Nach Anschlägen: Bundeswehreinsatz im Inland?: Es braucht mehr als eine Schön­wet­ter­ord­nung

von Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh)

02.08.2016

2/2: Übungen und Bereitschaft der Bundeswehr kein Skandal

Gleichwohl ist richtig, dass die jüngsten Vorfälle in Bayern keine Ereignisse von katastrophischem Ausmaß waren, auch wenn es sich um Akte schwerster Kriminalität handelte. Ein Streitkräfteeinsatz wäre daher nicht verfassungsgemäß gewesen. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die getroffenen Vorbereitungen für einen möglichen Einsatz zu skandalisieren, denn nach den ersten Erkenntnissen bestand die Möglichkeit, dass es sich um einen terroristischen Angriff mit einer Mehrzahl von Tätern handelte. Die Kritiker von Bundeswehreinsätzen sollten auch die verheerenden Anschläge in Norwegen vor gut fünf Jahren nicht vergessen. Was wäre, wenn ein vergleichbarer Massenmord auf einer deutschen Insel stattfände und nur eine Marineeinheit in der Lage wäre, dem Morden möglichst schnell Einhalt zu gebieten? Würde man ein Eingreifen der Streitkräfte in einem solchem Fall ernsthaft verbieten wollen?

Es ist auch konsequent, wenn sich die Bundeswehr auf die Erfüllung ihrer verfassungsgemäßen Aufgaben vorbereitet und dazu, wie die Bundesverteidigungsministerin angekündigt hat, mögliche Szenarien von Inlandseinsätzen bei einer Stabsrahmenübung durchspielen lässt. Der Einsatz zur Gefahrenabwehr im Inland gehört – wie oben ausgeführt – in bestimmten Situationen zum verfassungsrechtlichen Auftrag der Streitkräfte. Auch wenn es sich um verteidigungsfremde Aufgaben handelt, müssen derartige Einsätze geübt werden.

Das Weißbuch 2016

Im jüngst veröffentlichten "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr" finden sich keine Forderungen für Verfassungsänderungen mehr, die aber im Entstehungsprozess diskutiert worden waren. Das Weißbuch referiert vielmehr im Wesentlichen in knapper Form die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz im Inland außerhalb des Verteidigungsauftrages. Ein wichtiger Punkt wurde aber bei den Äußerungen zum Weißbuch bisher gänzlich ignoriert. Die Bundesregierung versteht die "Überwachung und Sicherung des deutschen Luft- und Seeraums" als originäre Aufgabe der Bundeswehr, ohne in irgendeiner Form zu differenzieren, woraus eine Bedrohung des deutschen Luft- oder Seeraums herrührt.

Die Bundesregierung sieht den Luft- und Seeraum damit offenbar als eine Art "Sonderbereich", in dem die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr tätig werden kann, auch wenn es sich nicht um Angriffe von außen auf das Bundesgebiet handelt. Diese permanente Übernahme von verteidigungsfremden Aufgaben durch die Bundeswehr, ohne dass dafür in allen Fällen eine verfassungsrechtliche Grundlage besteht, stellt das wirkliche Problem der Ausführungen im Weißbuch 2016 zum Einsatz im Inland dar. Insoweit besteht tatsächlich verfassungsrechtlicher Änderungsbedarf, denn die Polizeikräfte haben schlichtweg nicht die tatsächlichen Fähigkeiten, den Luftraum zu überwachen und zu sichern.

Unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene bleibt der Einsatz der Bundeswehr im Inneren mit großen rechtlichen Problemen behaftet. So ist weitgehend unklar, auf welche Vorschriften sich Einzelmaßnahmen bei den unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten stützen können. Auch die Entscheidungsbefugnisse und die Verantwortungsverteilung zwischen Bund und Ländern können eine effektive Gefahrenabwehr behindern. So spricht selbst das BVerfG in seiner letzten Entscheidung vom 20. März 2013 zu § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz von einer "gravierenden Schutzlücke", da die Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig getroffen werden könnte. Warum der Gesetzgeber nichts dafür tut, diese Schutzlücke zu schließen, bleibt sein Geheimnis. Insgesamt ist die Rechtslage unbefriedigend, denn das (Verfassungs-)Recht sollte mehr als nur eine Schönwetterordnung sein und die Augen vor Ausnahmesituationen nicht verschließen.

Der Autor Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh) ist Akademischer Rat a.Z. sowie Habilitand an der Georg-August-Universität Göttingen und veröffentlicht regelmäßig zu wehrverfassungsrechtlichen Themen.

Zitiervorschlag

Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh), Nach Anschlägen: Bundeswehreinsatz im Inland?: Es braucht mehr als eine Schönwetterordnung . In: Legal Tribune Online, 02.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20177/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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