Rechtsdidaktiker gründen Gesellschaft

"Das Staats­examen ist Fetisch und Fol­k­lore zug­leich"

Interview von Marcel SchneiderLesedauer: 5 Minuten

Die neu gegründete "Gesellschaft für Didaktik der Rechtswissenschaft" schaltet sich in die Debatte um die Reform der Juristenausbildung ein. Wir bräuchten mehr Fakten, weniger Anekdoten, sagt ihr Vorsitzender Julian Krüper im LTO-Interview.

LTO: Herr Professor Krüper, wie haben Sie Ihre juristische Ausbildung in Erinnerung?

Prof. Dr. Julian Krüper: Gemischt. Ich gehöre nicht zu denjenigen, die uneingeschränkt positiv daran zurückdenken. Ich habe mit diesem offensiven Fokus auf Fälle gefremdelt, den viele während des Jurastudiums ganz besonders mögen. Es gab aber auch Höhepunkte für mich, vor allem die Seminare, aber auch Arbeitsgemeinschaften, zum Beispiel bei der heutigen Justizministerin Schleswig-Holsteins Kerstin von der Decken. Mit abstrakteren Zugängen konnte ich viel mehr anfangen – und bin dann letztlich so auch zur Falllösung gekommen.

Erklärt das Ihr Engagement im Bereich Rechtsdidaktik, die zu Ihren Forschungsschwerpunkten gehört?

Ja. Allerdings nicht in dem Sinne, dass ich anderen meinen Zugang aufdrängen möchte. Ich glaube nicht, dass die abstrakte Herangehensweise generell die bessere ist. Jeder lernt anders und letztlich muss man im Examen natürlich Fälle lösen können. Aber ich meine, dass wir uns darum bemühen müssen, im Jurastudium verschiedene Zugänge anzubieten. Man kann auf verschiedenen Wegen ein guter Jurist werden. Das Jurastudium sollte aber nicht nur fördern, Meinungsstreits zu lernen und gut darin zu werden, Schwerpunkte einer juristischen Klausur zu erkennen.  

Vor allem aber engagiere ich mich für die Didaktik, weil ich meine, dass es eine Frage der Professionalität ist, die Lehre als wichtigen Bestandteil des eigenen Berufs angemessen zu reflektieren. Darauf achte ich etwa auch schon bei meinem Lehrstuhlteam.

Wo setzt die Didaktik an?

Sie ist zweigliedrig. Zum einen geht es darum, gute Handlungspraxis zu beschreiben. Heißt konkret: Wie mache ich gute Lehre? Was muss im Hörsaal oder im Seminar passieren, damit Lernvorgänge angeregt und Dinge in der notwendigen Tiefe verstanden werden? Zum anderen denkt die Rechtsdidaktik auch über die Bedingungen der Lehre nach, etwa über das Curriculum oder die Prüfungsanforderungen. Das sind Fragen, die das Fach aus einer didaktischen Perspektive betrachten. In gewisser Weise ist die Didaktik also ein Grundlagenfach der Rechtswissenschaft – und da gibt es eine Menge Nachholbedarf.

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"Die Debatte muss professioneller werden"

Weswegen Sie die "Gesellschaft für Didaktik der Rechtswissenschaft" (GfDR) mitgegründet haben und ihr Vorsitzender geworden sind.

Unter anderem. Erstens wollen wir den seit Jahren geführten Diskurs um mögliche Reformen in der Juristenausbildung verstetigen. Es gibt immer wieder eine Reihe von Initiativen, die am Ende stark von einzelnen Personen abhängen. Wenn die – aus welchen Gründen auch immer – nicht weitermachen, geht nicht selten viel verloren.  

Zweitens wollen wir aber auch die Akteure verbinden, denn viele Initiativen zur Reform der Juristenausbildung laufen nebeneinander her und nehmen von sich gegenseitig eher wenig Kenntnis. Ich glaube, damit schwächt man das übergeordnete Ziel, die Juristenausbildung verbessern zu wollen.

Drittens wollen wir auch verbessern. Die Gründung der GfDR ist von dem Glauben getragen, dass wir schon die Diskussion selbst über die Juristenausbildung verbessern können und müssen. Das heißt, wir wollen weg von einer vom Bauchgefühl geleiteten Debatte hin zu einem Diskurs, der auf wissenschaftlich reflektierter Basis fußt. Die Debatte muss professioneller werden.

Wie will die GfDR das erreichen?

Dazu wird es in Zukunft Arbeitsformate geben: regelmäßige Jahrestagungen, Mitgliederversammlungen, Online-Angebote, Fortbildungsformate. Perspektivisch kommen eigene Publikationen und Studien hinzu, vielleicht sogar ein Preis für gute juristische Lehre. Und eben Kooperationen mit anderen Akteuren, die in diesem Bereich engagiert sind.

Wer kann mitmachen?

