The Lawyer of the Future

Keine Ent­war­nung am Recruit­ment­markt durch Digi­ta­li­sie­rung

Gastbeitrag von Prof. Dr. Klaus-Stefan HohenstattLesedauer: 6 Minuten

Legal Tech & Innovation beenden keineswegs den "War for Talent" – im Gegenteil: Der Wettbewerb um den besten Nachwuchs wird noch deutlich zunehmen, meint Klaus-Stefan Hohenstatt.

Der Mangel an erstklassigem Nachwuchs lässt in Kanzleien und Rechtsabteilungen so manches graue Haar noch grauer werden. Der Rückgang der Absolventenzahlen ist signifikant. Die Erwartungen der jungen Juristen, die sie an eine attraktive Karriere haben, und das, was Kanzleien und Inhouse Teams zu bieten haben, entwickeln sich weiter auseinander. Top Absolventen wählen häufiger als früher auch andere Karrierewege außerhalb der "klassischen" juristischen Berufe.

Diese Phänomene sind alles andere als neu. Dennoch geschieht recht wenig, um gegenzusteuern. Dies liegt zum einen daran, dass man glaubte, mit dem Drehen an der Gehaltsschraube Wettbewerbsvorteile erzielen zu können – die Tatsache, dass 2016/2017 stattdessen der ganze Markt nach oben gegangen ist, dürfte viele ernüchtert haben. Zum Anderen scheint aber die Illusion vorzuherrschen, dass sich durch Legal Tech & Innovation der Nachwuchsbedarf so weit reduziere, dass der Rückgang der Absolventenzahlen leicht zu verschmerzen sei.

Dem liegt indes eine fatale Fehleinschätzung der durch Legal Tech befeuerten Entwicklung des Rechtsmarktes zu Grunde. In Wirklichkeit wird der Wettbewerb um den guten Nachwuchs noch sehr viel härter – auf unabsehbare Zeit.

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Digitalisierung betrifft standardisierte Arbeitsfelder

Denn wir leben in so genannten VUCA Zeiten, geprägt durch Volatility (Volatilität/Flüchtigkeit), Uncertainty (Ungewissheit), Complexity (Komplexität) und Ambiguity (Mehrdeutigkeit). Die Herausforderungen für internationale Unternehmen sind in einer Weise komplex und das Tempo der ständigen (und dennoch gerade nicht planbaren) Veränderung so hoch, dass die Nachfrage nach erstklassigem Rechtsrat nicht sinkt, sondern stetig wächst. Es liegt im Wesen des VUCA Phänomens, dass diese immer neuen Herausforderungen nur sehr bedingt mit Mitteln der Automatisierung bzw. mit Artificial Intelligence (künstliche Intelligenz) zu bewältigen sind.

Unbestreitbar werden andererseits Beratungs- und Betätigungsfelder für Juristen wegfallen oder in großem Umfang von softwaregesteuerten Prozessen abgelöst werden. Hiervon werden aber in erster Linie Arbeitsfelder betroffen sein, die stark standardisiert sind oder sein könnten und die deshalb für den allerbesten juristischen Nachwuchs - und nur der ist knapp - ohnehin nicht attraktiv sind.

Die Funktion von Legal Tech erschöpft sich nicht in der Automatisierung bereits vorhandener Beratungsfelder. Durch Legal Tech werden vielmehr neue Beratungsfelder erst erschlossen. Ein Beispiel ist die Geltendmachung von Fluggastrechten. Dies war angesichts der niedrigen Streitwerte nie ein "Markt" dieser ist durch diverse Portale und deren technikbasierte Abwicklung erst entstanden. Oder Massenklagen im Konsumgüterbereich auch hier gab es früher in Deutschland kaum größeres Interesse. Erst durch Legal Tech entsteht die Möglichkeit, solche Fälle in großer Zahl effizient und damit finanziell lukrativ zu bearbeiten.

Innovation erfordert Kreativität

Die Digitalisierung des Rechtsmarkts ist ein disruptiver und radikaler Prozess – und dennoch wird er sich über lange Zeit hinweg erstrecken, vermutlich wird er viele, viele Jahre andauern. In dieser Phase wird der Bedarf an kreativen und ausgezeichneten Juristen noch weiter zunehmen – denn jede Innovation benötigt Menschen, die den Status Quo verstehen und die die Kreativität aufbringen, ihn durch völlig neue Prozesse zu ersetzen.

Mit anderen Worten: Der Bedarf wird nicht kleiner. Aber der Wettbewerb wird härter. Dies gilt vor allem deshalb, weil zu den bisherigen Kriterien, die für die Karriereentscheidungen des erstklassigen Nachwuchses maßgeblich sind, ein ganz wichtiges Kriterium hinzukommt. Dabei ist es schon im bisherigen Umfeld nicht einfach, im Wettbewerb zu bestehen. Man muss schon längst wettbewerbsfähig auf folgenden Gebieten sein:

  • Intellektuell anspruchsvolle und abwechslungsreiche Tätigkeit/Mandate
  • Hervorragende Weiterbildungs- und berufliche Entwicklungsmöglichkeiten
  • Kollegiales und menschlich angenehmes Umfeld
  • Hohes Sozialprestige des Unternehmens / der Position
  • Gute Bezahlung
  • Ausgewogene Work Life Balance
  • Ausgewogene Gender Balance / Diversity
  • Attraktiver Arbeitsort und Arbeitsumgebung
  • Gesellschaftliches Engagement / Pro Bono / Responsible Business
  • Etc.

