Das Jurastudium nach Corona

So aus­bilden, wie auch abge­fragt wird

Gastbeitrag von Prof. Dr. Gregor Bachmann, LL.M. (Michigan) und Magnus HabighorstLesedauer: 6 Minuten

Wie sollten Rechtswissenschaften nach der Pandemie gelehrt werden? Gregor Bachmann und Magnus Habighorst von der HU Berlin haben Jurastudierende gefragt, aus ihren Erfahrungen in den Hybridsemestern Schlüsse gezogen und Vorschläge entwickelt. 

Diskussionen rund um Corona beherrschen (leider) immer noch auch den juristischen Alltag. Um eine Impfpflicht, die diversen G-Regeln und mehr oder weniger sachliche Kritik an Oberverwaltungsgerichten soll es hier aber nicht gehen. Wir wollen vielmehr die juristische Ausbildung und unsere Erfahrungen als Dozenten aus den Hybridsemestern in den Blick nehmen. 
 
Die Juristenausbildung und ihre Reform sind zurecht immer wieder Gegenstand von Debatten – die dann aber meist im Sande verlaufen. Die Pandemie bietet die Chance, Veränderungen auch wirklich umzusetzen und wenigstens einige Neuerungen mitzunehmen. Hierzu wollen wir empirisch fundierte Vorschläge machen, für die wir im Februar 2022 Jurastudierende befragt haben. Die Daten stellen wir Kolleginnen und Kollegen gern auf Anfrage zur Verfügung. 

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Ein Hörsaal? Was ist das denn?

Geht man von der Regelstudienzeit aus, hat fast die Hälfte der aktuell Studierenden noch nie die “echte Uni” erlebt. Vorlesungen ohne Einschränkungen, Arbeitsgemeinschaften ohne Dauerlüften, Uni-Umtrünke ohne Infektionssorgen – all das kennen sie nicht. Wenn man zu Beginn des Wintersemesters 2021/22 mit Drittsemestern sprach, hörte man (oft in begeistertem Ton), sie seien gerade zum ersten Mal in der Universität. Ähnlich sieht es bei den Prüfungen aus: Wer im Oktober 2019 mit dem Jurastudium anfing, hat bisher an der Humboldt-Universität (HU) nur Grundlagen- und Probeklausuren in Präsenz geschrieben. Spätere Semester haben überhaupt keine Klausurenphase in Präsenz durchlaufen. 
 
Und wie sah die Situation nun im gerade abgelaufenen Wintersemester aus? An der HU wollten wir den Studierenden unbedingt Präsenz ermöglichen und boten daher vor allem hybride Formate an. Das heißt, Vorlesungen wurden live aus dem Hörsaal ins Internet übertragen oder zugleich als Podcast aufgezeichnet, Arbeitsgemeinschaften wurden in Präsenz und als reine Online-Veranstaltungen angeboten – in Präsenz natürlich mit strenger Masken- und 3G-Pflicht, wobei die Impfquote unter den Anwesenden erfreulicherweise bei nahezu 100 Prozent lag.  
 
Interessant sind die dabei gemachten Erfahrungen: Zu Beginn des Semesters wählten mehr als 70 Prozent der Erstsemesterstudierenden die Präsenzvariante, gegen Ende waren es immerhin noch die Hälfte bis ein Drittel, welche die Vor-Ort-Variante bevorzugten. Dabei fällt auf, dass insbesondere im Universitätsrepetitorium die Fernteilnahme besonders gefragt und die Teilnahmequoten dort mit digitaler Hilfe erheblich gesteigert werden konnten. 
 

Online-Veranstaltungen sind beliebt

Das Ergebnis unserer Umfrage zur präferierten Art der Lehre spricht für sich: 34,33 Prozent der Befragten gaben an, auch nach dem Ende der Pandemie - sofern möglich - überwiegend an Nicht-Präsenz-Veranstaltungen teilnehmen zu wollen. 45,27 Prozent wollen das jedenfalls gelegentlich tun. Nur 16,6 Prozent haben „selten“ und 3,8 Prozent „ausgeschlossen“ als Antwort auf diese Frage gewählt. 
 