Wir sind eine wissenschaftliche Fachgesellschaft. Das heißt, dass alle, die beruflich oder wissenschaftlich mit juristischer Ausbildung  zu tun haben und an deren kritischer Reflexion interessiert sind, Mitglied werden können.

"Wir müssen erst einmal wissen: Wer studiert Jura und warum bricht er ab?"

Wie würden Sie den Diskurs über die Juristenausbildung konkret verbessern?

Wir brauchen erst einmal wissenschaftlich belastbare Fakten, um vernünftig diskutieren zu können. Wer studiert Jura? Aus welchen Gründen? Und warum brechen so viele wieder ab oder machen auch ihr zweites Examen nicht? Erst, wenn wir das wissen, können wir auf Ursachensuche gehen. Empirie statt Anekdoten. Bis dahin bleiben punktuelle Verbesserungen wie etwa das E-Examen oder der integrierte Bachelor zwar willkommen, es sind aber nicht mehr als Schmerzpflaster. 

Und die Juristenausbildung? Wie würden Sie die verbessern?

Da sehe ich zunächst zwei Ansatzpunkte. Erstens müssen wir versuchen, die universitäre Ausbildung vom reinen Fokus auf das Examen wegzubekommen. Das juristische Staatsexamen ist Fetisch und Folklore zugleich, wir reden viel zu viel darüber. Wir müssen stattdessen viel mehr über die vier oder fünf Jahre reden, die davor stattfinden. Wenn es am Ende nur auf wenige Klausuren innerhalb von zwei Wochen ankommt, ist das nicht optimal durchdacht. Nicht nur das Ziel ist das Ziel, sondern eben auch der Weg dahin.

Zweitens gelingt es uns seit Jahrzehnten nicht, das Examen zu entschlacken und kritische Reflexion aufzuwerten. Schon Ernst-Wolfgang Böckenförde hat in den Neunzigerjahren beklagt, dass wir es nicht schaffen, den Stoff fürs Examen didaktisch sinnvoll zu reduzieren. Den Justizministerien fehlt es dabei nicht an gutem Willen, sondern aus strukturellen Gründen am Vermögen. Hier wollen wir von der GfDR Ansprechpartner werden und dabei aber auch nicht vergessen, dass die Wissenschaft sich auf der anderen Seite klar artikulieren muss, um Gehör zu finden. Es kann eben nicht jeder sein Hobby reiten, wenn es um Ausbildungsfragen geht.

"Wir haben einen irren Reformstau"

Warum passiert trotz aller klugen Überlegungen wenig bis gar nichts in Sachen Juristenausbildung?

Weil die Fachgemeinschaft sehr groß ist und die Stakeholder jeweils ihre eigenen Interessen verfolgen. Es gibt so viele Juraprofessoren und die sind keine homogene Gruppe. Wille und Bereitschaft, über die Juristenausbildung zu sprechen, sind unterschiedlich stark ausgeprägt. Und dass sich etwa ein Prüfungsamt vornehmlich für die Organisation des Staatsexamens interessiert, liegt auch auf der Hand. Im Sinne des Verstetigens, Vereinens und Verbesserns wollen wir daher auch Gesprächs- und Reflexionsgrundlagen gemeinsam mit allen Akteuren schaffen.

Wir haben einen irren Reformstau. Der Wunsch, möglichst fix etwas zu ändern, ist bei vielen enorm. Aber schnell wird im Falle der Juristenausbildung leider nichts gehen. Und schnell ist eben auch nicht notwendig gut.

Ziemlich ungünstig, wenn man an den Fachkräftemangel und die Pensionierungswelle denkt, die gerade auf die Justiz zurollt.

Ja, aber ich sehe nicht, was man kurzfristig ändern könnte, damit übermorgen wieder genug Interessenten anfangen, Jura zu studieren. Es ist im Übrigen nicht die alleinige Aufgabe der Fachdidaktik, den Fachkräftemangel zu lösen. Es würde zum Beispiel helfen, wenn der Staat seinen Gerichten anständige Bibliotheken, funktionierende E-Akten und den Richtern eine gute Besoldung zukommen ließe und so als Arbeitgeber wieder attraktiver würde.  

Bei allem nicht vergessen sollte man auch, dass das Jurastudium ein reizvolles ist, das den Absolventen ungeheure Berufs- und Einflussmöglichkeiten eröffnet. Ja, es ist ein hartes Studium. Und ja, es gibt sehr wohl Verbesserungsbedarf. Es verselbstständigt sich aktuell aber auch ein Horrornarrativ vom Jurastudium, das wenig förderlich ist und mit der Sache immer weniger zu tun hat. Es geht zu viel um Angst und zu wenig um Chancen. Deswegen finde ich, dass wir die Herdplatte wieder ein wenig herunterdrehen müssen. Ich bin davon überzeugt, dass man das Studium didaktisch verbessern und den Anspruch gleichzeitig hochhalten kann.

Vielen Dank für das Gespräch. 

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