BGH zum Merkmal des "Zeugen" bei der Falschaussage

Keine Straf­mil­de­rung für den Ans­tifter

von Charlotte HoppenLesedauer: 6 Minuten

Wer jemanden zu einer falschen uneidlichen Aussage anstiftet, kommt nicht in den Genuss einer Strafmilderung – zumindest nicht nach § 28 StGB, entschied der BGH. Denn das Tatbestandsmerkmal "Zeuge" sei kein besonderes persönliches Merkmal.

Neuer Examensstoff vom Bundesgerichtshof (BGH) im Strafrecht: Das Tatbestandsmerkmal "Zeuge" im § 153 Strafgesetzbuch (StGB) ist kein täter-, sondern ein tatbezogenes Merkmal. Deshalb findet § 28 Abs. 1 StGB keine Anwendung und es gibt auch keine Strafmilderung für den Anstifter (Beschl. v. 05.02.2024, Az. 3 StR 470/23).

Das Landgericht (LG) Aurich hatte den Angeklagten unter anderem wegen Anstiftung zur uneidlichen Falschaussage nach §§ 153, 26 StGB zu einer Freiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Nach § 153 StGB macht sich strafbar, wer vor Gericht oder einer anderen zur eidlichen Vernehmung zuständigen Stelle als Zeuge oder Sachverständiger uneidlich falsch aussagt.

Gegen seine Verurteilung legte der Angeklagte Revision zum BGH ein: Er war überzeugt, die Strafe hätte nach §§ 28 Abs. 1, 49 Abs. 1 StGB gemildert werden müssen. Eine solche Milderung ist dann zwingend vorzunehmen, wenn besondere persönliche Merkmale, welche die Strafbarkeit des Täters begründen, beim Teilnehmer fehlen (Stichwort: Abschwächung der Akzessorietät).

Würde § 28 Abs. 1 StGB in diesem Fall Anwendung finden, dann hätte das LG bei der Strafzumessung nicht vom Mindestmaß des § 153 StGB (Freiheitsstrafe von mindestens drei Monaten), sondern nach § 49 Abs. 1 Nr. 3 StGB vom gesetzlichen Mindestmaß ausgehen müssen – bei der Freiheitsstrafe einen Monat (§ 38 Abs. 2 StGB). In einem solchen Fall käme dann nach § 47 Abs. 2 StGB entgegen dem Wortlaut des § 153 StGB dann auch eine Geldstrafe in Betracht. 

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§ 28 StGB als Dauergast im Examen

Die Abgrenzung von § 28 Abs. 1 und Abs. 2 StGB und die Frage, wann ein besonderes persönliches Merkmal vorliegt, ist ein Prüfungsklassiker: Jeder Student wird die Problematik im Kontext der Mordmerkmale kennen, wo die Antwort vom Verhältnis zwischen Mord und Totschlag abhängt.

Aber auch bei anderen Delikten sind die Folgen des § 28 StGB für den Teilnehmer zu beachten: So sind etwa auch die Stellung als Amtsträger (§§ 331 ff. StGB), als Arzt oder Rechtsanwalt (§ 203 StGB), der Besitz an einer anvertrauten Sache (§ 246 Abs. 2 StGB) oder auch die für den Missbrauchstatbestand des § 266 StGB erforderliche Sonderbeziehung besondere persönliche Merkmale. Und erst kürzlich hat der BGH in einem anderen – ebenfalls examensrelevanten – Urteil auch die Garantenstellung nach § 13 StGB als besonderes persönliches Merkmal anerkannt (Beschl. v. 24.03.2021, Az. 4 StR 416/20).

Mit der Frage, ob auch die Stellung als Zeuge in § 153 StGB unter § 28 StGB fällt, wird die Liste der examensrelevanten Probleme in diesem Bereich nun um einen weiteren Punkt ergänzt. Das betrifft sowohl das erste Examen, wo § 28 Abs. 1 StGB als Strafrahmenverschiebung zu prüfen ist, aber insbesondere auch das zweite Examen: Gerade in der Revisionsklausur sind Fehler des Gerichts bei der Strafzumessung im Rahmen der Sachrüge zu prüfen – so wie es der BGH hier auch gemacht hat.

Der BGH erkannte jedoch keinen Fehler des Landgerichts. Das LG habe insbesondere rechtsfehlerfrei den sich aus den §§ 153, 26 StGB ergebenden Strafrahmen zugrunde gelegt und keine Strafrahmenverschiebung gemäß § 28 Abs. 1, § 49 Abs. 1 StGB vorgenommen. Denn das die Strafbarkeit begründende und vom Angeklagten als Anstifter nicht verwirklichte Tatbestandsmerkmal "als Zeuge" in § 153 StGB sei kein besonderes persönliches Merkmal im Sinne des § 28 Abs. 1 StGB, sondern ein tatbezogenes persönliches Merkmal, auf welches die Norm keine Anwendung finde, so der BGH.

Unterscheidung zwischen täterbezogenen und tatbezogenen Merkmalen

Die Abgrenzung zwischen täterbezogenen und tatbezogenen persönlichen Merkmalen hängt nach Ansicht der Karlsruher Richter davon ab, ob das betreffende Merkmal im Schwergewicht die Tat oder die Persönlichkeit des Täters kennzeichnet. Umstände, die eine besondere Gefährlichkeit des Täterverhaltens anzeigen oder die Ausführungsart des Delikts beschreiben, seien in der Regel tatbezogen.

