Hamburg ändert das Polizeirecht, um Beamte vor Übergriffen zu schützen. Nach dem aktuellen Entwurf könnten demnächst selbst Unbeteiligte im Bordell gefilmt werden, Tonaufnahmen inklusive und auch der Einsatz von Drohnen wäre denkbar. Der Datenschutzbeauftragte des Landes Johannes Caspar hält vieles für nicht erforderlich. Und plädiert dennoch dafür, das Material tagelang zu speichern.
LTO: Nach Pilotprojekten in Hessen sollen bald auch in Hamburg, konkret auf der Reeperbahn in Sankt Pauli, Polizisten mobile Kameras am Körper tragen, die Video- und auch Tonaufnahmen anfertigen können. Wie stehen Sie grundsätzlich zu dieser Idee?
Caspar: Zunächst einmal sei darauf hingewiesen, dass eine derartige Maßnahme durchaus ein sinnvolles Mittel zum Schutz von Leib und Leben der Polizisten oder von dritten Personen sein kann. Eine gewaltbereite Person wird möglicherweise gehemmt, wenn sie weiß, dass Angriffe auf die körperliche Integrität aufgezeichnet werden, sodass sie später als Beweis gegen sie verwendet werden können.
Allerdings müsste das Pilotprojekt auch zeigen, dass die Kameras geeignet sind, eine solche Deeskalation herbei zu führen.
Andererseits darf eine solche Möglichkeit nicht der Einstieg in eine Entwicklung sein, mit der künftig die modernen Formen der Überwachungstechnologie durch die Polizei im Alltag gegenüber den Bürgern massenhaft zum Einsatz kommen, ohne dass dies zum Schutz konkreter Rechtsgüter geeignet und erforderlich wäre. Es ist daher von zentraler Bedeutung, dass die Ermächtigungsgrundlage den rechtsstaatlichen Anforderungen an die Bestimmtheit und die Verhältnismäßigkeit genügt – und da sehe ich Probleme.
"Theoretisch auch Drohnen-Aufnahmen erlaubt"
LTO: Können Sie das näher spezifizieren? Welchen Teil des neu zu schaffenden § 8 Abs. 5 des Gesetzes über die Datenverarbeitung der Polizei halten Sie für nicht bestimmt genug?
Caspar: Zunächst ist darauf hinzuweisen, dass Bild- und Tonaufnahmen durch technische Mittel nur noch zulässig sein sollen, wenn sie zum Schutz gegen eine Gefahr für Leib und Leben erforderlich sind. Der Einschub "gegen eine Gefahr für Leib und Leben" ist eine klare Verbesserung im Hinblick auf die Bestimmtheit verglichen mit der bisherigen Version der Norm.
Problematisch bleibt dennoch, dass der Begriff der technischen Mittel nicht näher spezifiziert wird. Derzeit erfasst der Entwurf also jede Form der Aufnahme durch egal welche technischen Geräte – auch Smartphones, Google Glass Brillen, Flugdrohnen und theoretisch alle zukünftig noch zu entwickelnden Mittel erfasst wird. Das führt auf der einen Seite zu einer hohen Flexibilität der Polizei – auf der anderen Seite geht es hier um das Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung, welches an die Bestimmtheit einer Eingriffsnorm hohe Anforderungen stellt.
In der Gesetzesbegründung heißt es, dass derzeit nur sogenannte Schulterkameras für Polizisten geplant sind – eine einschränkende Begründung macht jedoch aus einer völlig technikneutralen Norm keine hinreichend konkretisierte. Ich halte eine klarere Fassung des Wortlautes für erforderlich.
"Tonaufnahmen: nicht erforderlich und vielleicht sogar strafbar"
LTO: Anders als in Hessen sollen in Hamburg nicht nur Bild-, sondern auch Tonaufnahmen zulässig sein – ist der Eingriff in das Recht am gesprochenen Wort gerechtfertigt?
