10 Gründe, das Jurastudium zu hassen

Das System ist der Fehler

Lesedauer: 10 Minuten
Es gibt viele gute Gründe, Jura zu studieren. Die Kommilitonen, das Geschäft mit der Angst in dem Verlegenheitsstudium und die Zukunftsaussichten als Ass. Jur. gehören eher nicht dazu.

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Ein Verlegenheitsstudium für mäßig Begabte

Es gibt ein paar verdammt gute Gründe, Jura zu studieren. Die allermeisten der Kommilitonen, auf die man zu Beginn des Jurastudiums trifft, gehören nicht dazu. Mindestens 50 Prozent von ihnen sind gelangweilte Menschen, die nun etwas studieren, was sie wiederum langweilt. Viel zu viele Jurastudenten studieren Rechtwissenschaften, weil ihnen nichts Besseres eingefallen ist, das Abi nicht für NC-Fächer reichte und/oder sie schlecht in Mathe waren. Iudex non calculat hat schließlich jeder schon mal gehört. Und für Jura braucht man keine besondere Begabung. Noch nicht hassenswert genug? Wenn man die maximal fünf Prozent der Studienanfänger ausnimmt, die Gerechtigkeit suchen und durchsetzen wollen (zu viele von ihnen brechen das Studium ab), bleiben noch immer zu viele, die studieren, weil sie sich von der Juristerei Geld, Prestige und  Anerkennung versprechen. Weil sie aus einer Juristenfamilie kommen, Papa stolz ist oder auch Opa schon Richter war. Schlimm ist daran nicht, dass sie alle niemals lieben werden, was sie tun. Schlimm ist, dass sie nicht einmal im Alter von knapp 20 Jahren nach etwas gesucht haben, was sie lieben könnten. Schlimm ist, dass sie, weil sie nicht suchen, auch nicht zweifeln. Dass sie lernen werden, statt zu fragen. Jura ist ein Studium, das Ja-Sager, Mainstreamer und Nicht-Denker anzieht.

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Recht ohne Grundlagen

Vielen von ihnen wird der Erfolg Recht geben. Durch das Studium der Rechtswissenschaften kann man es mit wenig Recht und noch weniger Wissenschaft schaffen. Die Freiheit in der Organisation des juristischen Studiums, das sich seit Jahrzehnten jeder größeren Reform verweigert und so der Verschulung bisher entgangen ist, wird durch den alles umfassenden Zwang zum Pauken konterkariert. Die Freiheit der juristischen Ausbildung ist eine trügerische. Sie schreibt zwar das Wie nicht vor, lässt aber über das Ob keine Diskussion aufkommen und stellt das Warum nicht zur Debatte. Es geht in den Rechtswissenschaften viel zu wenig darum, Recht als Wissenschaft zu verstehen. Nicht um die Grundlagen der Regeln, nach denen wir leben oder darum, Rechtsetzung als die Politik zu begreifen, die sie ist. Es geht kaum um Rechtspolitik, - philosophie oder –geschichte. Fürs Examen muss man zwar die Scheine nachweisen – geprüft wird dieses Wissen kaum.

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Pauken statt denken 

Und wer Jura studiert, weiß, dass nur relevant ist, was geprüft wird. Belohnt wird, wer seine Scheine möglichst schnell bekommt. Es geht darum, möglichst mindestens ein Auslands-Semester noch vor den Freischuss zu schieben, die Teilnahme an einem Moot Court nachweisen zu können und am besten schon freiwillige berufsrelevante Praktika neben dem Studium, allerspätestens aber im Referendariat zu absolvieren. Bei einem Gelegenheitsstudium wie der Juristerei ist das die fatale Verfestigung und Verschlimmerung eines bestehenden Problems. Wer sowieso schon keine Überzeugung hatte, keine Fragen und keine Zweifel, der wird nicht inne halten. Es zwingt ihn nicht nur niemand dazu. Das Jurastudium gibt ihm vielmehr noch die offizielle Legitimation, sich zu beeilen, zu arbeiten und zu pauken. Er muss und er wird nicht fragen, nicht zweifeln und nicht denken - wenn es doch ausreicht, zu lernen.

