Themenwoche Semesterbeginn

Wenn die Angst das Lernen lähmt

von Johanna Strohm, LL.M., M.A.Lesedauer: 4 Minuten
Feuchte Hände, fahriger Blick: Ein wenig Prüfungsangst kennen wohl die meisten Studenten. Für manche wird die Anspannung jedoch unerträglich und macht konzentriertes Lernen unmöglich. Das wiederum führt zu Selbstzweifeln, nicht selten auch zu Studienabbrüchen. Dabei stehen den gebeutelten Examenskandidaten viele Hilfsangebote zur Verfügung.

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In den Wochen vor dem Staatsexamen war das Bad so sauber wie nie, das Wohnzimmer immer aufgeräumt und alle Pfandflaschen zurückgebracht. Aber Thomas schaffte es einfach nicht, sich an den Schreibtisch zu setzen und zu lernen. Er war immer müde, da er nachts nicht schlafen konnte, tagsüber war er wie gelähmt. Obwohl bis dahin in sein Studium alles glatt gegangen war, hatte ihn nun die Angst vor den Prüfungen fest im Griff.  Beim Staatsexamen wird in der Regel innerhalb eines sehr kurzen Zeitraums alles Wissen, welches man in den letzten Jahren erworben hat, auf einmal benötigt. Die Klausuren und Prüfungen sind sowohl psychisch als auch physisch kräftezehrend und eine gute Note ist entscheidend für die weiteren beruflichen Chancen.

Besonders bei Jurastudenten viel Perfektionismus und Anspruchsdenken

Dr. Gabriele Jungnickel, Abteilungsleiterin der Psycho-Sozialen Beratung des Kölner Studentenwerkes, berichtet, dass "besonders bei Jurastudenten ein hoher Perfektionismus, ein hohes Anspruchsdenken in Verbindung mit der geplanten Karriere beobachtet werden muss, was dann aber gleichzeitig zu einer Lähmung in Verbindung mit Ängsten führt." Nach ihrer Erfahrung lassen sich Probleme in den ersten Semestern vielleicht noch verdrängen, treten aber spätestens in der langen und schweren Vorbereitungszeit fürs Erste Staatsexamen voll zu Tage. Wen die Ängste unangemessen groß werden und sich mit einem Gefühl der Erfolglosigkeit vermischen, wächst die Bereitschaft, sich externe Hilfe zu holen. Dies bestätigt Prof. Rainer Holm-Hadulla, Leitender Arzt der Psycho-Sozialen Beratungsstelle des Studentenwerkes in Heidelberg: "Der große Anteil der ratsuchenden Jurastudenten kommt erst in der Vorbereitungszeit bzw. im Verlauf des Ersten Staatsexamens zur Beratung."

Unis und Studentenwerke als Anlaufpunkt für Hilfesuchende

Die Universitäten und 44 der 58 Studentenwerke bieten psychologische Beratung für Studierende an. Diese ist in aller Regel kostenlos und auf die studentischen Lebens- und Problemlagen zugeschnitten. Die Nachfrage steigt kontinuierlich. Nach aktuellen Zahlen des Deutschen Studentenwerkes (DSW) zählten die Studentenwerke in ihrer psychologischen Beratung, Einzel- oder Gruppengesprächen 2012 rund 96.000 Beratungskontakte. Jurastudenten sind dabei im Vergleich zu ihrem Anteil an der Gesamtstudierendenzahl leicht überrepräsentiert. Holm-Hadulla hat in Heidelberg gute Erfahrungen damit gemacht, Studenten als Ansprechpartner anzubieten. Sowohl bei einem Coaching für Studierende von Studierenden als auch bei der Nightline, einer telefonischen Anlaufstelle. Diese bietet allen Studenten die Gelegenheit, in der Zeit von 21:00 Uhr bis 02:00 Uhr offen und anonym mit speziell geschulten Studierenden, zum Beispiel solchen des Studiengangs Psychologie, zu sprechen. Neben der Hilfe in akuten Krisen bieten die Studentenwerke und Universitäten auch viele vorbeugende Workshops, Kurse und Seminare an, zum Beispiel zu den Themen Zeitplanung und Selbstmanagement. Eine rechtzeitige Hilfestellung kann verhindern, dass die Verzweiflung zu groß wird und die Versuchung wächst, morgens nicht mehr nur zum Kaffee zu greifen. 

Falsche Hemmungen und der Griff zur Tablette

Trotz alledem haben viele Studenten Hemmungen davor, professionelle Hilfe in Anspruch zu nehmen. Auch Thomas hat es viel Überwindung gekostet, sich an eine studentische Beratungsstelle zu wenden. Für ihn führte der Weg über eine Online-Beratung, da er sich so zunächst anonym und distanziert mit dem belastenden Thema auseinander setzen konnte. Immer mehr Studenten versuchen, ihrer Angst mit chemischen Mitteln zu begegnen und ihre Leistung mit legalen und illegalen Drogen zu steigern. So soll jeder Fünfte wenigstens einmal im Jahr Substanzen zur kognitiven Leistungssteigerung einnehmen; laut einer anderen Studie schluckt jeder Zehnte Psychopharmaka gegen den Studienstress. Auch Thomas hat es aus Verzweiflung schließlich mit Selbstmedikation probiert. "Obwohl mir alle Kraft fehlte, wollte ich unbedingt weiter machen, weiter lernen, um jeden Preis." Er nahm innerhalb von wenigen Wochen 15 Kilogramm ab und war wie gefangen in seiner Angst. "Irgendwann ging es dann nicht mehr, ich brauchte den Blick und die Hilfe von außen, um wieder zu einem normalen Lernen zurück zu finden." Thomas entschied, sein Examen zu verschieben, neue Kraft zu tanken und hat es dann geschafft, gut zu bestehen.

Der Wendepunkt

Während für Thomas und sein Examen die externe Hilfe nicht zu spät kam, entscheiden sich immer mehr Studenten dafür, ihr Studium abzubrechen. Von den Absolventen 2010 (Studienanfang 2004-2006) waren es 26 Prozent – ein beträchtlicher Unterschied zu dem Absolventenjahrgang 2006, bei dem sich lediglich 9 Prozent für ein vorzeitiges Studienende entschieden. Zum Vergleich waren es bei anderen Staatsexamensstudiengängen 2010 auch unter 10 Prozent. Die hohe Abbruchsquote geht selbstverständlich nicht in allen Fällen auf pathologische Prüfungsangst zurück. Wer feststellt, dass Jura einfach nicht das Richtige für ihn ist, der sollte den Mut zum Absprung besser früh als spät aufbringen. Tragisch ist es hingegen, wenn eigentlich engagierte und fähige Juristen ihren Berufswunsch und womöglich mehrere Studienjahre aus einem Gefühl der Überforderung heraus opfern – zumal Hilfsangebote durchaus verfügbar sind.

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