Refugee Law Clinics abroad

Juris­ti­sches Ehrenamt in Grie­chen­land

von Manuel LeidingerLesedauer: 5 Minuten
Refugee Law Clinics haben sich an deutschen Unis etabliert. Man kann den ehrenamtlichen Dienst aber auch direkt auf der Insel Chios leisten. Manuel Leidinger über ein neues Projekt, das seine Teilnehmer fachlich wie menschlich fordert.

"Ich habe mich ohne lange zu überlegen für den Freiwilligendienst auf Chios entschieden", erzählt Antonja Keshmiri, Jurastudierende aus Freiburg. Kürzlich ist sie von ihrem 18-tägigen Aufenthalt zurückgekehrt. In dieser Zeit stand sie Geflüchteten, die im Zuge des EU-Türkei-Deals auf der griechischen Insel ankommen, als Rechtsberaterin zur Seite. Die Freiwilligen müssen vor Ort sehr stressige Tage mit rechtlich und menschlich herausfordernden Situationen meistern. Gleichzeitig bietet die Zeit dort aber auch fachlich und persönlich bereichernde Erlebnisse, die die juristische Ausbildung in Deutschland und die Teilnahme an einer Refugee Law Clinic (RLC) hierzulande nicht bieten können.

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Die Anfänge von "Refugee Law Clinics abroad"

Die Idee für das junge Projekt kam im Laufe des vergangenen Jahres auf. Wegen des EU-Türkei-Deals wurden auf ostägäischen Inseln wie dem griechischen Chios sogenannte EU-Hotspots eingerichtet. An diesen führen nationale Behörden mit Unterstützung von Europol, Frontex und des Europäischen Unterstützungsbüros für Asylfragen (EASO) Asylverfahren durch. Laut Vereinbarung im EU-Türkei-Deal sollen illegale Einwanderer, die nach dem 20. März 2016 die ostägäischen Inseln erreichen, in die Türkei zurückgeschickt werden. Im Gegenzug verpflichten sich die EU-Länder dazu, für jeden abgeschobenen Geflüchteten einen syrischen Geflüchteten aus der Türkei direkt aufzunehmen. Bei der Vertragsunterzeichnung hatten der damalige Ministerpräsident der Türkei Ahmet Davutoglu, der Präsident des Europäischen Rates Donald Tusk und EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker triumphierend in die Kamera gelächelt. Die Lage auf den Inseln in der Ostägäis sah jedoch ganz anders aus: überfüllte Flüchtlingscamps, eine schlechte gesundheitliche Versorgung und schleppende, ungeordnete Asylverfahren. Das Organisationsteam der RLC abroad, bestehend aus Clara-Anne Bünger, Robert Nestler, Vinzent Vogt und Catharina Ziebritzki, wurde im Frühjahr 2016 über die Freiwilligenorganisation Chios Eastern Shore Response Team (CESRT) auf die beunruhigende Situation auf Chios aufmerksam. So reisten die ersten Freiwilligen der RLC abroad von Mai bis Juli 2016 nach Chios und machten sich ein Bild von der dortigen Lage. Dann entwickelten sie das Konzept für ein dauerhaftes, professionelles und qualitativ abgesichertes Projekt: "Wir sind gerade deshalb auf Chios aktiv geworden, weil hier weniger Organisationen mit rechtlichem Schwerpunkt aktiv sind als zum Beispiel auf Lesbos", sagt Vogt, der an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg als wissenschaftliche Hilfskraft arbeitet.

Die Probleme auf Chios

Kommt ein Schutzsuchender auf Chios an, befragt die EU-Grenzschutzagentur Frontex ihn in einem sogenannten debriefing, also einer Nachbesprechung, zunächst nach seiner Fluchtroute. In Zusammenarbeit mit der europäischen Polizeibehörde Europol sollen die Informationen für Ermittlungen gegen Schleusernetzwerke genutzt werden. Es folgen die Registrierung in der Fingerabdruck-Datenbank Eurodac und ein Screening durch Frontex, bei dem Identität und Staatsangehörigkeit der Geflüchteten festgestellt werden. Danach warten sie auf das sogenannte admissibility interview, eine erste Zulässigkeitsprüfung zu ihrem Asylantrag. Erweist er sich danach als unzulässig, zum Beispiel weil die Türkei für den Antragssteller als sicherer Drittstaat gilt, wird der Schutzsuchende dorthin zurückgeschickt. Dabei ergibt sich häufig ein Problem: Eigentlich soll das admissibility interview auf der Grundlage griechischen Rechts erfolgen. Wie Vogt und Nestler kritisieren, wird das Interview in der Praxis jedoch häufig allein vom EASO durchgeführt, welches wiederum nur unterstützende Befugnisse hat. Die Geflüchteten werden vom EASO über ihr Recht auf einen Dolmetscher in der Muttersprache oder ihr Recht auf die Aushändigung oder Überprüfung des Anhörungsprotokolls oft nicht ausreichend aufgeklärt – und hier kommen die Teilnehmer der RLC abroad in der Rolle als "legal volunteer" ins Spiel.