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Vom Unterschied zwischen Fachsprache und schlechtem Deutsch

Und so pauken sie und glauben zu lernen, sich in der Welt der Juristerei zurecht zu finden. Und das bedeutet primär den Konsum inflationär vorhandener Information, gefolgt von der Erkenntnis der Unmöglichkeit ihrer Aufnahme und Speicherung, geschweige denn Verarbeitung. Leider zu selten folgt dem in der Konsequenz das Summarium, dass Quantität idealiter durch Qualität ersetzt werden sollte. Gibt es das auch in lesbar? Berechtigte Frage. Stattdessen beginnen die Jurastudenten mit jedem Semester mehr zu rekurrieren, Dinge mit Erstaunen zur Kenntnis oder gern auch bloß in Bezug zu nehmen. Sie präferieren Nomen gegenüber Verben, Fremdworte gegenüber den deutschen Begriffen und selbstverständlich den Passiv gegenüber Aktivformulierungen. Dabei gilt wie im richtigen Leben:Vorsicht vor Schwätzern, meist haben sie wenig zu sagen. Fachsprache definiert die Zugehörigkeit zu Berufsgruppen, aber auch zu Bildungsschichten und sozialen Kontexten. Fachspezifische Fremdworte, Abkürzungen und feststehende Ausdrücke sind sinnvoll und erforderlich, um spezifische Informationen schnellstmöglich innerhalb dieser Gruppe auszutauschen.  In jedem anderen Kontext ist Fachsprache überflüssig bis verfehlt, elitär im negativ konnotierten Sinne des Wortes und später im Berufsleben sogar kontraproduktiv. Juristen arbeiten mit Menschen. Diese müssen sie verstehen. Verschwurbelte Bandwurmsätze, überflüssige Abkürzungen, ein exzessiver Gebrauch von Nomen mit Endungen auf –ung und Passivformulierungen, die jeder Aussage die Eindeutigkeit nehmen, haben mit Fachsprache übrigens nichts zu tun. Das ist bloß schlechtes Deutsch.

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Gorillas und Kätzchen in der Bibliothek

Wem all das noch immer nicht reicht, der braucht sich bloß die Studenten anzusehen, die ein paar Semester Jurastudium auf dem Buckel haben. Dabei wollen wir die Optik von Chino bis Perlenkette, in der sich der Mainstream häufig in Perfektion manifestiert, mal völlig außen vor lassen. Viele der männlichen Studenten scheinen sich bereits im Studium auf ihr künftiges Anwaltsdasein vorzubereiten – bedauerlicherweise missverstanden als Hier-komm-ich-was-kost'-die-Welt-Attitüde in Verbindung mit der Überzeugung, dass, wer am meisten und lautesten spricht, schon am weitesten kommen wird. Die Frauen unter den angehenden Juristen sind zwar statistisch gesehen im Studium nicht nur so zahl-, sondern auch mindestens so erfolgreich wie ihre männlichen Kollegen, erst danach verschwinden sie aus den Statistiken. Man darf vermuten, dass diese späteren mangelnde Wahrnehmbarkeit von Frauen in der juristischen Berufswelt mit den Ladies zu tun hat, die dafür sorgen, dass auch die männlichen Studenten der Medizin und der BWL am liebsten in der juristischen Bibliothek lernen. Man kann finden, dass die Hier-komm'-ich-was-kost'-die-Welt-Jungs mit schräg gelegten Frauen-Köpfen, um die Finger gedrehten Locken über offenherzigen Ausschnitten und treuherzigen Augenaufschlägen nur bekommen, was sie verdienen. Der unter solchen Umständen vorgetragenen Bitte, doch bei der Hausarbeit zu helfen ("Du weißt doch gaaaaaaanz bestimmt, wie das geht"), kann dieser Schlag Mann selbstverständlich nur selten widerstehen. Den Weg zur Chancengleichheit für Frauen in den noch immer konservativ geprägten juristischen Berufen wird das Verhalten der Mädels allerdings nicht unbedingt ebnen.

