Ein Tag in der Kanzlei 2030

Es bleibt alles anders

von Anna K. BernzenLesedauer: 5 Minuten
Die Empfangsdame ist ein Roboter, das Mandantengespräch wird von einem Hologramm geführt: So futuristisch wird es in der Kanzlei der Zukunft wohl nicht zugehen. Viele wegweisende Trends lassen sich jedoch schon heute erkennen. Anna K. Bernzen hat einigen von ihnen nachgespürt.

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Piep, piep, pieeeep. Der Wecker klingelt. Es ist der 13. Juni 2030, 7 Uhr morgens. Der Anwalt wälzt sich aus dem Bett und schlurft müde ins Badezimmer. Ein langer Tag in der Kanzlei der Zukunft steht ihm bevor. 9.00 Uhr: Fachlektüre ohne Umblättern Im Büro angekommen greift er zum Tablet-Computer und wirft einen Blick auf den Twitter-Kanal der Kanzlei. "Neues BGH-Urteil zur #Fusionskontrolle", blinkt es auf seinem Bildschirm. Ein Klick, schon hat er den Text heruntergeladen. Noch ein Klick, und eine Liste voller Links zu passenden Aufsätzen taucht auf. Rote, grüne, dunkelblaue Zeitschriften voller kleingedruckter Aufsätze auf dünnem Papier? Die kennt der Anwalt bloß aus Erzählungen. "Früher hat man morgens durch Fachzeitschriften geblättert, dann kam der Klick auf die Websites dazu, heute kriegt man Informationen noch schneller und einfacher auf dem eigenen Kanal präsentiert", erklärt Thomas Schwenke. Schwenke konzentriert sich als Rechtsanwalt auf das Social-Media-Recht und ist selber in sozialen Netzwerken präsent. Diese werden immer mehr zu einer Quelle für juristische Informationen. Statt Aufsätze in Fachzeitschriften zu suchen, können Juristen dort ihren Lieblingsautoren folgen und haben so augenblicklich Zugriff auf deren Texte. Um die Informationsflut zu filtern, können sie etwa auf Twitter Listen anlegen, in denen die Kommentare zu einem Themengebiet zusammengefasst werden, oder sich in Netzwerken wie Google+ virtuellen Gruppen anschließen, in denen Juristen diskutieren. 10.00 Uhr: Management-Erfahrung statt Top-Noten Es klopft. Eine junge Frau steckt ihren Kopf durch die Bürotür des Anwalts. Sie hat heute ihr Vorstellungsgespräch für eine Stelle als Associate in der M&A-Abteilung der Kanzlei. Der Anwalt hat ihren Lebenslauf gelesen: Nach dem Jurastudium hat die Bewerberin als Abteilungsleiterin in einem kleinen Unternehmen gearbeitet, später einen MBA gemacht. Ungewöhnlich für eine Juristin? Nein, optimale Voraussetzungen für einen Job in der Kanzlei der Zukunft, findet Unternehmensberater Ralf Schön: "Es wird nicht mehr nur um die Note im Examen gehen. Anwälte müssen auch Management-Fähigkeiten mitbringen." Schön entwickelt Strategien für Anwaltskanzleien. Viele seiner Kunden sind als Partnergesellschaft organisiert. Mit Schlagworten wie "Management by Objectives" oder "Lean Production" haben sich die Anwälte dort bisher kaum befasst. Das muss sich ändern, glaubt Schön: "Die Management-Fähigkeiten der Partner werden über Erfolg und Misserfolg der Kanzlei entscheiden." Zumindest der Funktionsbezeichnung nach klingt auch heute so mancher Anwalt schon recht unternehmerisch - als Geschäftsführer, Vorstand oder Aufsichtsrat nämlich, wenn seine Kanzlei in der Rechtsform einer GmbH oder AG organisiert ist. Das sind bislang jedoch die wenigsten, wie Zahlen der Bundesrechtsanwaltskammer zeigen: 535 GmbHs und 23 AGs zählte sie 2012, bei insgesamt etwa 45.000 Kanzleien. Einen deutlichen Zuwachs im Segment der haftungsbeschränkten Sozietäten soll die noch im Gesetzgebungsverfahren befindliche "Partnergesellschaft mit beschränkter Berufshaftung" mit sich bringen, die verspricht, die Vorteile etwa einer LLP (Limited Liability Partnership) ohne die üblichen Nachteile von Kapitalgesellschaften zu gewährleisten. 