Nach den jüngsten Anschlägen ertönt der Ruf nach einer Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr. Manuel Ladiges gibt einen Überblick zur geltenden Rechtslage und zeigt, wo im Gesetz die Lücken für Einsätze gegen den Terror liegen.
Nach dem Amoklauf in München, der Messerattacke bei Würzburg und dem Selbstmordanschlag in Ansbach steht wieder einmal der Einsatz der Bundeswehr im Inland zur Debatte. Bayerns Innenminister Hermann forderte, "in Fällen akuter, extremer Bedrohung" müssten auch die Streitkräfte unter Leitung des betroffenen Bundeslandes zur Gefahrenabwehr im Inland eingesetzt werden. Entsprechend hatte Verteidigungsministerin von der Leyen nach dem Amoklauf in München Bundeswehreinheiten in erhöhte Bereitschaft versetzt, um notfalls die Polizeikräfte unterstützen zu können.
Generell lässt sich ein striktes Verbot von Bundeswehreinsätzen im Inland aus dem Grundgesetz nicht herleiten. Bei der Aufstellung der Bundeswehr wurde 1956 zwar in Art. 143 Grundgesetz (GG) alte Fassung eine Sperrvorschrift für Inlandseinsätze in das Grundgesetz aufgenommen. Es bestand zu diesem Zeitpunkt jedoch weitgehend Einigkeit, dass diese Vorschrift nur temporären Charakter haben, aber nicht zum Ausdruck bringen sollte, dass die neu aufgestellten Streitkräfte ausschließlich den äußeren Feind bekämpfen sollten.
Richtig ist, dass die Bundeswehr ihren Hauptauftrag, nämlich die "Verteidigung" gemäß Art. 87a Abs. 1 S. 1, Abs. 2 GG, im Inland ausüben kann, ohne dass es dazu einer gesonderten Ermächtigung im Grundgesetz bedarf. Zum Verteidigungsauftrag gehört auch die Eigensicherung der Streitkräfte. Würde bei einem größeren Schadensereignis etwa auf Sanitätskräfte der Bundeswehr zur Versorgung von Verwundeten zurückgegriffen werden, könnte die Bundeswehr selbst die Sanitätseinheiten schützen und dazu auch mit hoheitlichem Zwang gegen Störer vorgehen. Im Spannungsfall, der in einer Krisensituation schon im Vorfeld von konkreten Gefahren oder Schadensereignissen vom Bundestag gemäß Art. 80a GG festgestellt werden könnte, und im Verteidigungsfall kann auf die Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 3 S. 2 GG der Schutz ziviler Objekte auch zur Unterstützung polizeilicher Maßnahmen übertragen werden. Es handelt sich dabei um die Wahrnehmung von polizeilichen Aufgaben durch die Bundeswehr, die – wie die Systematik von Art. 87a Abs. 3 GG zeigt – vom Verteidigungsauftrag unabhängig ist.
Knackpunkt: Vorliegen eines "katastropischen Ausmaßes"
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat im Plenarbeschluss vom 3. Juli 2012 zum Luftsicherheitsgesetz entschieden, dass auch absichtlich herbeigeführte Ereignisse von "katastrophischem Ausmaß" einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne von Art. 35 Abs. 2 S. 2, Abs. 3 S. 1 GG darstellen können. Im sogenannten Katastrophennotstand können die Streitkräfte auch hoheitlich, also mit Zwangsbefugnissen, eingesetzt werden. Die rein technische Hilfe, wie etwa Hilfsleistungen beim Hochwasserschutz, wird bereits über die allgemeine Amtshilferegelung in Art. 35 Abs. 1 GG erfasst.
Im regionalen Katastrophennotstand kann eine Landesregierung die Streitkräfte anfordern und den Einsatz leiten, während beim überregionalen Katastrophennotstand die Bundesregierung – nach Auffassung des BVerfG in Form einer Kollegialentscheidung – den Einsatz beschließen kann. Demnach können auch terroristische Angriffe, die aus dem Inland herrühren, beim Erreichen eines katastrophischen Ausmaßes mit Hilfe der Streitkräfte bekämpft werden. Nach Ansicht des BVerfG ist dabei auch die Verwendung spezifisch militärischer Waffen nicht grundsätzlich ausgeschlossen, soweit die strengen Voraussetzungen für einen bewaffneten Einsatz gemäß Art. 87a Abs. 4 GG nicht umgangen werden. Nach der geltenden Rechtslage ist also ein Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr von terroristischen Angriffen auch unterhalb der strengen Voraussetzungen des inneren Notstands nach Art. 87a Abs. 4 GG nicht schlechthin ausgeschlossen.
