in dem Beschluss dar – obwohl sie es nach eigener Einschätzung gar nicht müsste. Denn schon die Anklageerhebung gebe hinreichende Indizwirkung für eine "entfernungsvorbereitende Dienstenthebung" gem. §§ 83 Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 79 Thüringer Richter- und Staatsanwältegesetz (ThürRiStAG) i.V.m. § 42 Abs. 1 S. 1 Thüringer Dienstgesetz (ThürDG). Das Vertrauen des Dienstherrn und der Allgemeinheit sei so "unheilbar zerstört", dass als Disziplinarmaßnahme nur die Entfernung aus dem Dienst in Betracht komme. Wenn das der Fall ist, könne das Richtergericht die vorläufige Suspendierung beschließen.

Mildernde Umstände nicht ersichtlich

Das sei dann auch kein Verstoß gegen die Unschuldsvermutung und auch kein rechtswidriger Eingriff in die verfassungsmäßig garantierte Unabsetzbarkeit eines Richters auf Lebenszeit.

Für die Kammer hat der Familienrichter einen "bewussten und schwerwiegenden Verstoß gegen die Rechtspflege" begangen. Mildernde Umstände, um von dem Strafrahmen einer Freiheitsstrafe von einem Jahr wegen Rechtsbeugung abzuweichen, sah das Dienstgericht nicht.

Vielmehr erkannte es: "Eine bewusst falsche Entscheidung in der Sache, in Verbindung mit der willkürlichen Annahme seiner Zuständigkeit, die Ausweitung der Beschlussreichweite, gepaart mit der sachfremden Motivation (des Familienrichters) begründen daher zusammengefasst den hinreichenden Verdacht einer Rechtsbeugung".

Zitiervorschlag

Entscheidungsgründe im Fall des Familienrichters: "Schwerwiegender Verstoß gegen die Rechtspflege" . In: Legal Tribune Online, 09.02.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/51027/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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