OLG hebt Beschluss aus Weimar auf: Fami­li­en­richter war unzu­ständig

von Tanja Podolski

19.05.2021

Das OLG Jena hat den Beschluss eines Familienrichters in Weimar wegen Verfahrensfehlern aufgehoben. Der Richter hatte angestrebt, für alle Schüler an zwei Schulen die Maskenpflicht aufzuheben. 

Das Thüringer Oberlandesgericht (OLG) hat den Beschluss des Amtsgerichts (AG) Weimar aufgehoben und das einstweilige Verfügungsverfahren eingestellt. Da das Thüringer Bildungsministerium die Zuständigkeit gerügt hatte, hätte der Familienrichter gem. § 17a Abs. 3 S. 2 Gerichtsverfahrensgesetz (GVG) vorab über diese Frage entscheiden müssen. Er hatte sich jedoch erst innerhalb der Prüfung des Antrags für zuständig erklärt. Durch diesen Verfahrensfehler wurde – so teilte das OLG Thüringen mit – der Rechtsweg der sofortigen Beschwerde ohne Durchführung einer mündlichen Verhandlung zulässig.

Ein Familienrichter in Weimar hatte im April entschieden, dass alle an zwei Schulen in Weimar unterrichteten Kinder keine Masken tragen, keine Abstände einhalten und nicht an Schnelltests teilnehmen sollen (Beschl. v. 08.04.2021, Az. 9 F 148/21). Die Entscheidung sorgte für viel Kritik und Aufsehen, denn für die Überprüfung der Coronaverordnungen sind die Verwaltungsgerichte, nicht die Zivilgerichte zuständig.. Der Familienrichter hatte mit der Sicherung des Kindeswohls gem. § 1666 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) argumentiert. Auf rund 170 Seiten hatte der Richter ausgeführt, welche Gefahren er sieht und sich dabei auf fragwürdige Gutachten bezogen, aktuelle wissenschaftliche Erkenntnisse aber ignoriert.

§ 1666 BGB nicht einschlägig

Der Freistaat Thüringen hatte, vertreten durch das Schulministerium, gegen den Beschluss sofortige Beschwerde eingelegt. Daraufhin hat das OLG den Beschluss nun aufgehoben, den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und das Verfahren eingestellt (OLG Jena, Beschl. v. 14.05.2021 Az. Az. 1 UF 136/21). 

Es fehle an einer Regelungskompetenz des Familiengerichtes, zum Schutz der Kinder schulinterne Maßnahmen, wie die Anordnung zum Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes und die Abstandsregeln, außer Kraft zu setzen und die Rechtmäßigkeit der diesen Anordnungen zugrundeliegenden Vorschriften zu überprüfen, so das OLG. Im Rahmen des schulrechtlichen Sonderstatusverhältnisses seien die zuständigen Behörden an die das Kindeswohl schützenden Grundrechte gebunden. Die gerichtliche Kontrolle dieses Behördenhandelns - auch hinsichtlich von Gesundheitsschutzmaßnahmen in den jeweiligen Schulen - obliege allein den Verwaltungsgerichten. 

Eine Befugnis des Familiengerichts zum Erlass von Anordnungen zur Durchsetzung des Kindeswohls gegenüber Behörden bzw. Beamten dieser Behörden folge insbesondere nicht aus § 1666 Abs. 4 BGB. Behörden, Regierungen und sonstige Träger staatlicher Gewalt seien nämlich keine „Dritte“ im Sinne der Vorschrift, gegen die in Angelegenheiten der Personensorge Maßnahmen getroffen werden könnten.

Da eine Verweisung des von Amts wegen eingeleiteten Verfahrens an das Verwaltungsgericht nicht in Betracht kam, war die Entscheidung aufzuheben und das Verfahren einzustellen, so der Senat. Darüber hinaus hatte das VG Weimar einen eigenen Fall zu Maskenpflicht zu entscheiden und dabei sehr klare Worte zur Zuständigkeit gefunden.

"Ausbrechender Rechtsakt"

In Juristenkreisen war diskutiert worden, ob der vom Thüringer Bildungsministerium eingeschlagene Weg zum OLG der richtige war. Einige waren der Ansicht, dass zunächst ein Antrag auf Durchführung der mündlichen Verhandlung beim Familienrichter selbst zu stellen gewesen wäre. Eine mündliche Verhandlung ist nach dem OLG-Beschluss im Rahmen dieses einstweiligen Verfügungsverfahrens durch die Erledigungsklärung nicht mehr durchzuführen.

Nach der Entscheidung des Familienrichters hatten Eltern bundesweit ähnlich lautende Anträge an Amtsgerichte gestellt, viele Gerichte, allen voran der Bayerische Verwaltungsgerichtshof, entschieden dann, es handele sich bei der Weimar-Entscheidung um einen so genannten "ausbrechenden Rechtsakt", dem keine Bedeutung beizumessen sei. Der Beschluss aus Weimar war allerdings weiter existent, bis er nun vom OLG aufgehoben wurde.

All dies geschah allerdings in dem einstweiligen Verfügungsverfahren, ein schneller Rechtsweg, in dem juristische Fragen zügig geklärt werden können. Gleichzeitig läuft am AG Weimar allerdings das Verfahren in der Hauptsache – darüber wird wiederum der selbe Familienrichter entscheiden.

Geht es zum BGH?

Das OLG hat die Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Eine weitere obergerichtliche Entscheidung gibt es bereits vom OLG Nürnberg: Auch das hatte die Unzuständigkeit der Zivilgerichte in diesen Fragen festgestellt. Dort hatte sich allerdings schon das Amtsgericht für unzuständig erklärt und daher keine Entscheidung in der Sache getroffen. Im Ergebnis kommen die Oberlandesgerichte jedenfalls zu der – juristisch wenig überraschenden Entscheidung – der Unzuständigkeit der Zivilgerichte in diesen Fragen. Auch Nürnberg hatte die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen.

Gegen den Familienrichter waren nach dem Beschluss diverse Strafanzeigen gestellt worden. Die Behörde hat daraufhin ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts der Rechtsbeugung eingeleitet. Die Staatsanwaltschaft sieht laut eigener Mitteilung Anhaltspunkte dafür, dass der Richter "willkürlich seine Zuständigkeit angenommen hat, obwohl es sich um eine verwaltungsrechtliche Angelegenheit handelte, für die ausschließlich der Verwaltungsrechtsweg eröffnet ist". Ob ein Hauptverfahren gegen den Richter tatsächlich eröffnet wird, ist noch nicht klar. 

Zitiervorschlag

OLG hebt Beschluss aus Weimar auf: Familienrichter war unzuständig . In: Legal Tribune Online, 19.05.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45002/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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