Im Bereich der durch Pflichten gekennzeichneten Merkmale sei für die Abgrenzung letztlich maßgeblich, welche Art von Pflicht das Merkmal umschreibt. Handelt es sich um eine vorstrafrechtliche Sonderpflicht, werde eher die Persönlichkeit des Täters gekennzeichnet und das Merkmal sei täterbezogen. Handelt es sich dagegen um ein strafrechtliches, an jedermann gerichtetes Gebot, werde eher die Tat gekennzeichnet und das Merkmal sei tatbezogen.

Nach diesem Maßstab sei das Merkmal "als Zeuge" in § 153 StGB ein tatbezogenes persönliches Merkmal, auf welches § 28 Abs. 1 StGB keine Anwendung findet.

Lösung durch die klassischen Auslegungsmethoden

Der BGH löst die Fragestellung, indem er die vier klassischen Auslegungsmethoden bemüht: Wortlaut, Historie, Systematik und Sinn und Zweck der Regelung.

Schon der Begriff des "Zeugen" im § 153 StGB sei so zu verstehen, dass das Merkmal nicht die Persönlichkeit des Täters kennzeichne, sondern Element der Deliktshandlung sei.

Dieses Verständnis decke sich mit der Entstehungsgeschichte der Norm, so der BGH. Ursprünglich habe das StGB nur eine Strafbarkeit der beeidigten Falschaussage vorgesehen. Dadurch sei aber eine Strafbarkeitslücke entstanden, weil eine Beeidigung von Aussagen aufgrund von Neuregelungen in der Straf- und Zivilprozessordnung doch nicht mehr in jedem Fall erforderlich war.

Anlass für die Schaffung des § 153 StGB sei mithin allein die Gefahr gewesen, die durch unwahre Aussagen von Zeugen (und Sachverständigen) für das Rechtsgut ausgeht, und nicht, dass ihnen eine persönliche Sonderpflicht für das Rechtsgut der Rechtspflege zukommt.

Vergleich mit § 154 StGB

Auch systematische Erwägungen stützten dieses Auslegungsergebnis, so der BGH. Dies ergebe ein Blick auf Struktur und Regelungsgehalt von § 154 StGB. Danach macht sich strafbar, wer vor Gericht oder vor einer anderen zur Abnahme von Eiden zuständigen Stelle falsch schwört.

Der Täterkreis ist laut BGH im Gegensatz zu § 153 StGB nicht beschränkt, sondern erfasse neben dem Meineid des Zeugen unter anderem die beeidete Aussage einer Partei im Zivilprozess nach § 452 Abs. 1 Zivilprozessordnung (ZPO).

Hintergrund: Soweit es sich beim Täter um einen Zeugen oder Sachverständigen handelt, ist der Meineid, § 154 Abs. 1 StGB, die Qualifikation zur falschen uneidlichen Aussage, § 153 StGB. Sobald allerdings eine Partei oder ein Dolmetscher Täter ist, ist § 154 Abs. 1 StGB als selbstständiger Tatbestand anzusehen. Denn weder Partei noch Dolmetscher sind bereits von § 153 StGB erfasst.

Im Fall der Teilnahme am Parteienmeineid gemäß § 154 Abs. 1 StGB ergäben sich aus der Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB beim Zeugen im Rahmen des § 153 StGB aber erhebliche Wertungswidersprüche, meint der BGH. Denn es fehle im Tatbestand des § 154 Abs. 1 StGB, der ausdrücklich nur "falsches Schwören" voraussetzt, ein besonderes persönliches Merkmal, das den Zivilprozessparteien eine Sonderpflicht zur Wahrheit auferlegt, sodass eine Milderung nach § 28 Abs. 1 StGB eigentlich nicht in Betracht kommt. Zur Vermeidung einer Ungleichbehandlung müsste man daher entweder auf die Anwendung des § 28 Abs. 1 StGB in Fällen des § 154 StGB gänzlich verzichten oder auch für die Zivilprozesspartei eine Wahrheitspflicht annehmen.

Telos des § 153 StGB: Schutz der Rechtspflege

Das Verständnis des "Zeugen" als tatbezogenes persönliches Merkmal decke sich schließlich auch mit der Schutzrichtung des § 153 StGB, so der BGH.

Den Straftatbeständen der §§ 153, 154 StGB liege das zum Schutz der Rechtspflege aufgestellte Verbot zugrunde, die Feststellung des Sachverhalts durch unwahre Aussagen zu gefährden. Deshalb sei das die Strafbarkeit begründende Element die unwahre Aussage als solche. Strafgrund des § 153 StGB sei somit nicht die Verletzung einer besonderen, den Täter treffenden Pflicht zur Bewahrung eines ihm anvertrauten Rechtsgutes, wie dies beispielsweise bei der Amtsträgereigenschaft der Fall ist, sondern der objektive Eingriff in das geschützte Rechtsgut.

Den Zeugen treffe schließlich auch keine besondere Verantwortung für das geschützte Rechtsgut, die einen qualitativen Unterschied zwischen dem Unrecht des Täters einerseits sowie des Teilnehmers andererseits und damit eine Lockerung der vollakzessorischen Zurechnung nach § 28 Abs. 1 StGB begründen könnte. Denn das geschützte Rechtsgut der Rechtspflege werde dem Zeugen nicht persönlich "anvertraut".

cho/LTO-Redaktion

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