Durch den Fokus auf Legal Tech & Innovation kommen weitere Felder hinzu, auf denen die Arbeitgeber des juristischen Nachwuchses "punkten" müssen, um perspektivisch attraktiv zu bleiben. Und dies wird nicht einfach sein. Um glaubhaft für Legal Tech & Innovation zu stehen, bedarf es eines grundlegenden Wandels der Unternehmen und Sozietäten und umfangreicher Investitionen, die nicht leicht zu stemmen sind.

Worauf es den besten Nachwuchskräften ankommen wird, haben Vertreter von Unternehmen und Kanzleien, Legal Tech Start-ups, Studenten und Alumni der Bucerius Law School bei einem Workshop des Bucerius Center on the Legal Profession zum Thema "The Lawyer of the Future" diskutiert. Die Ergebnisse können keine wissenschaftliche Fundierung in Anspruch nehmen – aber sie erscheinen plausibel und decken sich mit den jüngsten Erfahrungen aus meiner eigenen Praxis.
Innovation und ihre Glaubwürdigkeit

Die Jurastudenten selbst haben schneller als manche Rechtsabteilung oder Kanzlei erkannt, auf welche Veränderungen der Rechtsmarkt zusteuert. Insbesondere ist ihnen die Bedeutung von Legal Tech längst klar. Sie drängen deshalb ihre Universitäten, über das juristische Standard Angebot hinaus diejenigen Fähigkeiten zu schulen und zu fördern, die in Zukunft mit entscheidend sein werden.

So führt die Bucerius Law School bereits ein Technology Certificate für ihre Studenten ein, andere Universitäten werden nachziehen. Folgen muss auch eine Reform der Juristenausbildung, die zur Kenntnis nimmt, dass der ohnehin ausufernde Katalog prüfungsrelevanter Rechtsgebiete zugunsten der Vermittlung wichtiger Zusatzqualifikationen abgespeckt werden muss. Dazu gehört die Vermittlung von Verständnis für wirtschaftliche Zusammenhänge, Arbeitsorganisation und Process Management, Legal Tech, Recht und Gesellschaft etc.

Die stärkere Bedeutung von Innovation und Technologie wird bewirken, dass Rechtsabteilungen und Sozietäten daran gemessen werden, wie glaubwürdig ihr Innovationskonzept ist und wie weit sie mit dessen Umsetzung konkret fortgeschritten sind. Der exzellente Nachwuchs möchte die Karriere dort beginnen, wo er sein Interesse und seine Kenntnisse in Legal Process Management und Legal Tech konkret umsetzen und sich auch weiter entwickeln kann und wo er eine Atmosphäre vorfindet, in der Innovation gefördert und sowohl finanziell als auch strategisch unterstützt wird.

Partner-Associate-Hierarchie in Einzelbüros vor dem Aus

Der Wandel im Rechtsmarkt erzwingt neue Arbeitsweisen und vielfältigere Karrieremöglichkeiten. Viele Sozietäten sind mit der flachen, aber umso ausgeprägteren Partner-Associate-Hierarchie sehr weit gekommen. Doch in dem Maße, in dem zur reinen Rechtsberatung immer mehr hinzukommen muss - wirtschaftliche und strategische Kompetenz, der "Trusted Advisor", aber eben auch sehr viel mehr die Bewältigung komplexer Prozesse und die effiziente Herstellung eines "Beratungsprodukts" - nimmt auch die Zahl der Rollen zu, die in einem so komplexen Zusammenspiel zu vergeben sind.

Diesen Herausforderungen kann man nicht mehr allein mit dem Partner-Associate Modell mit vielen klugen Anwälten im Einzelbüro bewältigen. Für viele von uns wird sich die Arbeitsumgebung dem annähern, was bei Apple oder Google schon längst selbstverständlich ist. Es wird Teamfähigkeit gefragt sein - und diese muss unterstützt werden durch entsprechend gestaltete Arbeitsplätze, die sich nicht zwingend in einem Einzelbüro befinden müssen.

Mit ein bisschen "Loftfeeling" und ein paar bunten Loungesesseln wird es aber nicht getan sein. Es geht um wirkliche grenz- und praxisübergreifende Kollaboration, die durch entsprechende technische Plattformen unterstützt wird. Diese Kollaboration wird nicht nur Juristen und ihre administrativen Helfer einschließen, sondern zunehmend andere Disziplinen.

Mit anderen Worten: Der Wettbewerb um die klugen Köpfe wird um eine wichtige Dimension erweitert und wird von allen Akteuren viel zusätzliche Anstrengung erfordern. Dies gilt aber umgekehrt auch für den Nachwuchs. Schon heute ist die Liste der Anforderungen an den erfolgreichen Juristennachwuchs lang und geht weit über die "juristischen Primärtugenden" hinaus. Mit dem technisch unterlegten Wandel des Rechtsmarktes kommen weitere Anforderungen hinzu. Muss man sich davor fürchten? Ich meine nein: Ich kann mir kein spannenderes berufliches Umfeld vorstellen, heute mehr als je zuvor.

Prof. Dr. Klaus-Stefan Hohenstatt ist Partner bei Freshfields Bruckhaus Deringer und Co-Direktor des Bucerius Center on the Legal Profession in Hamburg.

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