Alkoholverbote in Bus und Bahn: End­sta­tion für die mobilen Party-Meilen

Nachdem Straßen und Plätze in vielen Gemeinden mittlerweile alkoholfreie Zonen sind, wird der Konsum von Hochprozentigem zunehmend auch im Nahverkehr unterbunden. Aktionen wie das jüngst via Facebook organisierte Gelage von 2.000 Fahrgästen in einer Münchener S-Bahn könnten so bald passé sein. Verfassungsrechtlich sind solche Verbote bedenklich, meint Florian Albrecht.

Nicht nur in Hamburg werden trinkfreudige S-Bahn-Fahrer seit kurzem kräftig zur Kasse gebeten. Auch die Nahverkehrsbetriebe vieler anderer Städte ahnden Verstöße gegen Alkoholverbote mehr und mehr mit empfindlichen Strafgeldern, die die Feierlaune ganz schnell beenden können. Rechtlich ergehen derartige Verbote regelmäßig auf Grundlage der einschlägigen Haus- und Nutzungsordnungen der Bahnhöfe oder der Beförderungsbedingungen der Betreibergesellschaften.

Auch wenn die Verkehrsunternehmen in der Regel privatrechtlich organisiert sind, und auch die Beförderungsverträge einen privatrechtlichen Charakter haben, bedeutet das nicht, dass die Grundrechte der betroffenen Personen vernachlässigbar sind. Jedenfalls Unternehmen mit staatlicher Beteiligung müssen berücksichtigen, dass sich die staatliche Gewalt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) durch die Nutzung zivilrechtlicher Formen nicht von ihrer bestehenden Grundrechtsbindung lösen kann, wie sie nach Art. 1 Abs. 3 Grundgesetz (GG) besteht. Die Karlsruher Richter sprechen hier davon, dass dem Staat die "Flucht aus der Grundrechtsbindung in das Privatrecht" wegen seiner "treuhänderischen Aufgabenwahrnehmung für die Bürger" sowie der bestehenden Rechenschaftspflicht verwehrt ist (Urt. v. 22.02.2011, Az. 1 BvR 699/96).

Bürger stehen unter unangemessenem Generalverdacht

Aus diesem Grund gilt für Alkoholverbote im ÖPNV zumindest bei der Beteiligung staatlicher Stellen an der jeweiligen Betreibergesellschaft der Maßstab der Verfassung. Danach beschränken solche Verbote zunächst einmal die von Art. 2 Abs. 1 GG geschützte allgemeine Handlungsfreiheit der Fahrgäste und Bahnhofsbesucher. Denn im Bereich der Alkoholkonsumverbote müssen ganz andere Verhältnisse berücksichtigt werden, als dies etwa bei Rauchverboten der Fall ist. Trinken verursacht im Gegensatz zum Rauchen nämlich keine Gefahr für die Umwelt.

Irrelevant ist auch der von Befürwortern der Verbote angeführte Verweis, man bräuchte die Maßnahme zur Abwehr von Gefährdungen der öffentlichen Sicherheit. Ein Einschreiten aus Sicherheitsaspekten ist nämlich nur dann erlaubt, wenn eine Verhaltensweise oder ein Zustand festgestellt werden kann, der nach allgemeiner Lebenserfahrung oder fachlichen Erkenntnissen mit hoher Wahrscheinlichkeit einen Schaden für Rechtsgüter Dritter nach sich zieht.

Gerade das verneinen die Oberverwaltungsgerichte in ihrer ständigen Rechtsprechung im Fall des Alkoholkonsums auf öffentlichen Straßen und Plätzen: Nicht das Trinken von Bier, Schnaps oder Wein an sich führt zu einer Gefährdung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung, sondern vielmehr weitere Handlungen der Konsumenten. Gegen diese könnte aber im Einzelfall vorgegangen werden, ohne dass gleich ein generelles Alkoholverbot erlassen werden müsste.

