Campus der Uni Saarbrücken
Juristisches KI-Projekt in Saarbrücken

"Nutzt ein Stu­die­render KI gut, dann wird er bes­sere Noten sch­reiben"

Interview von Stine Jähkel2025 M10 15, Lesedauer: 6 Minuten

Die Fußnotenkontrolle durch KI funktioniert schon mal gut, die Handschrifterkennung nicht wirklich: An der Uni Saarbrücken haben Jurastudierende mit Prof. Dr. Georg Borges Anwendungsbeispiele von KI im Jurastudium erforscht.

LTO: Herr Professor Borges, Hand aufs Herz: Wie oft benutzen Sie ChatGPT oder andere KI-Tools im Alltag?

Prof. Dr. Georg Borges: Ich benutze Google und dadurch mehrfach täglich KI, aber ChatGPT benutze ich im Alltag privat fast gar nicht. Ich genieße die unsichtbaren KI-Services. Oft merken wir gar nicht, wie unbewusst wir KI nutzen. Ich habe mir allerdings vorgenommen, ChatGPT mehr auszuprobieren. Noch habe ich Vorurteile und unterschätze das Tool vielleicht auch noch. Man muss verstehen, was man mit einem Hammer tun kann, bevor man ihn nutzt. So kann es auch mit ChatGPT sein.

War das auch die Idee hinter dem "juristischen Internetprojekt" der Uni Saarbrücken, das Sie im Sommersemester 2025 gestartet und nun auch beendet haben? Gemeinsam mit Studierenden der Rechtswissenschaften und des LL.M.-Studiengangs "IT und Recht" das Potenzial zu erforschen und verschiedene Einsatzmöglichkeiten zu entdecken?

Die Idee war, das Potenzial dieser Technologie besser zu erforschen - zunächst mit dem "egoistischen" Ziel, die Arbeit am Lehrstuhl zu verbessern. Aber natürlich auch, um zu verstehen, was die Studierenden damit anfangen können und welche Bedeutung dies für die Lehre hat. Als Direktor des Instituts für Rechtsinformatik und derzeit auch als Studiendekan sehe ich mich natürlich in der Pflicht, diesen klaren Auftrag umzusetzen. 

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"Jeder Jurist sollte sich fragen, was KI für ihn tun kann"

Welche Use Cases, also Anwendungsbeispiele, haben Sie mit den Studierenden erforscht?

Einer der allerersten Use Cases war die formale Fußnotenkontrolle. Dann folgten Use Cases zur Verbesserung der juristischen Argumentation oder die Transkription von Vorlesungen und handschriftlichen Klausuren. Auch die Suche von Nachweisen war ein Use Case.

Wie haben Sie die Use Cases ausgewählt?

Wir haben uns wöchentlich getroffen und ich habe nach freiwilligen Meldungen für Use Cases gefragt. Einige Studierende hatten direkt eine Idee, andere kamen auf meine Wunschliste zurück. Die Frage war, wo man einen effizienten Anwendungsfall starten kann. Jeder Jurist sollte sich fragen, was KI für ihn tun kann. Ich zum Beispiel möchte gern Skripte zu meinen Vorlesungen anbieten und brauche dafür Nachweise und die effiziente sprachliche Kontrolle meiner Texte, dabei könnte KI mir helfen.

"Wir müssen über KI sprechen"

Sind die Studierenden Ihnen gegenüber offen mit der Nutzung von KI umgegangen?

Zu Beginn habe ich meine Mitarbeiter gefragt, wer KI benutzt und einen coolen Use Case kennt. Siehe da: Schweigen im Walde. Aber natürlich wird KI genutzt. Es traut sich nur niemand zu sagen, weil es unprofessionell wirken oder weil man als unbeholfen ausgelacht werden könnte. Das war auch der Ausgangspunkt für unser Projekt. Wir müssen in die Diskussion kommen und unsere Erkenntnisse teilen. Nur durch Gespräche über KI werden wir gemeinsam klüger. Wir müssen über KI sprechen.

Reagieren die Studierenden eher mit Skepsis oder Neugier auf die Nutzung von KI?

Die breite Umsetzung von KI im Studium kommt bei uns erst im Wintersemester, wenn eine Hausarbeit mit ChatGPT geschrieben wird. Ich vermute, es ist wie bei uns Professoren: Einige nutzen die Tools, ohne viel darüber nachzudenken, andere nutzen KI aus Angst nicht, weil es bisher verboten war. Wir haben aber unsere Studienordnung geändert und eine Campuslizenz für ChatGPT. Es gibt nun also keine Entschuldigung mehr, KI nicht zu benutzen. Nutzt ein Jurastudent KI gut, wird er unweigerlich eine bessere Arbeit schreiben als ein Student, der sich verweigert. Sei es die Sprache, die Argumentationsschärfe oder die Nachweisdichte.

"Formale Fehler dürfen nicht mehr passieren"

Hatten die Studierenden einen Favoriten unter den Use Cases?

Meinem Lehrstuhl und den Teilnehmenden des Projekts war klar, dass die Fußnotenkontrolle wichtig ist und genutzt werden muss. Diese funktioniert auch verblüffend gut. Die Suche nach Nachweisen erscheint mir eher noch als Tool für Professoren. Das Verbessern der eigenen Argumentation über KI setzt hohe Eigenverantwortlichkeit voraus. Es hängt also davon ab, was der Nutzer daraus macht. Formulierungstools, um den Gutachtenstil zu verbessern, werden die Studierenden gern nutzen und dies wollen wir auch noch weiterentwickeln.

