Schulterkameras für die Hamburger Polizei: "Nicht warten, bis die Fäuste fliegen"

Interview von Anne-Christine Herr

25.09.2014

2/2: "Die Polizei kann nicht warten, bis die Fäuste fliegen"

LTO: Die geplante Norm ist die Grundlage für Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Wörtlich heißt es, der Einsatz solle "nach den Umständen zum Schutz…gegen eine Gefahr für Leib und Leben" erfolgen. Die Gesetzesbegründung präzisiert, eine solche Situation läge vor, wenn über eine tatsächliche Gefährdung zu Beginn der Maßnahme noch Unsicherheit besteht oder wenn die Situation aufgrund polizeilichen Erfahrungswissens die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation in sich birgt. Genügt dies rechtsstaatlichen Anforderungen?

Caspar: Prognosen sind dem Polizeirecht immanent. Der Polizei kann nicht zugemutet werden, immer erst zu warten, bis "die Fäuste fliegen". Zwar kann dies dazu führen, dass häufig Aufnahmen von Personen entstehen, die sich mit der Polizei streiten, aber nicht die Grenze zur Störung oder zur Straftat überschreiten.

Es darf aber nicht so weit gehen, dass Ton- und Bildaufnahmen bei polizeilichen Maßnahmen zur Regel werden und es quasi keinen unbefangenen Austausch auch in Form von Kritik an Polizeibediensteten mehr geben kann, ohne dass dies aufgezeichnet wird. Dies würde das Verhältnis zwischen Polizei und Bürgern nachhaltig zum Negativen beeinflussen.

"Vor Filmaufnahmen im Bordell müsste man warnen – auch Unbeteiligte"

LTO: Zurzeit sind nur Kameras in Polizeiwagen im "öffentlichen Verkehrsraum" zulässig. Der Entwurf sieht vor, sie nun im "öffentlichen Raum" mobil einzusetzen. Laut Begründung soll das  auch private, aber der Öffentlichkeit zugängliche Räume erfassen – gerade in Sankt Pauli denkt man dabei nicht nur an Diskotheken, sondern auch an Bordelle. Dort wähnen sich Besucher ja wirklich unbeobachtet. Auch unbeteiligte Personen könnten von einer Aufnahme erfasst werden und dann unfreiwillig zu polizeibekannten Bordellbesuchern werden. Wie rechtfertigt man das?

Caspar: Selbstverständlich wäre das ein erheblicher Eingriff in die Rechte Unbeteiligter, den es zu vermeiden gilt.

Im Prinzip kann man dem nur begegnen, indem man die Unbeteiligten vorher warnt, damit sie sich der Aufnahme entziehen. Gerade hier ist die Kenntlichmachung der Aufnahme ein Problem – Menschen im Hintergrund merken oft nicht, dass sie aufgenommen werden. Zwar sind Beamte verpflichtet, bei Beginn der Aufnahme den Gefilmten darauf hinzuweisen, dass die Aufzeichnung beginnt. Im Eifer des Gefechts kann das aber auch mal untergehen. Daher muss auch im Laufe einer Situation die Aufnahme deutlich gemacht werden.

Das ist aber nicht bei allen Geräten gewährleistet – bei einer richtigen Kamera würde eventuell zumindest ein rotes Licht leuchten. Die Polizei erwägt hier, die Video-Teams mit Warnwesten auszurüsten. Diese Überlegungen sind zu begrüßen. So kann jeder sehen, dass die Möglichkeit einer Kameraaufnahme besteht. Diese Pflicht zur Kenntlichmachung sollte jedoch deutlicher in das Gesetz aufgenommen werden.

"Auch Fehlverhalten der Polizei belegen können"

LTO: Wer entscheidet, was mit den Aufnahmen passiert? Haben die gefilmten Bürger Zugang zu dem Material?

Caspar: Dazu ist bislang keine spezielle Regelung geplant. Das Gesetz enthält bisher nur eine Auffangregelung, die eine unverzügliche Löschung anordnet, wenn die Aufnahmen nicht für Zwecke der Strafverfolgung benötigt werden. Unverzüglich bedeutet hier, wie auch sonst, ohne schuldhaftes Zögern. Allerdings kann der Zeitraum je nach den Umständen zwischen Stunden und Tagen variieren.

Da die Aufnahmen unter Umständen auch ein Fehlverhalten der Polizei belegen können, ist es wichtig, dass solche Aufnahmen beiden Seiten als Beweismittel zur Verfügung stehen. Dies ist problematisch, wenn die Beamten vor Ort die Löschung vornehmen. Auch wenn nur die Vorgesetzten zur Löschung befugt sein sollten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Sichtung des Materials nicht erfolgt, weil sich die Vorgesetzten auf die Aussage der Vollzugsbediensteten vor Ort verlassen, die ja durch die Aufnahmen unter Umständen belastet werden. Die von der Polizei vorgetragene Idee einer Kontrolle durch Vorgesetzte findet sich nicht im Gesetz und könnte so lediglich in Verwaltungsanweisungen festgehalten werden, die sich jederzeit ändern lassen.

Um die berechtigten Interessen der Betroffenen zu wahren, müsste man sich daher Gedanken machen, ob es nicht erforderlich ist, eine feste Speicherdauer gesetzlich anzuordnen. Innerhalb eines festen Speicherzeitraums von mehreren Tagen hätten dann Betroffene ausreichend Gelegenheit, an die Polizei heranzutreten und dadurch eine Löschung der Aufnahmen zu verhindern. Hierzu muss man angemessene und rechtlich klare Vorgaben machen, um die Beweisfunktion des Bildmaterials abzusichern. Nur so kann man rechtsstaatlichen Vorgaben Rechnung tragen.

LTO: Wie geht es mit dem Gesetzgebungsprozess jetzt erstmal weiter?

Caspar: In der letzten Ausschusssitzung wurde einstimmig eine Anhörung von Auskunftspersonen beschlossen . Die Fraktionen  können dafür grundsätzlich Experten benennen, die sich in der Sitzung zu dem Gesetzesentwurf äußern.

LTO: Herr Professor Caspar, ich danke Ihnen für das Interview.

Prof. Dr. Johannes Caspar ist Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit.

Zitiervorschlag

Anne-Christine Herr, Schulterkameras für die Hamburger Polizei: "Nicht warten, bis die Fäuste fliegen" . In: Legal Tribune Online, 25.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13310/ (abgerufen am: 16.04.2024 )

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