Vatileaks-Verfahren gegen ehemaligen Papst-Kammerdiener: Richter machen kurzen Prozess

von Prof. Dr. Stefan Samerski

02.10.2012

Am Dienstag soll Paolo Gabriele, der sich seit dem Wochenende wegen schweren Diebstahls vor einem vatikanischen Gericht verantworten muss, selbst aussagen. Wer seine Ankläger sind, bleibt der Öffentlichkeit ebenso verborgen, wie die Identität seiner Mitangeklagten. Sicher ist nur, dass die Richter dem Papst nahe stehen. Ein Prozess, dessen Sinn dem Beobachter verschlossen bleibt, meint Stefan Samerski.

Der päpstliche Kammerherr mit engelsgleichem Namen wird ausgerechnet an Engelsfesten (29. September und 2. Oktober) vom Kirchlichen Tribunal des Vatikans abgeurteilt. Paolo Gabriele selbst macht "höhere Weisungen" für seine Taten verantwortlich. Ihm wird vorgeworfen, über Monate hinweg vertrauliche Dokumente kopiert und einem Journalisten zugespielt zu haben. Immerhin bescheinigen ihm Gutachten eine psychische Labilität. Vermutlich wird der Papst ihn begnadigen, was eine Auslieferung an die italienischen Behörden bedeuten würde. Italienische Medien mutmaßen außerdem, dass man ihn beruflich degradieren wird, er eventuell als Pförtner sein Leben wird fristen müssen.

Warum dann aber dieser Prozess hinter hohen Vatikanmauern, bei dem die Öffentlichkeit nahezu ausgeschlossen ist? Nur acht ausgewählte Journalisten der recht sachlich berichtenden Tageszeitung Repubblica sind als Beobachter zugelassen, ohne Fernsehkamera und Handy. Der Ort, der alte Palazzo dei Tribunali hinter der Sakristei von St. Peter, scheint als Gerichtshof des Staates der Vatikanstadt für einen solchen Prozess nicht ungeeignet (er hat sogar eine kleine, aber nie genutzte Gefängniszelle). Die Räume wurden allerdings seit Menschengedenken nicht für strafrechtliche Prozesse genutzt.

Grundlage ist überholtes italienisches Strafrecht

Der Vatikan ist seit den Lateranverträgen, die der Heilige Stuhl 1929 mit dem damaligen Königreich Italien abschloss, ein souveräner Staat, der auch völkerrechtlich anerkannt ist. Er kann seine eigenen Bürger – Gabriele besitzt die italienische und vatikanische Staatsbürgerschaft – autonom zur Rechenschaft ziehen kann.

Verhaftung und Hausdurchsuchungen fanden auf Initiative des Papstsekretärs Georg Gänswein auf vatikanischem Gelände statt. Vor Gericht muss sich der Kammerdiener nun wegen schweren Diebstahls ("furto aggravato") verantworten. Materiell-rechtliche Grundlage für das Ermittlungs- sowie das Gerichtsverfahren ist ein etwa 100 Jahre altes, italienisches Strafrecht, das Italien selbst bereits mehrfach überholt und reformiert hat. Ein Strafprozessrecht ist dagegen nicht öffentlich bekannt.

Die nur verschlüsselt genannten Zeugen stammen aus dem päpstlichen Umfeld. Am Dienstag, dem zweiten Prozesstag, sollen neben dem Angeklagten der Papstsekretär Gänswein, eine Ordensschwester aus dem Staatssekretariat und Vertreter der Vatikanischen Gendarmerie vernommen werden. Nach insgesamt vier Verhandlungstagen soll bereits ein Urteil fallen. Gerüchten zufolge will man den Prozess noch vor der Bischofssynode in Rom am 6. Oktober abgeschlossen sehen.

Die Öffentlichkeit bleibt im Dunkeln

Vorsitzender Richter ist Giuseppe Dalla Torre, der Rektor der vatikannahen katholischen Privatuniversität Libera Università Maria Ss. Assunta und zugleich Berater des italienischen Ministerpräsidenten Mario Monti ist. Er stammt aus einer Adelsfamilie in Treviso, aus der seit etlichen Jahrzehnten Juristen im Dienste der Päpste hervorgegangen sind. Dem Kirchen- und Verfassungsrechtler beigeordnet sind die eher farblosen Juraprofessoren Paolo Papanti Pelletier und Venerando Marano. Papanti Pelletier wie Dalla Torre stehen dem katholischen Malteser-Orden sehr nahe. Ernannt hat die Richter der Papst selbst.

Der Angeklagte hatte ursprünglich zwei Anwälte, wobei sich einer zurückgezogen hat. Mit dem Kammerdiener müssen sich der Informatiker aus dem Staatssekretariat Claudio Scopelliti und vielleicht noch der geistliche Begleiter Gabrieles wegen Beihilfe vor Gericht verantworten. Sichere Informationen sind darüber jedoch nicht an die Öffentlichkeit gelangt.

Ebensowenig ist die Person des vom Papst ernannten Staatsanwalts bekannt: Ist es, wie Medien berichteten, Nicola Picardi oder der in der päpstlichen Universitätslandschaft beheimatete Untersuchungsrichter Piero Antonio Bonnet? Sicher ist nur, dass Gabriele bis zu vier Jahren Haft drohen, wenn der Papst ihn nicht begnadigt. Seine Mitangeklagten müssen dagegen lediglich mit einem Jahr Freiheitsstrafe rechnen.

Da die Beweislage bereits durch die beschlagnahmten Dokumente in Gabrieles Wohnung erdrückend ist und der Angeklagte nicht leugnet, könnte es tatsächlich zu einem kurzen Prozess kommen, an dessen Ende ein für zahlreiche Interpretationen und Spekulationen offenes Urteil stehen wird. Denn der Sinn des Verfahrens ist nicht klar: Der Tathergang ist geklärt und an einer Gefängnisstrafe ist der Vatikan dem Vernehmen nach nicht interessiert.

Der Autor Prof. Dr. Stefan Samerski ist Hochschulprofessor für katholische Theologie an der Ludwig-Maximilians-Universität München.

Zitiervorschlag

Prof. Dr. Stefan Samerski, Vatileaks-Verfahren gegen ehemaligen Papst-Kammerdiener: Richter machen kurzen Prozess . In: Legal Tribune Online, 02.10.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7226/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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