Welcher Use Case hat Sie besonders begeistert?

Auch mir gefällt die formale Fußnotenkontrolle sehr gut. Ich predige, dass es formale Fehler in Hausarbeiten nicht mehr geben darf. Das gleiche betrifft die Rechtschreibkontrolle. Kommata wie mit dem Salzstreuer über den Text zu verteilen, sollte der Vergangenheit angehören. Das Tool zur Verbesserung der Argumentation fand ich super spannend. Einer meiner Studierenden schwört, dass seine Arbeiten dadurch besser werden und er hat tatsächlich eine tolle Arbeit geschrieben. Ob er ChatGPT genutzt hat, weiß ich nicht, aber was will man mehr als einen Studierenden, den das Tool überzeugt hat.

Wird ein bestimmter Use Case die Forschung in Zukunft prägen?

Die Nachweissuche wird für die Forschung am wertvollsten sein. Ich würde sagen, dass es an meinem Lehrstuhl zu einer Vervierfachung von Effizienz führen kann, da es Arbeit ist, die viel Zeit und Manpower frisst und alles verzögert. Ich bin davon überzeugt, dass sich die Nutzung von KI-Systemen zur Nachweissuche durchsetzen wird. Es könnte ein dichterer, wissenschaftlicher Dialog erreicht werden.

"Wie kann sich der menschliche Jurist noch beweisen?"

Ist ein Use Case gescheitert?

Enttäuschend waren die Fälle zur Transkription, insbesondere die Handschrifterkennung, aber das wundert mich nicht. Objektiv ist die Handschrift oft nicht lesbar, das gilt jedenfalls für meine eigene. Aber es ist schade, weil man viel Zeit einsparen könnte. Auch konnte KI komplexe Fälle nicht lösen. Vor zwei Jahren wusste man, dass KI kein Examen bestehen würde. Heute liefert KI womöglich eine gute Klausurlösung. Woran liegt das? Einen Fall, der seit 30 Jahren in den Klausuren gestellt wird, kennt auch KI. Das ist für uns Prüfer bitter (lacht). Uns trifft auch die Pflicht, Aufgaben zu stellen, an denen sich der menschliche Jurist noch beweisen kann.

Was sagen Sie zu Mutmaßungen darüber, dass durch den KI-Einsatz im Studium Kompetenzen verloren gehen könnten?

Für Kernkompetenzen halte ich es für undenkbar. Diese werden eher geschärft. Aber natürlich gehen Randkompetenzen, wie Rechtschreibung und Grammatik, verloren, wenn ich über diese nicht mehr nachdenken muss. Schlimmer wäre eine Nivellierung, also eine Anpassung an den Stil der KI. Im Alltag erleben wir tagtäglich KI-generierte Texte. Ob wir wollen oder nicht, wir werden unsere Kommunikation unbewusst anpassen. Die Eleganz der deutschen Sprache wird verloren gehen, aber vielleicht führt das auch dazu, dass man sich wieder in Lesezirkeln treffen uns sich über den ausgezeichneten Ausdruck freuen wird. Es gibt hohe Preise bei der Nutzung von KI und die Veränderung unserer Sprache wird ein solcher sein.

"Wer ein Ergebnis ungeprüft verwendet, ist unprofessionell"

Sind Halluzinationen, also von KI generierte Inhalte, die als Fakten dargestellt werden, ein Problem?

Wer so blöd ist und ein Ergebnis ungeprüft verwendet, der gehört nicht in unseren Beruf. Das sage ich mit dieser Brutalität und vielleicht auch überzogenen Schärfe. Ein KI-generiertes Ergebnis ungeprüft zu verwenden, ist unprofessionell. Ich benutze kein Ergebnis ohne Originalquelle. Es gibt keine Halluzinationen, wenn man sie entdeckt. Genauso liefert mir KI nie den ersten Entwurf, den schreibe ich immer selbst. Aber manchmal lasse ich ChatGPT einen zweiten Entwurf schreiben und dann gehe ich Satz für Satz durch, ob es tatsächlich eine Verbesserung ist. Und dann gibt es eine dritte Fassung, die signifikant besser ist als meine erste. 

KI ist schnelllebig – planen Sie einen zweiten Teil des Projekts?

Das kann gut sein. Im Wintersemester erst mal nicht, aber gemeinsam mit zwei Kollegen plane ich gerade unsere erste Vorlesung zur Nutzung von KI im Jurastudium. Da wir alle noch nicht wissen, wie die perfekte Vorlesung hierzu aussieht, machen wir das zu dritt. Wir müssen als Juristen besser werden und den Wettlauf annehmen, um ein modernes Jurastudium anbieten zu können.

Vielen Dank für das Gespräch.

Prof. Dr. Georg Borges ist Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Rechtsinformatik, deutsches und internationales Wirtschaftsrecht sowie Rechtstheorie an der Universität des Saarlandes. Im Sommersemester 2025 leitete er das Juristische Internetprojekt Saarbrücken mit dem Schwerpunkt auf den Einsatz von KI im Jurastudium.

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