Bei der Frage nach der Art des digitalen Formats variieren die Präferenzen. 39 Prozent der Befragten wünschen sich einen Stream der Präsenzvorlesung aus dem Saal. Nur 12 Prozent sprachen sich dagegen für reine Live-Online-Veranstaltungen mit Möglichkeit zur aktiven Teilnahme der Hörenden aus, so wie es zurzeit für einige Arbeitsgemeinschaften angeboten wird. 30 Prozent ziehen die Aufzeichnung einer Live-Veranstaltung vor, so wie sie etwa die LMU München seit Jahren erfolgreich praktiziert. 19 Prozent wünschen sich einen eigens eingesprochenen Podcast der Lehrenden.

Corona bringt – in diesem Sinne – auch etwas Positives

Ist damit die durch die Pandemie angestoßene Entwicklung in der Lehre nicht eigentlich positiv zu sehen? Wir meinen ja, doch darf man bei dem bisher provisorisch Erreichten nicht stehen bleiben, man muss es fest etablieren.  
 
Abgesehen von der strukturellen Reformbedürftigkeit des Jurastudiums, wie sie unser Kollege Stephan Klawitter bei LTO unlängst analysiert hat (siehe dazu auch die unterstützenswerte Umfrage von iurreform), darf man aber auch die Nachteile einer zu starken Verschiebung ins Digitale nicht unterschätzen: Studierenden drohen nachlassende Konzentration, Anonymität und Vereinsamung. Auch die Perpetuierung bestehender sozialer Nachteile, zum Beispiel einer schwierigen Wohn- und Lernsituation, ist möglich.  
 
Lehrende sehen sich mit der realen Sorge konfrontiert, dass Studierende hinter „schwarzen Kacheln“ verschwinden und der lebendige Dialog austrocknet, der für engagierte Dozentinnen und Dozenten den Reiz und nicht zuletzt auch den Erfolg ihrer Tätigkeit ausmacht.

Gute Präsenzveranstaltungen werden nicht aussterben

Die Vorteile liegen dabei auf der Hand: Mit digitalen Angeboten können soziale Nachteile kompensiert werden, die durch eine weite Entfernung zwischen Uni und Wohnort, die Pflege von Kindern und Angehörigen oder gesundheitliche Probleme bestehen. Natürlich werden auch Studierende solche Angebote nutzen, die nicht zu den genannten Gruppen gehören, doch warum sollten sie das nicht tun? Als „Kunden“ einer Hochschule möchten wir es ihnen überlassen, welches Angebot sie in Anspruch nehmen wollen.  
 
Die Sorge, nur noch vor dem nackten Bildschirm zu lehren, ist – das zeigen unsere Erfahrungen und unsere Umfrage – jedenfalls unbegründet, wenn es Dozentinnen und Dozenten gelingt, eine Lernatmosphäre im Saal zu schaffen, die weiterhin zur Teilnahme vor Ort lockt. Dazu muss man auch bereit sein, sich von dieser Art der Vorlesung zu lösen, die den Stoff vollständig nur im Frontalunterricht vermittelt, und zu aktiveren Lehrformaten übergehen. Dass damit den Studierenden eine höhere Eigenverantwortung abverlangt wird (nämlich selbständiges Erarbeiten des Stoffs mithilfe von Lehrbuch oder Podcast), darf man dabei nicht verschweigen. 

Was Unis künftig leisten sollten, insbesondere für Jurastudierende

Was also ist die Lektion für die Zukunft? Universitäten sollten beides leisten: Einerseits muss es Lehrveranstaltungen vor Ort geben, denn Studierenden muss ein sicherer und gut ausgestatteter Lehr- und Lernort zur Verfügung stehen. Andererseits sollte es auch in Zukunft digitale Angebote geben. Hier sollten verschiedene Lehrveranstaltungen unterschieden werden.  
 