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Erst kommt das Examen, dann die Moral

A propos Hilfe: Die bekommen, je weiter die Ausbildung der Rechtsanwärter fortschreitet, allenfalls noch die bettelnden Weibchen. Alle anderen werden, je weiter es auf das Examen zugeht, zunehmend eher zu Konkurrenten oder gar Feinden erklärt. Dann scheint der Zweck viele Mittel zu rechtfertigen. Da werden relevante Aufsätze versteckt, falsche Informationen gezielt gestreut und Lern-AGs im schlimmsten Fall zur Verunsicherung statt zur gegenseitigen Unterstützung genutzt. Ein älterer Anwalt schilderte mir, während ich noch studierte, eine Episode aus dem Anwaltszimmer an einem Landgericht. Es war herausgekommen, dass ein Anwalt, während der Gegnervertreter sich einen Kaffee holte,  in dessen Unterlagen in der Aktentasche geschaut hatte. Wie berechtigt die Empörung des Kollegen war, der mir davon erzählte, verstand ich eigentlich erst, als mir klar wurde, dass mein erster Gedanke gewesen war "Naja, auch ein bisschen selbst schuld, wenn der seine Tasche da stehen lässt".

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Angst essen Seele auf

Es gibt einen einfachen Grund für dieses unmoralische Verhalten: Die Jurastudenten bewegen sich in einem System der Angst. Die ist bekanntlich nicht nur ein schlechter Ratgeber, sondern kann, wenn sie über einen mittel- bis langfristigen Zeitraum auftritt, auch wesensverändernd wirken. Und das Jurastudium kann zumindest gefühlt ein sehr langer Zeitraum sein. Vom ersten Semester an wird den jungen Menschen eingeschärft, dass die Examensnote über ihr gesamtes Leben bestimmen wird. Vor jeder Klausur vermittelt man ihnen das Gefühl, dass "vier gewinnt" keinesfalls reichen wird. Dass kein anderes Studium so diffizil sowie komplex ist und eines so umfassenden Grundlagenverständnisses bedarf. Und das Schlimmste daran: Vieles davon ist wahr. Die wichtigsten Schergen des Systems sind die Studenten selbst. Nur die wenigsten unter ihnen machen sich bewusst, dass trotz der enormen Menge des Stoffs, der manchmal völlig konstruiert scheinenden Fälle und der elitär anmutenden Mentalität der Professoren, Kollegen und älteren Semester auch und gerade die Juristen, deren Studiengang nicht einmal Zugangsvoraussetzungen hat, am Ende nur mit Wasser kochen. Hand aufs Herz: Es gibt nicht wenige gute Juristen, deren offenkundiges Talent für die Rechtswissenschaft man guten Gewissens als Inselbegabung bezeichnen darf.   Die wohl größten Profiteure des Systems sind die privaten Repetitoren. Dass die meisten Absolventen eines der meistbesuchten Studiengänge Deutschlands es noch immer als normal empfinden, sich die Vorbereitung auf die staatliche Abschlussprüfung bei privaten Instituten teuer zu erkaufen, ist erstaunlicher Bestandteil der verzerrten inneren Wahrnehmung der Rechtswissenschaft.

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Die Letzten werden nicht die Ersten sein

Richtig ist, dass der Stoff der juristischen Staatsexamina quantitativ gesehen fast unermesslich ist. Er ist so groß, dass man ihn kaum in allen denkbaren Gebieten, die Prüfungsstoff sein können, so beherrschen kann, dass man sich einigermaßen sicher fühlten könnte. So gesehen eine gute Vorbereitung auf ein Berufsfeld, in dem man nie vorher wissen wird, was der Tag, die Gerichtsverhandlung, die Zeugenvernehmung bringen wird. Aber, und das ist nicht nur eine gute Nachricht: Paukerei reicht aus. Wer fleißig ist und über Jahre hinweg konstant lernt, kann ein Prädikatsexamen schaffen. Es braucht sehr viel Wissen, um ein Prädikatsexamen zu machen. Und ein wenig Logik und ein klitzekleines bisschen Glück. Eines besonders brillanten Verstandes bedarf es nicht. Er ist nicht hinderlich. Aber auch nicht zwingend nötig. Das System Rechtswissenschaft fördert diejenigen nicht, die nicht dazu bereit sind, ihre Nase jahrelang nur in Bücher zu stecken. Sie können, sie müssen es sogar mit dem berühmten Lernen auf Lücke versuchen. Oder sie könnten sehr lange studieren – wenn sie, von der Finanzierung mal ganz abgesehen, mit dem gesellschaftlichen Druck  ("Dein Cousin hat das Examen schon längst bestanden") umgehen können. Der hört mit dem Examen übrigens nicht auf. Sie werden sich für die kommenden Jahre in jedem Bewerbungsgespräch fragen lassen müssen, wieso sie so lang gebraucht haben. Denn das werden Juristen gefragt. Ein Examen außerhalb der Regelstudienzeit wird offen missbilligt, eines erst nach dem Freischuss jedenfalls nicht goutiert. Die Erkenntnis, dass es nicht zwingend die Besten sind, die nur den geradesten aller Wege nehmen und nichts außerhalb ihres Studiums zu Gesicht bekommen haben, hat sich jedenfalls in der juristischen Welt noch nicht durchgesetzt. Eingestellt wird man schließlich in der Regel von anderen Juristen. Und der Mainstream, der das Studium aufgenommen hat, verlässt ihn eben auch wieder – in vielen Fällen nicht zuletzt systembedingt verfestigt.  