Caspar: Das ist problematisch im Hinblick auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, insbesondere fehlt meines Erachtens die Erforderlichkeit. Die Polizei weist darauf hin, dass gewalttätigen Auseinandersetzungen häufig eine verbale Eskalation vorausgeht.
In der Regel dürfte aber bereits das Einschalten der Kamera ausreichen, um Angriffe auf die Beamten zu verhindern. Wer sich von einer laufenden Kamera nicht abschrecken lässt, den wird voraussichtlich auch die zusätzliche Anfertigung von Audio-Aufnahmen nicht davon abhalten, einen Beamten anzugreifen.
Die Tonaufzeichnungen sind auch nicht erforderlich, um den Normzweck zu erreichen. Den Schutz der Vollzugsbediensteten vor Beleidigungen deckt die Vorschrift nämlich gar nicht ab.
Im Übrigen steht das unbefugte Aufnehmen des nichtöffentlich gesprochenen Worts unter Strafe, für Amtsträger sogar sanktioniert mit einer Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren. Erweist sich, dass die Voraussetzungen für eine Aufnahme nicht vorgelegen haben, fehlt es an einer gesetzlichen Rechtfertigung und die Vollzugsbediensteten machen sich unter Umständen sogar strafbar.
2/2: "Die Polizei kann nicht warten, bis die Fäuste fliegen"
LTO: Die geplante Norm ist die Grundlage für Maßnahmen der Gefahrenabwehr. Wörtlich heißt es, der Einsatz solle "nach den Umständen zum Schutz…gegen eine Gefahr für Leib und Leben" erfolgen. Die Gesetzesbegründung präzisiert, eine solche Situation läge vor, wenn über eine tatsächliche Gefährdung zu Beginn der Maßnahme noch Unsicherheit besteht oder wenn die Situation aufgrund polizeilichen Erfahrungswissens die Gefahr einer gewalttätigen Eskalation in sich birgt. Genügt dies rechtsstaatlichen Anforderungen?
Caspar: Prognosen sind dem Polizeirecht immanent. Der Polizei kann nicht zugemutet werden, immer erst zu warten, bis "die Fäuste fliegen". Zwar kann dies dazu führen, dass häufig Aufnahmen von Personen entstehen, die sich mit der Polizei streiten, aber nicht die Grenze zur Störung oder zur Straftat überschreiten.
Es darf aber nicht so weit gehen, dass Ton- und Bildaufnahmen bei polizeilichen Maßnahmen zur Regel werden und es quasi keinen unbefangenen Austausch auch in Form von Kritik an Polizeibediensteten mehr geben kann, ohne dass dies aufgezeichnet wird. Dies würde das Verhältnis zwischen Polizei und Bürgern nachhaltig zum Negativen beeinflussen.
"Vor Filmaufnahmen im Bordell müsste man warnen – auch Unbeteiligte"
LTO: Zurzeit sind nur Kameras in Polizeiwagen im "öffentlichen Verkehrsraum" zulässig. Der Entwurf sieht vor, sie nun im "öffentlichen Raum" mobil einzusetzen. Laut Begründung soll das auch private, aber der Öffentlichkeit zugängliche Räume erfassen – gerade in Sankt Pauli denkt man dabei nicht nur an Diskotheken, sondern auch an Bordelle. Dort wähnen sich Besucher ja wirklich unbeobachtet. Auch unbeteiligte Personen könnten von einer Aufnahme erfasst werden und dann unfreiwillig zu polizeibekannten Bordellbesuchern werden. Wie rechtfertigt man das?
Caspar: Selbstverständlich wäre das ein erheblicher Eingriff in die Rechte Unbeteiligter, den es zu vermeiden gilt.