So nannten in unserer Umfrage auf die Frage, welchen Veranstaltungen sie am liebsten in Präsenz folgen würden, 54,5 Prozent die Pflichtfachvorlesungen und 82,63 Prozent die Arbeitsgemeinschaften an (Mehrfachauswahl war möglich). Grundlagenvorlesungen (z.B. Rechtsgeschichte) wollten hingegen nur 22,7 Prozent in Präsenz besuchen. Uns erscheint es daher durchaus charmant, letztere als aufgezeichneten Podcast anzubieten. Das stünde auch nicht im Widerspruch zur Relevanz der Grundlagen in der Ausbildung, sondern wäre bloß eine andere Art der Vermittlung. Auch im Übrigen könnten (zentrale) Podcasts die Wissensvermittlung im Saal ersetzen. Dadurch freiwerdende Lehrkapazitäten ließen sich für didaktisch sinnvolleren Kleingruppenunterricht nutzen. 
 
Akuten Handlungsbedarf sehen wir bei den Prüfungen. Hier dominieren gegenwärtig die sog. Take-Home-Examen, die von zuhause aus ohne Aufsicht geschrieben werden und bei denen die Studierenden versichern müssen, ohne unzulässige Hilfsmittel gearbeitet zu haben. Diese Form der Abwicklung gewährleistet keine fairen und gleichen Verhältnisse. Vor allem entspricht sie nicht dem Format, auf das Studierende vorbereitet werden sollen, nämlich Schwerpunkt- und Examensklausuren. 
 
Hier sehen wir die Universitäten in der Pflicht, die Prüfungen den tatsächlichen Anforderungen anzupassen. Wenn Examensklausuren mittelfristig digital und eventuell sogar mit Hilfsmitteln geschrieben werden, sollten sich die Universitäten auch hieran orientieren. Den Wunsch nach dem E-Examen hatte in einer jüngst durchgeführten Umfrage die deutliche Mehrzahl der Studierenden geäußert. Das Ergebnis wird durch unsere Erfahrungen aus der universitären Prüfungspraxis bestätigt: Bei einer im vergangenen Jahr gestellten vierstündigen Klausur haben über 90 Prozent eine getippte Klausur abgegeben, obwohl es für das Scannen und Hochladen einer handschriftlichen Lösung großzügige 20 Minuten Zeitzuschlag gab.  
 
Ganz anders aber sieht es im Examensklausurenkurs aus. Obwohl auch hier getippte Abgaben möglich sind, arbeiten 80 bis 90 Prozent der Studierenden handschriftlich. Hier erkennen wir das Bedürfnis bestätigt, so auszubilden, wie auch abgefragt wird.

Mehr Geld für Hochschulen

In der Pflicht ist aber auch die Politik. Diese darf sich nicht hinter wohlfeilen Formeln („niemand wird zurückgelassen“) verstecken, sondern muss ihren Worten nun Taten folgen lassen. Konkret bedeutet das: die Universitäten finanziell und personell so auszustatten, dass Online-Lehre mühelos und für alle möglich ist. Während die meisten Dozentinnen und Dozenten nämlich ihre Hausaufgaben in der Pandemie erledigt und sich – oft über bzw.  auch in der Nacht - mit Online-Formaten vertraut gemacht haben, ist die technische Ausstattung und Instruktion an vielen Fakultäten immer noch dürftig. Wichtiger als eine neuerliche Exzellenzinitiative wäre hier aus unserer Sicht eine Digitalisierungsoffensive.  
 
Was bleibt also festzuhalten? Eine Rückkehr zu reiner Präsenzlehre ist nicht wünschenswert. Die Universitäten tun vielmehr langfristig gut daran, ihre Angebote den vielfältigen Präferenzen der Studierenden anzupassen. Dafür müssen die Länder dringend die gebotenen Ressourcen bereitstellen. Weniger vielfältig sollte die Prüfungsorganisation gestaltet sein. Hier muss so bald wie möglich zu realitätsnahen Formaten zurückgekehrt werden. Wenn eine (wünschenswerte) Anpassung der Examensformate stattfindet, sollten die Universitäten technisch in der Lage sein, hier mitzuziehen. 

Prof. Dr. Gregor Bachmann, LL.M. (Michigan) ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin. Magnus Habighorst, nach Studium an der HU, ist wissenschaftlicher Mitarbeiter und Doktorand am Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Unternehmensrecht. Beide lehrten im vergangenen Wintersemester u.a. auch für Erstsemester sowie im Universitätsrepetitorium.

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