Kammergericht konkretisiert Strafbarkeitsvoraussetzungen: Ist der Kleb­stoff der "Letzten Gene­ra­tion" stark genug?

21.08.2023

Im Kampf gegen die Erderwärmung erhitzen die "Klimakleber' bundesweit die Gemüter. Wann ist ihr Verhalten strafbar? Das Kammergericht Berlin konkretisiert die Maßstäbe für die beiden vorrangig in Betracht kommenden Delikte.

Straßenblockaden, wie sie durch Klimaaktivist:innen der selbst ernannten "Letzten Generation" aktuell begangen werden, können zu einer Strafbarkeit wegen Nötigung und wegen Widerstandes gegen Vollstreckungsbeamte führen. Ob das im Einzelfall so ist, müssen die Gerichte sorgfältig prüfen. Das Kammergericht in Berlin (KG) präzisierte am Montag die Maßstäbe dafür (21.8.2023, Az. 3 ORs 46/23).

Eine 22-jährige Studentin nahm im vergangenen Jahr an einer Straßenblockade der "Letzten Generation" teil. Das Vorgehen ist mittlerweile wohl allseits bekannt: Sie klebte sich mit Sekundenkleber an die Straße und hielt damit den Verkehr auf, bis die Polizei eintraf, den Kleber löste und sie von der Fahrbahn trug.

Das Amtsgericht (AG) Tiergarten verurteilte die Studentin aufgrund dieses Geschehens wegen Nötigung (§ 240 StGB) in Tateinheit mit Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte (§ 113 StGB) zu einer Geldstrafe. Allerdings fiel die Beweiswürdigung nicht sehr umfassend aus – zu dürftig, fand das KG: Es kassierte die Entscheidung deshalb und verwies den Fall an eine andere Abteilung des AG zurück.

Spannend ist der Beschluss des KG deshalb, weil es im Zusammenhang mit den Klimaaktivisten "der Letzten Generation" bisher kaum Entscheidungen von Oberlandesgerichten (OLG) gibt. Diese sind aufgrund der geringeren Strafrahmen der in Betracht kommenden Delikte sowie der in der Regel nicht vorbestraften Angeklagten die letzte Instanz für die erstinstanzlich meist vor dem AG geführten Verfahren. Als eines der wenigen OLG bezieht das KG Stellung zu den beiden Kernvorwürfen des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte und der Nötigung.

KG: Wenn das Lösen eine Minute dauert, liegt gewaltsamer Widerstand nahe

Ein Widerstand komme in Betracht, weil die Aktivist:innen ein staatliches Handeln (die Räumung der Straße) durch das Festkleben, das in seiner physischen Wirkung einem Selbstanketten gleichkomme, erschwerten. Gerade auch der Umstand, dass die Polizeibeamt:innen rund eine Minute pro Aktivist:in für das Ablösen des Klebers bräuchten, sei "ein gewichtiges Indiz für einen gewaltsamen Widerstand".

Zum Tatbestand der Nötigung gab das KG den Gerichten auf, sich mit folgenden Gesichtspunkten auseinandersetzen: mit der Ankündigung der Blockade durch die Organisation, der Dauer der Blockade, Art und Ausmaß derselben, den Motiven der angeklagten Personen sowie mit Zweck und Zielrichtung der Demonstration. Unter diesen Gesichtspunkten sei eine Einzelfallprüfung zur Begründung der Verwerflichkeit des Handelns der Aktivist:innen erforderlich.

Seit Beginn der Straßenblockaden der "Letzten Generation" wird über die Strafbarkeit der Aktivist:innen viel diskutiert. Verschiedene Amtsgerichte kommen zu unterschiedlichen Ergebnissen. Das KG konkretisiert nun die Maßstäbe, an denen sich die Prüfung der beiden hauptsächlich in Betracht kommenden Delikte zu orientieren hat. Im Ausgangsfall bleibt abzuwarten, wie das AG  Tiergarten den Fall unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung des KG entscheidet.

ast/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Kammergericht konkretisiert Strafbarkeitsvoraussetzungen: Ist der Klebstoff der "Letzten Generation" stark genug? . In: Legal Tribune Online, 21.08.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52529/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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