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2/2: Großer Beratungsbedarf

Keshmiri berichtet: "Erschreckenderweise mussten wir fast jeden Geflüchteten über das Prozedere auf der Insel aufklären. Wir versuchen, mit ihnen individuell herauszuarbeiten, welchen Gefahren sie in der Türkei ausgesetzt sind, damit sie in der Anhörung darlegen können, warum die Türkei in ihrem Fall kein sicherer Drittstaat ist." Damit endet das Engagement der Freiwilligen aber noch lange nicht. Im Falle abgelehnter Asylanträge helfen sie bei der Einschaltung griechischer Anwälte weiter. Zudem informieren sie über die Möglichkeit einer Familienzusammenführung. "Es war immer eine Freude zu sehen, dass die eigene Arbeit etwas bewirkt hat. Nach unserer Anhörungsvorbereitung konnten die Schutzsuchenden ihre Anliegen meistens plausibel darlegen", erzählt die Keshmiri. "Eine persönliche Herausforderung ist sicherlich der Umgang mit den Schicksalen der Geflüchteten. Für mich persönlich war es unmöglich, dabei eine emotionale Distanz zu wahren."

Vereinsarbeit in Deutschland bietet die Basis

Eine ganz andere Herausforderung nahm das Organisationsteam der RLC abroad in den vergangenen Monaten in Deutschland wahr. Hier hat sich der gemeinnützige Verein inzwischen eine feste Organisationsstruktur aufgebaut. "Wenn man in erster Linie bei der Bereitstellung von Rechtsinformationen auf griechischen Inseln helfen will, hat man nicht unbedingt den bürokratischen Aufwand bei der Gründung und Organisation eines Vereins vor Augen", resümiert Vogt. Allerdings erfährt das Projekt von vielen Seiten Unterstützung. So steht etwa Prof. Dr. Nora Markard von der Universität Hamburg dem Projekt bei Fragen zur Finanzierung oder zu den Beratungsstandards zur Seite.  Die Forschungsschwerpunkte der Juniorprofessorin liegen im Internationalen Recht, Verfassungsrecht und Migrationsrecht. Außerdem wirkte sie bei der Gründung der Humboldt Law Clinic Grund- und Menschenrechte sowie der Refugee Law Clinic Hamburg mit. Sie sagt: "Die versprochene Umsiedlung von in Griechenland lebenden Flüchtlingen in andere Mitgliedstaaten geht nur extrem schleppend voran. Es mangelt deutlich an europäischer Solidarität. Dass Studierende hier anpacken wollen und praktische Hilfe vor Ort leisten, halte ich für sehr unterstützenswert." Derzeit werden neue Freiwillige durch Schulungen auf ihren Dienst vorbereitet. Am 8. Mai 2017 soll es nämlich erst richtig losgehen. Dann ist die Zeit der RLC abroad als Pilotprojekt vorbei und mit Bünger wird ein feste Koordinatorin und Volljuristin das Projekt sechs Monate lang vor Ort betreuen. So ist langfristig eine Person auf Chios, die den Überblick über wichtige Kenntnisse und Kontakte mit lokalen Akteuren behält. Auch die zukünftigen Freiwilligen wird sie anleiten.

Legal volunteers gesucht

Wer mitmachen möchte, kann dem "Call for volunteers" auf der Homepage und der Facebook-Seite folgen. Die Bewerbung schicken Interessierte per E-Mail an info@rlca.de*. Eine große Rolle spielt dabei, ob der Bewerber spezifisch asylrechtliche Kenntnisse und Beratungserfahrung hat. Auch bisheriges ehrenamtliches Engagement zählt als Kriterium viel. "Für die Arbeit auf Chios besonders gern gesehen sind Sprachkenntnisse in Arabisch oder Farsi. Dass die entsprechend selten sind, ist uns natürlich bewusst", verrät das Organisationsteam. Ein praktischer Vorteil bei der Teilnahme am Projekt: Studierende können sich den Aufenthalt als Pflichtpraktikum anerkennen lassen und Referendare haben die Möglichkeit, ihre Wahlstation auf Chios zu verbringen. Keshmiris Fazit jedenfalls lautet: "Man lernt mit dem Asylrecht ein spannendes Rechtsgebiet außerhalb des Studienplans kennen. Außerdem wurde ich durch die Tätigkeit auf Chios in meinem Entschluss bestärkt, meine juristischen Fachkenntnisse später für andere einzusetzen." Auf die Frage, wem sie den Dienst auf Chios empfiehlt, antwortet sie:" Jedem, der nicht durch nur vorübergehenden Aktionismus etwas bewirken möchte, sondern nachhaltig versucht, etwas zu verändern. Für mich ist klar, dass ich bald wieder nach Chios fahren möchte." *E-Mail-Adresse korrigiert am Tag der Veröffentlichung, 16.15 Uhr.

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