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Wenn ich groß bin, will ich auch … Jurist werden?

Selbst wer das begehrte Prädikatsexamen bekommt, wird allerdings längst nicht mehr zwangsläufig reich und berühmt. Die besten Chancen darauf hat wohl, wer in eine große Wirtschaftskanzlei geht, von denen viele auch in den schwierigeren Zeiten Einstiegsgehälter von um die 100.000 Euro zahlen. Dass man diese Gehälter nicht geschenkt bekommt und dass auch in den Law Firms nach einigen Jahren stark gesiebt wird, wenn es um die Partnerschaft geht, ist hinlänglich bekannt. Im öffentlichen Dienst sind die Gehälter ordentlich, wenn auch mit denen in den Kanzleien nicht zu vergleichen. Wer aber glaubt, dort mit viel weniger Druck als in der Kanzlei Recht schaffen zu können, der irrt gewaltig. Viele junge Richter und Staatsanwälte, die zwar nicht an Billable Hours, aber an Erledigungszahlen gemessen werden, sind völlig überlastet. Und während in den Kanzleien einen guten Eindruck macht, wer möglichst lange im Büro das Licht brennen lässt, heißt es im öffentlichen Dienst im schönsten Beamten-Sprech noch häufig genug: "Schaffen Sie Ihre Arbeit etwa nicht?", wenn man zu lange im Büro sitzt. Jede Welt hat ihre Regeln. Leicht ist keine von ihnen. Und dann sind da noch all die anderen, die ohne Prädikatsexamen. Viele von ihnen schaffen es, sich dennoch eine Existenz aufzubauen. Aber von der guten alten Zeit, in der bekanntlich alles besser und Anwälte sowieso gemachte Leute waren, werden sie nicht viel mitbekommen. Viele Advokaten außerhalb der großen und mittelständischen Kanzleien verdienen kaum genug zum Leben, der Begriff der prekären Lebensverhältnisse ist unter Juristen längst kein Fremdwort mehr. Von dem Stolz, mit dem Mama den Nachbarinnen erzählt, dass auch der Sohnemann "jetzt Anwalt" ist, kann man sich nichts kaufen.

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Nein, mit Jura kann man nicht alles machen

Karriere in der Wirtschaft, noch besser in der Politik? Eine spannende Tätigkeit als Journalist? Oder gar eine literarische Karriere? Früher konnte, wer Großes vorhatte, Jura studieren.  Und recht sicher davon ausgehen, dass er damit danach fast alles würde machen können. Das ist heute nicht mehr so. Das sollte man jedem sagen, der das Studium aufnimmt in der Hoffnung, einen anderen als die klassisch juristischen Berufe zu ergreifen.  In der Wirtschaft sitzen die Betriebswirtschaftler am Ruder, in der Politik scheinen sich die Lehrer besser zu schlagen als die Juristen. Raum für Karrieren im per se schwierigen Arbeitsmarkt der (Rechts-)Journalisten ist kaum. Und ein Buch – mal ehrlich, das kann schließlich, zumal wir das Thema Juristen-Deutsch ja eben schon mal hatten, auch jeder schreiben. Es gibt jede Menge Gründe, das Jurastudium zu hassen. Die meisten davon liegen nicht in der Sache, sondern im System. Es lässt zu oft vergessen, dass Jura nicht Schemata und Examensnoten ist, sondern die Materie des Rechts. Das Recht ist eines der bedeutendsten Faktoren der Zivilisation, wie wir sie verstehen. Es ist die Aufgabe der Juristen, sie zu schützen, zu bewahren und zu entwickeln. Wer aus diesem Grund studiert und das System durchsteht, wird seinen Weg finden. Selbst wenn er das Studium gehasst hat. pl/LTO-Redaktion

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Jurastudium

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