Im Prinzip kann man dem nur begegnen, indem man die Unbeteiligten vorher warnt, damit sie sich der Aufnahme entziehen. Gerade hier ist die Kenntlichmachung der Aufnahme ein Problem – Menschen im Hintergrund merken oft nicht, dass sie aufgenommen werden. Zwar sind Beamte verpflichtet, bei Beginn der Aufnahme den Gefilmten darauf hinzuweisen, dass die Aufzeichnung beginnt. Im Eifer des Gefechts kann das aber auch mal untergehen. Daher muss auch im Laufe einer Situation die Aufnahme deutlich gemacht werden.
Das ist aber nicht bei allen Geräten gewährleistet – bei einer richtigen Kamera würde eventuell zumindest ein rotes Licht leuchten. Die Polizei erwägt hier, die Video-Teams mit Warnwesten auszurüsten. Diese Überlegungen sind zu begrüßen. So kann jeder sehen, dass die Möglichkeit einer Kameraaufnahme besteht. Diese Pflicht zur Kenntlichmachung sollte jedoch deutlicher in das Gesetz aufgenommen werden.
"Auch Fehlverhalten der Polizei belegen können"
LTO: Wer entscheidet, was mit den Aufnahmen passiert? Haben die gefilmten Bürger Zugang zu dem Material?
Caspar: Dazu ist bislang keine spezielle Regelung geplant. Das Gesetz enthält bisher nur eine Auffangregelung, die eine unverzügliche Löschung anordnet, wenn die Aufnahmen nicht für Zwecke der Strafverfolgung benötigt werden. Unverzüglich bedeutet hier, wie auch sonst, ohne schuldhaftes Zögern. Allerdings kann der Zeitraum je nach den Umständen zwischen Stunden und Tagen variieren.
Da die Aufnahmen unter Umständen auch ein Fehlverhalten der Polizei belegen können, ist es wichtig, dass solche Aufnahmen beiden Seiten als Beweismittel zur Verfügung stehen. Dies ist problematisch, wenn die Beamten vor Ort die Löschung vornehmen. Auch wenn nur die Vorgesetzten zur Löschung befugt sein sollten, kann nicht ausgeschlossen werden, dass eine Sichtung des Materials nicht erfolgt, weil sich die Vorgesetzten auf die Aussage der Vollzugsbediensteten vor Ort verlassen, die ja durch die Aufnahmen unter Umständen belastet werden. Die von der Polizei vorgetragene Idee einer Kontrolle durch Vorgesetzte findet sich nicht im Gesetz und könnte so lediglich in Verwaltungsanweisungen festgehalten werden, die sich jederzeit ändern lassen.
Um die berechtigten Interessen der Betroffenen zu wahren, müsste man sich daher Gedanken machen, ob es nicht erforderlich ist, eine feste Speicherdauer gesetzlich anzuordnen. Innerhalb eines festen Speicherzeitraums von mehreren Tagen hätten dann Betroffene ausreichend Gelegenheit, an die Polizei heranzutreten und dadurch eine Löschung der Aufnahmen zu verhindern. Hierzu muss man angemessene und rechtlich klare Vorgaben machen, um die Beweisfunktion des Bildmaterials abzusichern. Nur so kann man rechtsstaatlichen Vorgaben Rechnung tragen.
LTO: Wie geht es mit dem Gesetzgebungsprozess jetzt erstmal weiter?
Caspar: In der letzten Ausschusssitzung wurde einstimmig eine Anhörung von Auskunftspersonen beschlossen . Die Fraktionen können dafür grundsätzlich Experten benennen, die sich in der Sitzung zu dem Gesetzesentwurf äußern.
LTO: Herr Professor Caspar, ich danke Ihnen für das Interview.
Prof. Dr. Johannes Caspar ist Hamburgischer Beauftragter für Datenschutz und Informationsfreiheit.
Anne-Christine Herr, Schulterkameras für die Hamburger Polizei: "Nicht warten, bis die Fäuste fliegen" . In: Legal Tribune Online, 25.09.2014 , https://www.lto.de/persistent/a_id/13310/ (abgerufen am: 20.04.2024 )
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