Pferd in der Lasagne und Bio-Eier sind nicht Bio. Unmittelbar nach den jüngsten Lebensmittelskandalen schreibt die Koalition sich nun frühere Information der Verbraucher auf die Fahnen. Und verschweigt, dass die Änderungen nicht nur keineswegs neu, sondern auch rechtlich höchst bedenklich sind. Fast schon unverschämter Aktionismus mitten im Bundestagswahlkampf, findet Daniel Schneider.
In einer Nacht-und Nebel-Aktion hat der Bundestag am Donnerstag ein Gesetz zur Änderung des Lebensmittel- und Futtermittelgesetzbuchs (LFGB) beschlossen, dessen Inhalt erst einen Tag vorher feststand. Kurzfristig am 26. Februar tauchte ein Änderungsantrag der Koalition zum Änderungsgesetz auf, mit dessen Hilfe es den Betrügern nun an den Kragen gehen soll.
Als Konsequenz aus dem Pferdefleisch-Skandal sollen Behörden die Verbraucher nun schneller über Fälle von Etikettenschwindel informieren. Sie sollen die Möglichkeit bekommen, auch gravierende Täuschungsfälle zu veröffentlichen, bei denen keine Gesundheitsgefahr besteht.
Etikettenschwindel soll auch dann veröffentlicht werden können, wenn dafür kein Bußgeld oder nur ein Bußgeld von weniger als 350 Euro fällig wird.
Jetzt soll es also ernst werden für Fleischpanscher und angebliche Bio-Hennenhalter. Lebensmittel-Skandale sollen schneller publik, der Verbraucher vor den Machenschaften undurchsichtiger Lebensmittelindustrien geschützt werden. Schließlich ist bald Bundestagswahl und die Regierungskoalition lässt keine Chance verstreichen, Lebensmittelskandale oder solche, die keine sind, wahlkampfstrategisch zu instrumentalisieren.
Die "neue" Norm ist nicht nur alt
Schwarz-Gelb verschweigt dabei, dass das LFGB längst eine Norm enthält, mit deren Hilfe die Überwachungsbehörde ihre Kontrollergebnisse veröffentlichen kann, ja sogar muss.
Die seit September 2012 geltende Regelung des § 40 Abs. 1a LFGB bestimmt, dass Informationen veröffentlicht werden müssen, wenn der "durch Tatsachen hinreichend begründete Verdacht" besteht, dass gegen Täuschungsvorschriften "in nicht nur unerheblichem Ausmaß oder wiederholt verstoßen worden ist" und ein Bußgeld von mindestens dreihundertfünfzig Euro "erwartet" wird.
Niemand erwähnt auch, dass die angeblich neue Regelung ziemlich alter Wein ist, der im Wahlkampf passend zum medialen Lebensmittelhype in neue Schläuche gekippt wird.
Der nun neu vorgesehene Wortlaut deckt sich nämlich exakt mit der bis zum 1. September 2012 geltenden Fassung der Norm des § 40 Abs. 1 Nr. 2b LFGB. Er ermöglicht die Information auch, wenn ein begründeter Verdacht besteht, dass gegen Vorschriften verstoßen wird, die dem Schutz der Verbraucherinnen und Verbraucher vor Täuschung dienen. Diese Wortlaut wurde erst vor wenigen Monaten zugunsten des derzeit noch geltenden Absatzes 1a aufgegeben.
Zu Recht, denn das Landgericht (LG) München hatte schon im Jahr 2011 heftige Bedenken an der Vereinbarkeit des damaligen Wortlautes mit höherrangigem Europarecht, weshalb die Richter aus Bayern diese Frage dem Europäischen Gerichtshof zur Vorabentscheidung vorgelegt hatten (Beschl. v. 05.12.2011, Az. 15 O 9353/09). Seine Entscheidung darüber, ob die europäischen Vorgaben zur staatlichen Warnung bei Gesundheitsgefahren abschließend sind, oder ob die Mitgliedstaaten darüber hinaus Regelungen treffen dürfen, steht noch aus.
