Haftung für Schäden nach Bombensprengung in München und Viersen: Kriegsfolgen fast 70 Jahre danach

Nach einer kontrollierten Bombensprengung vergangene Woche in Viersen sahen manche Grundstücke aus wie ein Schlachtfeld. Teile der Häuserfassaden wurden weggerissen und Schlamm die Wände hoch bis auf die Dächer geschleudert. Doch für die Eigentümer gibt es eine gute Nachricht; sie können den Staat zur Kasse bitten, meint Alexander Thiele.

Auch mehr als 60 Jahre nach Kriegsende werden in regelmäßigen Abständen Fliegerbomben gefunden, die – wie zuletzt in München und Viersen – nur durch eine kontrollierte Sprengung entschärft werden können. Bis heute ist dabei nicht geklärt, wer für die zum Teil erheblichen Schäden aufkommen muss, die sich bei einer solchen Sprengung wohl nie gänzlich vermeiden lassen.

In der Regel springen Versicherungen den Hauseigentümern zwar medienwirksam zur Seite. Die Stadt München hat sich zudem bereit erklärt, Härtefälle finanziell zu unterstützen. Gleichwohl bleibt die Frage, was geschieht, wenn sich weder eine Versicherung noch jemand anderes findet, der den Schaden reguliert.

Die Stadt München hat zumindest deutlich gemacht, dass Amtshaftungsansprüche nicht in Betracht kommen. Und sie liegt damit wohl richtig. Denn dafür hätte die Stadt eine Amtspflicht verletzt haben müssen. Den Behörden ist hinsichtlich der Sprengungen in München-Schwabing und in Viersen aber kein Vorwurf zu machen. Die kontrollierten Explosionen waren zwar gefährlich, deswegen aber nicht automatisch rechtswidrig.

Keine Entschädigung bei bloßer Räumung

Das heißt allerdings noch nicht, dass der Staat deswegen nicht haften müsste. Denn das deutsche Staatshaftungsrecht kennt Entschädigungsansprüche auch für rechtmäßiges Handeln. Für Beeinträchtigungen des Eigentums greift insoweit der auch vom Bundesverfassungsgericht anerkannte Anspruch wegen eines enteignenden Eingriffs. Der Staat muss die Grundstücksbesitzer dann entschädigen, wenn die Zerstörung des Hauses ein so genanntes Sonderopfer ist, für letztere also unzumutbar ist. Entscheidend sind dabei vor allem die Schwere, Tragweite und Vorhersehbarkeit der Schäden.

Die Folgen der Sprengung in München und Viersen sind nach diesen Maßstäben ein Sonderopfer. Es sind nur einzelne Gebäude betroffen. Welche dies sind, hängt vom Zufall ab. Zudem kann die Schadenssumme eine ganz erhebliche Höhe erreichen – nicht zuletzt in Viersen sind möglicherweise ganze Gebäudekomplexe in Zukunft nicht mehr nutzbar.

Darin liegt auch der entscheidende Unterschied zum Fall des Oberlandesgerichts Rheinland-Pfalz aus dem Jahre 2009 (Urt. v. 23.09.2009, Az. 1 U 428/09). Mehrere Gastwirte verlangten damals Ersatz für Umsatzeinbußen, die sie erlitten hatten, weil sie wegen  einer Bombenentschärfung  ihre  Gaststätten räumen mussten. Die Koblenzer Richter verwehrten den Klägern Schadensersatz, da sich letztlich allein das allgemeine Lebensrisiko verwirklicht hatte – wie dies etwa auch bei gewöhnlichen Straßenbauarbeiten der Fall sein kann. Eine besondere und zudem unzumutbare Belastung war gerade nicht erkennbar, auch weil die gesamte Räumung nur einen Tag gedauert hatte.

Allgemeinheit sollte Kriegsfolgeschäden zahlen

Problematisch ist allerdings, dass Fliegerbomben gesprengt wurden. Eigentlich handelt es sich also um Schäden, die durch den Krieg verursacht wurden, wofür das deutsche Staatshaftungsrecht keine Ersatzansprüche gewährt. Denn einerseits haben die Auswirkungen des Krieges nichts mit der heutigen Tätigkeit der Behörden zu tun und andererseits sind solche Schäden bereits durch umfangreiche Gesetzeswerke und Umverteilungssysteme prinzipiell bewältigt worden.

Diese Argumentation ist für heute entstehende Zerstörungen nach einer Bombenentschärfung wenig überzeugend. Denn zum einen fehlt es für solche neuen Kriegsfolgeschäden gerade an einer eindeutigen gesetzlichen Regelung. Zum anderen wird die kontrollierte Sprengung durch die Ordnungsbehörden angeordnet. Die Verwaltung ist damit also durchaus aktiv tätig geworden, und bietet damit einen Anknüpfungspunkt für staatshaftungsrechtliche Ansprüche.

Fast 70 Jahre nach Ende des Zweiten Weltkriegs stellt sich ohnehin die Frage, ob nicht die Allgemeinheit solche selten auftretenden Schäden tragen muss. Denn wen es letztlich trifft, ist doch mehr als zufällig. Der von Fliegerbomben gebeutelte Immobilienbesitzer muss sich also an das Land wenden können, das als Hoheitsträger der handelnden Gefahrenabwehrbehörden für den Schaden aufzukommen hat. Am Ende wird aber wohl der Bund die Zeche zu zahlen haben. Nach Art. 120 Grundgesetz können die Länder nämlich für Kriegsfolgeschäden bei ihm Regress nehmen.   

Der Autor Dr. Alexander Thiele, Akademischer Rat a.Z. ist Habilitand und Assistent am Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften der Universität Göttingen.

Zitiervorschlag

Alexander Thiele, Haftung für Schäden nach Bombensprengung in München und Viersen: Kriegsfolgen fast 70 Jahre danach . In: Legal Tribune Online, 25.09.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/7166/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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