Meine Juristenausbildung

Auf schwan­kendem Grund

Leserbrief von Prof. Dr. Benno HeussenLesedauer: 4 Minuten
Die Frage nach der Gerechtigkeit – in Studium und Referendariat wird sie mittlerweile stärker in den Fokus gerückt als früher, freut sich Benno Heussen. Gute Juristen müssten aber zusätzlich Leidenschaft entwickeln – und vor allem zäh sein.

Würden Sie noch einmal Jura studieren? Würden Sie jemand anderem die Ausbildung zum Juristen empfehlen? Wenn ja, warum? Oder eben: warum nicht? Viele Leser schreiben uns, einige Ihrer Erfahrungen werden wir veröffentlichen. Mit Prof. Dr. Benno Heussen ist dieses Mal ein erfahrener Praktiker an der Reihe. Ich würde nicht "jemandem" raten, Jura zu studieren, sondern nur einem, der neugierig darauf ist, zu erfahren, welche Funktion das Recht in der Gesellschaft hat. Und der sich im Laufe der Ausbildung immer besser vorstellen kann, dass ihn auch während seiner beruflichen Praxis die Frage nach der Gerechtigkeit nicht loslassen wird. Ohne dieses Interesse? Da gibt es andere Berufe. Die Universität und die Referendarausbildung in Deutschland versuchen – anders als früher – diesen Grundgedanken zu vermitteln. Es gelingt aber deshalb nur unvollkommen, weil die Ausbildung sich bevorzugt auf die Prüfungsinhalte konzentriert, die sich nur auf die Welt der Normen beschränken. Die Wurzeln der Frage nach Recht und Gerechtigkeit, nach Rechtsethik, nach Schuld und Sühne und so weiter – sie liegen alle außerhalb der Welt der Normen und wir können die Normen nicht verstehen, wenn wir nicht wissen, welche Ideenwelt sie abbilden. Fächer, die das vermitteln (Rechtsgeschichte, Rechtsphilosophie, Rechtssoziologie) sind in der Ausbildung nicht mehr relevant. Und so erhalten wir technisch gut ausgebildete Juristen, die nicht merken, dass sie sich oft genug auf schwankendem Grund befinden. Im prozessualen Geschehen liegt es auf der Hand, dass die Frage nach der Gerechtigkeit niemals vergessen werden kann. Aber wie könnte man ein beispielsweise ein Compliance-System entwerfen, wenn man mit diesen Fragen nicht vertraut ist? Man muss es gegen Manager, Ingenieure, Betriebswirte und andere Fachleute verteidigen können und dazu muss man die Grundlagen des Rechts verstanden (und kritisch hinterfragt) haben. Und das gilt für alle Rechtsgebiete, sowohl im IT- und Computerrecht, im Asylrecht als auch im Arbeitsrecht und so weiter.

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Recht ist selbstverständlich - oder unverständlich

Auf der Universität stand ich oft genug vor unlösbaren Rätseln: Um zu wissen, dass der Käufer den Kaufpreis zahlen muss, braucht man wohl kaum Jura zu studieren. Das Bereicherungsrecht aber wird in allen seinen Verästelungen nicht einmal mehr vom Bundesgerichtshof (BGH) verstanden, wie Werner Flume, ein berühmter Zivilrechtler aus Bonn, der es wohl wissen musste, in einem Urteilskommentar einmal bemerkt hat: "Die Anweisung des furiosus ist unwirksam. Wenn der Klage für den furiosus gegen den – unwirksam – angewiesenen Schuldner die exceptio doli entgegensteht, so deshalb, weil der furiosus trotz der Unwirksamkeit der Anweisung durch die Zahlung des Angewiesenen befreit worden ist. (s. auch D 76, 3, 66 Pomponius, libro sexto ex Plautio betreffs der Zahlung auf Anweisung des pupillus.) Das iussum des pupillus ist jedoch mit dem des furiosus nicht gleich zu setzen; da das iussum den pupillus abgesehen von der locupletior-Haftung nicht belastet, ist das iussum des pupillus anders als das des furiosus nicht nichtig." Ich kann gut verstehen, wenn Sie schon bis dahin nicht weiterlesen wollten, denn mir ist es genauso gegangen. Dabei befinden wir uns mit dem BGH zusammen in bester Gesellschaft, der sechs Jahre später zusammenfasste, was er bis dahin verstanden hatte: "Eine Bank, welche eine wegen Geschäftsunfähigkeit des Anweisenden nichtige Anweisung ausführt, erwirbt damit keinen Bereicherungsanspruch gegen den Anweisenden." Eine solche Trivialität auch noch zu wiederholen – so meinte Flume wenig später – sei umso überflüssiger, als schon Celsus, Hermogenian, Pomponius und Ulpian das vor 2000 Jahren besser verstanden hätten als der BGH. Solche Diskussionen trugen dazu bei, dass Jura für mich entweder selbstverständlich oder unverständlich war: Man drehte sich ständig in einem Kreis, dessen Grenzen man schlecht verstand.

Wozu sind Anwälte schon gut?

Das geht vielen Leuten so: eine Arbeitsgruppe um Ulrich Karpen, Staatsrechtler aus Hamburg, hat Gesetze aus dem Zeitraum von 2005 bis 2007 untersucht und festgestellt, dass 50 Prozent von ihnen sprachlich unverständlich bleiben, 24 Prozent aller Verweisungen auf andere Gesetze unüberschaubar sind, 58 Prozent nach kürzester Zeit wieder geändert werden müssen und 76 Prozent die Bürokratiekosten erhöhen. Auch in meiner Familie konnte mir keiner helfen, denn dort gab es keine Juristen und besonders meine Mutter hatte Angst vor Anwälten, die ihrer Meinung nichts Besseres zu tun hatten, als andere Leute zu ärgern. Als sie mir irgendwann in den Achtzigern erzählte, dass man meinem Vater die Pension gekürzt habe und ich sie fragte, warum sie sich nicht von mir hatte beraten lassen, meinte sie trocken: "Davon verstehst du ja doch nichts!" Dass ich über verfassungsrechtliche Fragen des Beamtenrechts promoviert hatte, war ihr völlig entgangen. Wozu also waren Anwälte gut? Auf der Universität gab es darauf keine Antworten. Der Autor Prof. Dr. Benno Heussen ist Rechtsanwalt und Partner bei der Heussen Rechtsanwaltsgesellschaft und Honorarprofessor an der Universität Hannover, wo er junge Anwälte und andere Juristen im Bereich der Vertragsverhandlungen lehrt. Er ist Verfasser des Buchs "Interessante Zeiten: Reportagen aus der Innenwelt des Rechts" (Boorberg Verlag 2013).

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