Der Unterschied zwischen Gesundheit und Geld, Gefahr und Betrug
Es bedarf keiner Diskussion, dass die Zutatenliste der Tiefkühl-Lasagne nicht Rind ausweisen, aber Pferd enthalten darf. Das geht sogar ganz und gar nicht. Und wer ungeachtet der jeweiligen individuellen Beweggründe bereit ist, mehr für das Bio-Ei zu zahlen als der Käufer von Eiern, die aus konventioneller Bodenhaltung kommen, soll selbstverständlich auch ein Bio-Ei erhalten.
Diese Litanei ließe sich fortsetzen, denn die Liste der als solcher gehandelten Lebensmittelskandale der letzten Jahre ist lang. Dioxin im Ei, EHEC in Sprossen, Glykol im Wein. Was in scheinbarer Homogenität als Lebensmittelskandal kursiert, weist aber erhebliche Unterschiede auf: Sowohl bei EHEC, Dioxin als auch beim Glykol-Wein stand die Gesundheit des Verbrauchers auf dem Spiel.
Von Pferdefleisch dagegen wird ebenso wenig jemand krank wie von konventionellen Nicht-Bio-Eiern. Dennoch schafft der Gesetzgeber eine neue Vorschrift, die in § 40 Abs. 1 LFGB gar nichts zu suchen hat. Dieser Abschnitt regelt nämlich die Gefahrenabwehr. Die Normen schützen das Integritätsinteresse des Verbrauchers – und gerade nicht sein Interesse daran, auch das zu erhalten, wofür er bezahlt. Allein dieses Interesse aber ist bei Täuschung und Betrug wie bei den angeblichen Bio-Eiern betroffen. Sie sind gerade nicht gefährlich.
Und während EHEC niemand in Deutschland wirklich verursacht hat, waren beim Glykol im Wein Verbrecher am Werk; Weinpanscher, die nur aufflogen, weil ein Winzer das eingesetzte Glykol steuerlich absetzen wollte.
2/2: Kennzeichnungspflichten schützen nicht vor Kriminellen
Auch der aktuelle Bio-Eier-Betrug flog nur dank eines Zufalls auf: Dem Osnabrücker LG fiel in einem Prozess um Kaufpreiszahlung auf, dass in dem Stall des Verkäufers zu viele Hennen untergebracht sind. Das widerspricht der Öko-Durchführungsverordnung Nr. 889/2008, die klar regelt, wie viele Tiere bei ökologischer Produktion auf eine bestimmte Fläche gehören.
Mittlerweile geht zumindest Niedersachsens Landwirtschaftsminister Meyer von mindestens 200 Ställen aus, die nicht nach der EU-Bio-Verordnung produzieren, aber es auf ihre Lebensmittel schreiben. Und auch wer dem Verbraucher Pferdefleisch unterjubelt, täuscht den Kunden. Von Betrug kann allerdings mangels Vermögensschaden keine Rede sein, denn Pferdefleisch ist hierzulande nicht billiger als Rind.
Vieles davon ist ein Skandal. Doch der Begriff sollte nicht für alles herhalten. Denn tatsächlich ist vieles Betrug, teilweise in großem Stil und hochgradig kriminell. Das so nicht zu benennen, sondern zu skandalisieren, verdeckt echte Missstände.
Missstände, die nicht bestünden, wenn Deutschland eine funktionierende Lebensmittelüberwachung hätte. Statt aber die Behörden mit hinreichenden finanziellen und personellen Mittel auszustatten, fordern echte und selbsternannte Verbraucherschützer sowie die Politik mehr Kennzeichnungs- und Transparenzvorschriften.
