Bundestag will Lebensmittelskandale schneller publizieren: Mindesthaltbarkeitsdatum: Bis zum nächsten Skandal

von Daniel Schneider

01.03.2013

2/2: Kennzeichnungspflichten schützen nicht vor Kriminellen

Auch der aktuelle Bio-Eier-Betrug flog nur dank eines Zufalls auf: Dem Osnabrücker LG fiel in einem Prozess um Kaufpreiszahlung auf, dass in dem Stall des Verkäufers zu viele Hennen untergebracht sind. Das widerspricht der Öko-Durchführungsverordnung Nr. 889/2008, die klar regelt, wie viele Tiere bei ökologischer Produktion auf eine bestimmte Fläche gehören.

Mittlerweile geht zumindest Niedersachsens Landwirtschaftsminister Meyer von mindestens 200 Ställen aus, die nicht nach der EU-Bio-Verordnung produzieren, aber es auf ihre Lebensmittel schreiben. Und auch wer dem Verbraucher Pferdefleisch unterjubelt, täuscht den Kunden. Von Betrug kann allerdings mangels Vermögensschaden keine Rede sein, denn Pferdefleisch ist hierzulande nicht billiger als Rind.

Vieles davon ist ein Skandal. Doch der Begriff sollte nicht für alles herhalten. Denn tatsächlich ist vieles Betrug, teilweise in großem Stil und hochgradig kriminell. Das so nicht zu benennen, sondern zu skandalisieren, verdeckt echte Missstände.

Missstände, die nicht bestünden, wenn Deutschland eine funktionierende Lebensmittelüberwachung hätte. Statt aber die Behörden mit hinreichenden finanziellen und personellen Mittel auszustatten, fordern echte und selbsternannte Verbraucherschützer sowie die Politik mehr Kennzeichnungs- und Transparenzvorschriften.

Name & Shame: Das Ende der Unschuldsvermutung

Diese Forderungen sind zumeist Nebelkerzen, denn weder den ausländischen Fleischhersteller noch den inländischen Hennenhalter interessiert das. Das Problem ist nicht, dass nicht genügend Vorschriften existierten, die den Verbraucher schützen. Auch nicht, dass der Verbraucher nicht erkennt, was in seinem Essen ist. Das Problem ist, dass Kriminelle sich weder für Straf- noch für Verbraucherschutz interessieren. Sie umgehen die Vorschriften – das macht sie zu Kriminellen. Und Kriminalität – auch mit Lebensmitteln – wird es immer geben.

Nicht die Lebensmittelwirtschaft als solche, sondern Einzelne müssen nicht skandalisiert, sondern bestraft werden. Ob man deutschen Unternehmen beim Pferdefleisch einen Vorwurf machen kann, ist bislang unklar: Nach bisherigen Erkenntnissen kam das Pferd entweder in rumänischen oder französischen Fleischbetrieben ins Rind. Ob es auch als Pferd weiterverkauft wurde, ist unbekannt.

Auch eine Internet-Veröffentlichung der Namen von Unternehmen, die als letzte in der Kette das Produkt verkaufen und mitunter selbst Opfer von Betrügern geworden sind, packt diese Probleme jedenfalls am falschen Ende an. Statt mehr Kontrollen zu ermöglichen, werden angebliche Missstände einfach schneller veröffentlicht. Das erinnert an mittelalterliche Sanktionsmechanismen. Der Pranger ist zum Glück abgeschafft. Veröffentlichungen im Netz, die bekanntlich nur schwer und im schlimmsten Fall durch langwierige Prozesse zu löschen sind, können gerade für kleinere Betriebe existenzgefährdend sein.

Die Nennung von Ross und Reiter ohne gerichtliche Entscheidung und nur aufgrund eines Verdachts lässt sich nur schwer mit der Unschuldsvermutung nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz  und Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbaren. Und selbst wenn ein Gericht einen Verstoß festgestellt hat und mit Geld- oder gar Freiheitsstrafen ahndet, lässt sich eine zusätzliche Veröffentlichung mit dem Verbot der Doppelbestrafung kaum in Einklang bringen. Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit, die alles staatliche Handeln leiten und alle beteiligten Interessen berücksichtigen muss, in der Verbraucherschutzpolitik längst über Bord gegangen.

Schon jetzt: Gerichte entscheiden gegen Veröffentlichungen

Aus diesem Grund entscheiden zig Verwaltungsgerichte in den Monaten seit Geltung der Vorschrift des  § 40 Abs. 1a LFGB gegen eine Veröffentlichung der Namen betroffener Unternehmen. Nicht zuletzt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat  erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm, u.a.  aufgrund ihrer "Prangerwirkung" (Beschl. v. 28.01.2013, Az. 9 S 2423/12).

Der Staat ist von Verfassungs wegen verpflichtet, die Gesundheit seiner Bürger zu schützen. In Bereichen aber, in denen es gar nicht um Fragen der Gesundheitsgefahr geht, muss er die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen und verfassungswidrige Normen abschaffen oder zumindest nachbessern.

Stattdessen gaukelt die Politik dem Wähler lieber in blindem Aktionismus Verbraucherschutz vor. Diese Art von Täuschung offenbart auch gesetzgeberisches Unvermögen. Die Haltbarkeit von mit heißer Nadel gestrickten Gesetzen jedenfalls ist auffallend kurz. Mindesthaltbarkeitsdatum: Bis zum nächsten Skandal. 

Der Autor Daniel Schneider ist Rechtsanwalt in Berlin und Referent für Lebensmittelrecht und gewerblichen Rechtsschutz des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks e.V.

Mit Materialien von dpa.

Zitiervorschlag

Daniel Schneider, Bundestag will Lebensmittelskandale schneller publizieren: Mindesthaltbarkeitsdatum: Bis zum nächsten Skandal . In: Legal Tribune Online, 01.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8248/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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