Die im Rahmen des Hausrechts oder der Beförderungsbedingungen ausgesprochenen Verbote im ÖPNV stellen den friedlichen Bürger unter einen unangemessenen Generalverdacht, der verfassungsrechtlich äußerst bedenklich ist. Bislang ist nämlich kein ein Zusammenhang zwischen Alkoholkonsum und der Verletzung fremder Rechtsgüter nachweisbar. Wäre dies der Fall, müsste nahezu jeder Konsument von alkoholischen Getränken auffällig werden. Die Erfahrungen der Praxis belegen das Gegenteil.

Steigerung gefühlter Sicherheit mit absurden Ergebnissen

Weiter geraten die Alkoholverbote mit dem Gleichheitsgrundrecht nach Art. 3 Abs. 1 GG in Konflikt. Mutet es doch reichlich seltsam an, dass der kostengünstige Verzehr mitgebrachter Spirituosen untersagt ist, deren Bezug im Bereich konzessionierter Flächen und Wirtshäuser aber gestattet wird. Die Art und Weise der Beschaffung des Rauschmittels entscheidet schließlich nicht über die Intensität der Rauschzustände.

Was Bus und Bahn angeht, so können Alkoholverbote im ÖPNV nicht verhindern, dass bereits betrunkene Fahrgäste zusteigen. Auch wenn man, wie nun manche Betreibergesellschaften verlauten lassen, "Normalbürger" und Personen, die lediglich ihr Feierabendbier trinken wollen, vom Adressatenkreis des Verbots ausnehmen will, ist dies offenbar nicht mit der Verfassung vereinbar: Eine solche "zielgruppenorientierte" Durchsetzung der Verbote ist ganz klar diskriminierend – wobei sich die Unternehmen relativ sicher sein können, dass von den betroffenen, meist jugendlichen oder am Rande der Gesellschaft zu verortenden Personen selten juristische Gegenwehr droht.

Schließlich berufen sich die Befürworter der Alkoholverbote noch auf eine angeblich messbare Steigerung des Sicherheitsgefühls der Fahrgäste. Mit rechtstaatlichen Erwägungen sind Eingriffe in Freiheitsrechte aber nur dann vereinbar, wenn sie aus objektiver Sicht zu einer Steigerung der Sicherheit beitragen. Die Alkoholverbote müssten folglich zu einem wissenschaftlich nachweisbaren Sicherheitsgewinn führen – was nicht der Fall ist.

Zudem ist eine Berufung auf das bloße Sicherheitsgefühl der Fahrgäste auch gefährlich: Mit einer solchen Argumentation könnten sich die Unternehmen letztendlich auch legitimieren lassen, soziale Randgruppen wie Obdachlose, Drogenabhängige und Punks oder auch einfach nur Hundebesitzer und dunkelhäutige Menschen von der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel auszuschließen. Die Absurdität der Entwicklung liegt damit auf der Hand.

Um das Problem der mobilen Party-Meilen in den Griff zu bekommen, muss den Unternehmen des öffentlichen Nahverkehrs klar werden, dass sich wirksame Konzepte im Kampf gegen den Alkoholmissbrauch und dessen Folgen nicht auf Verbote erschöpfen dürfen. Wenn der Bereich der rechtspolitischen Stimmungsmache verlassen und Positives bewirkt werden soll, braucht man ein koordiniertes Vorgehen in Abstimmung mit Jugendverwaltung, Bildungseinrichtungen, Jugendorganisationen und Familien. Im Gegensatz zur Änderung einer Hausordnung ist das aber nicht zum Nulltarif zu haben.

Der Autor Florian Albrecht, M.A., ist Akademischer Rat a.Z. am Lehrstuhl für Öffentliches Recht, Sicherheitsrecht und Internetrecht an der Universität Passau. Er ist Lehrbeauftragter an der Hochschule Landshut und Autor zahlreicher Publikationen zum öffentlichen Recht.

Zitiervorschlag

Florian Albrecht, Alkoholverbote in Bus und Bahn: Endstation für die mobilen Party-Meilen . In: Legal Tribune Online, 23.01.2012 , https://www.lto.de/persistent/a_id/5324/ (abgerufen am: 28.03.2024 )

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