Name & Shame: Das Ende der Unschuldsvermutung
Diese Forderungen sind zumeist Nebelkerzen, denn weder den ausländischen Fleischhersteller noch den inländischen Hennenhalter interessiert das. Das Problem ist nicht, dass nicht genügend Vorschriften existierten, die den Verbraucher schützen. Auch nicht, dass der Verbraucher nicht erkennt, was in seinem Essen ist. Das Problem ist, dass Kriminelle sich weder für Straf- noch für Verbraucherschutz interessieren. Sie umgehen die Vorschriften – das macht sie zu Kriminellen. Und Kriminalität – auch mit Lebensmitteln – wird es immer geben.
Nicht die Lebensmittelwirtschaft als solche, sondern Einzelne müssen nicht skandalisiert, sondern bestraft werden. Ob man deutschen Unternehmen beim Pferdefleisch einen Vorwurf machen kann, ist bislang unklar: Nach bisherigen Erkenntnissen kam das Pferd entweder in rumänischen oder französischen Fleischbetrieben ins Rind. Ob es auch als Pferd weiterverkauft wurde, ist unbekannt.
Auch eine Internet-Veröffentlichung der Namen von Unternehmen, die als letzte in der Kette das Produkt verkaufen und mitunter selbst Opfer von Betrügern geworden sind, packt diese Probleme jedenfalls am falschen Ende an. Statt mehr Kontrollen zu ermöglichen, werden angebliche Missstände einfach schneller veröffentlicht. Das erinnert an mittelalterliche Sanktionsmechanismen. Der Pranger ist zum Glück abgeschafft. Veröffentlichungen im Netz, die bekanntlich nur schwer und im schlimmsten Fall durch langwierige Prozesse zu löschen sind, können gerade für kleinere Betriebe existenzgefährdend sein.
Die Nennung von Ross und Reiter ohne gerichtliche Entscheidung und nur aufgrund eines Verdachts lässt sich nur schwer mit der Unschuldsvermutung nach Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz und Art. 6 Abs. 2 der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbaren. Und selbst wenn ein Gericht einen Verstoß festgestellt hat und mit Geld- oder gar Freiheitsstrafen ahndet, lässt sich eine zusätzliche Veröffentlichung mit dem Verbot der Doppelbestrafung kaum in Einklang bringen. Schließlich ist die Verhältnismäßigkeit, die alles staatliche Handeln leiten und alle beteiligten Interessen berücksichtigen muss, in der Verbraucherschutzpolitik längst über Bord gegangen.
Schon jetzt: Gerichte entscheiden gegen Veröffentlichungen
Aus diesem Grund entscheiden zig Verwaltungsgerichte in den Monaten seit Geltung der Vorschrift des § 40 Abs. 1a LFGB gegen eine Veröffentlichung der Namen betroffener Unternehmen. Nicht zuletzt der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hat erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Norm, u.a. aufgrund ihrer "Prangerwirkung" (Beschl. v. 28.01.2013, Az. 9 S 2423/12).
Der Staat ist von Verfassungs wegen verpflichtet, die Gesundheit seiner Bürger zu schützen. In Bereichen aber, in denen es gar nicht um Fragen der Gesundheitsgefahr geht, muss er die Interessen aller Beteiligten berücksichtigen und verfassungswidrige Normen abschaffen oder zumindest nachbessern.
Stattdessen gaukelt die Politik dem Wähler lieber in blindem Aktionismus Verbraucherschutz vor. Diese Art von Täuschung offenbart auch gesetzgeberisches Unvermögen. Die Haltbarkeit von mit heißer Nadel gestrickten Gesetzen jedenfalls ist auffallend kurz. Mindesthaltbarkeitsdatum: Bis zum nächsten Skandal.
Der Autor Daniel Schneider ist Rechtsanwalt in Berlin und Referent für Lebensmittelrecht und gewerblichen Rechtsschutz des Zentralverbands des Deutschen Bäckerhandwerks e.V.
Mit Materialien von dpa.
Daniel Schneider, Bundestag will Lebensmittelskandale schneller publizieren: Mindesthaltbarkeitsdatum: Bis zum nächsten Skandal . In: Legal Tribune Online, 01.03.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/8248/ (abgerufen am: 27.04.2024 )
Infos zum Zitiervorschlag