2/2: Übungen und Bereitschaft der Bundeswehr kein Skandal
Gleichwohl ist richtig, dass die jüngsten Vorfälle in Bayern keine Ereignisse von katastrophischem Ausmaß waren, auch wenn es sich um Akte schwerster Kriminalität handelte. Ein Streitkräfteeinsatz wäre daher nicht verfassungsgemäß gewesen. Dies rechtfertigt es jedoch nicht, die getroffenen Vorbereitungen für einen möglichen Einsatz zu skandalisieren, denn nach den ersten Erkenntnissen bestand die Möglichkeit, dass es sich um einen terroristischen Angriff mit einer Mehrzahl von Tätern handelte. Die Kritiker von Bundeswehreinsätzen sollten auch die verheerenden Anschläge in Norwegen vor gut fünf Jahren nicht vergessen. Was wäre, wenn ein vergleichbarer Massenmord auf einer deutschen Insel stattfände und nur eine Marineeinheit in der Lage wäre, dem Morden möglichst schnell Einhalt zu gebieten? Würde man ein Eingreifen der Streitkräfte in einem solchem Fall ernsthaft verbieten wollen?
Es ist auch konsequent, wenn sich die Bundeswehr auf die Erfüllung ihrer verfassungsgemäßen Aufgaben vorbereitet und dazu, wie die Bundesverteidigungsministerin angekündigt hat, mögliche Szenarien von Inlandseinsätzen bei einer Stabsrahmenübung durchspielen lässt. Der Einsatz zur Gefahrenabwehr im Inland gehört – wie oben ausgeführt – in bestimmten Situationen zum verfassungsrechtlichen Auftrag der Streitkräfte. Auch wenn es sich um verteidigungsfremde Aufgaben handelt, müssen derartige Einsätze geübt werden.
Das Weißbuch 2016
Im jüngst veröffentlichten "Weißbuch zur Sicherheitspolitik und zur Zukunft der Bundeswehr" finden sich keine Forderungen für Verfassungsänderungen mehr, die aber im Entstehungsprozess diskutiert worden waren. Das Weißbuch referiert vielmehr im Wesentlichen in knapper Form die rechtlichen Grundlagen für den Einsatz im Inland außerhalb des Verteidigungsauftrages. Ein wichtiger Punkt wurde aber bei den Äußerungen zum Weißbuch bisher gänzlich ignoriert. Die Bundesregierung versteht die "Überwachung und Sicherung des deutschen Luft- und Seeraums" als originäre Aufgabe der Bundeswehr, ohne in irgendeiner Form zu differenzieren, woraus eine Bedrohung des deutschen Luft- oder Seeraums herrührt.
Die Bundesregierung sieht den Luft- und Seeraum damit offenbar als eine Art "Sonderbereich", in dem die Bundeswehr zur Gefahrenabwehr tätig werden kann, auch wenn es sich nicht um Angriffe von außen auf das Bundesgebiet handelt. Diese permanente Übernahme von verteidigungsfremden Aufgaben durch die Bundeswehr, ohne dass dafür in allen Fällen eine verfassungsrechtliche Grundlage besteht, stellt das wirkliche Problem der Ausführungen im Weißbuch 2016 zum Einsatz im Inland dar. Insoweit besteht tatsächlich verfassungsrechtlicher Änderungsbedarf, denn die Polizeikräfte haben schlichtweg nicht die tatsächlichen Fähigkeiten, den Luftraum zu überwachen und zu sichern.
Unterhalb der verfassungsrechtlichen Ebene bleibt der Einsatz der Bundeswehr im Inneren mit großen rechtlichen Problemen behaftet. So ist weitgehend unklar, auf welche Vorschriften sich Einzelmaßnahmen bei den unterschiedlichen Einsatzmöglichkeiten stützen können. Auch die Entscheidungsbefugnisse und die Verantwortungsverteilung zwischen Bund und Ländern können eine effektive Gefahrenabwehr behindern. So spricht selbst das BVerfG in seiner letzten Entscheidung vom 20. März 2013 zu § 14 Abs. 3 Luftsicherheitsgesetz von einer "gravierenden Schutzlücke", da die Einsatzentscheidung der Bundesregierung unter Umständen nicht rechtzeitig getroffen werden könnte. Warum der Gesetzgeber nichts dafür tut, diese Schutzlücke zu schließen, bleibt sein Geheimnis. Insgesamt ist die Rechtslage unbefriedigend, denn das (Verfassungs-)Recht sollte mehr als nur eine Schönwetterordnung sein und die Augen vor Ausnahmesituationen nicht verschließen.
Der Autor Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh) ist Akademischer Rat a.Z. sowie Habilitand an der Georg-August-Universität Göttingen und veröffentlicht regelmäßig zu wehrverfassungsrechtlichen Themen.
Dr. Manuel Ladiges, LL.M. (Edinburgh), Nach Anschlägen: Bundeswehreinsatz im Inland?: Es braucht mehr als eine Schönwetterordnung . In: Legal Tribune Online, 02.08.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20177/ (abgerufen am: 24.09.2023 )
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