11.00 Uhr: Mandantenakquise durch Empfehlungsgezwitscher Nachdem der Anwalt die Bewerberin verabschiedet hat, greift er erneut zum Tablet. Während des Gesprächs hat es geblinkt. Ein Kollege hat den Anwalt einem Freund empfohlen. "Manche Twitter-Nutzer suchen über ihren Kanal juristischen Beistand", berichtet Thomas Schwenke. Zwitschert beispielsweise jemand ‘Wer kennt sich mit Verbraucherschutz aus?‘, kann in der Antwort direkt auf den Anwalt verwiesen werden. "Schreibt jemand ‚Guck dir doch mal @thsch an’, kann ich den potentiellen Mandanten gezielt kontaktieren", beschreibt Schwenke (@thsch) die Mandantenakquise. Auch in anderen sozialen Netzwerken können Kanzleien mit eigenem Profil auf Mandantensuche gehen. Hat die Kanzlei etwa einen Artikel zu einem aktuellen Urteil gepostet, kann sich in den Kommentaren hierzu eine Diskussion entwickeln. Bei einer speziellen Rechtsfrage eines Nutzers können die Anwälte ihn auf den klassischen Kommunikationsweg verweisen und an eine virtuelle Diskussion ein Beratungsgespräch in der Kanzlei anschließen. 13.00 Uhr: Hochladen statt Ausdrucken Nach der Mittagspause schreibt der Anwalt einen Eintrag im kanzleieigenen Blog zum BGH-Urteil in Sachen Fusionskontrolle. Genauso wie seine Kollegen publiziert er regelmäßig kürzere Abrisse zu seinem Fachgebiet. Zu fast jedem Rechtsgebiet laden netzaffine Juristen schon heute ihre Einschätzungen hoch. Im Fachjargon heißen ihre Seiten Blawgs, eine Abwandlung der klassischen Blogs. Dort kommentieren sie aktuelle Urteile und Gesetzesvorhaben oder berichten aus ihrem Kanzleialltag. Dass durch die Online-Kommentare potentielle Mandanten mit Gratis-Fachwissen gefüttert und die Anwälte bald arbeitslos werden, glaubt Schwenke aber nicht: "Jedes Mandat ist ein Einzelfall, auf den kein Blogeintrag perfekt passt." 16.00 Uhr: Hilfe von außen erwünscht Pling. Die Rohfassung der Due Diligence für eine anstehende Unternehmensfusion landet im E-Mail-Postfach des Anwalts. Schon lange führt seine Kanzlei die umfangreichen Überprüfungen nicht mehr selbst durch. Eine Unternehmensberatung sortiert die nötigen Dokumente, scannt sie ein und stellt sie für die beratenden Anwälte in einer Datenbank zusammen. Aus betriebswirtschaftlicher Sicht sehr sinnvoll, findet Ralf Schön: "In den meisten Branchen sind Produktion und Vertrieb zwei völlig verschiedene Aufgabenbereiche. In den Kanzleien aber werden beide noch von einer Person wahrgenommen." Einer Person, wohlgemerkt, die dafür unter Umständen mehrere hundert Euro Stundenlohn erhält – ganz gleich, ob sie juristischer Arbeit, oder administrativem Handwerk nachgeht. Gerade standardisierbare Aufgaben könnten auf externe Dienstleister ausgelagert werden, so Schön. In einer Studie fand seine Strategieberatung 2011 heraus, dass eine solche Beauftragung externer Dienstleister besonders häufig in den Rechtsgebieten des Geistigen Eigentums und bei der Vertragsgestaltungen erfolgt. Was in den Rechtsabteilungen der Unternehmen längst Usus ist, könnte auch für die Kanzleien von Vorteil sein: Bis zu 20 Prozent Beratungskosten ließen sich durch das so genannte "Legal Process Outsourcing" locker einsparen, schätzt der Berater. 16.30 Uhr: Arbeit für die Kleinstadt Der Anwalt überfliegt die Rohfassung der Due Diligence schnell. Morgen schon muss sie fertig sein. Er klickt in seinem E-Mail-Postfach auf „Weiterleiten“. Die finale Version des Dokuments wird nicht etwa von seinem Schreibtisch aus entstehen: Die nötigen Dateien werden nun per E-Mail in eine hundert Kilometer entfernte Kleinstadt geschickt, wo junge Kollegen sie in die richtige Form bringen. "Nearshoring" nennt sich diese Form der Arbeitsteilung. "Der Vorteil: Die Aufgaben werden in der Nähe erledigt und können kontrolliert werden. Gleichzeitig können gegenüber der teuren Großstadt-Kanzlei in bester Lage deutlich Kosten eingespart werden", erklärt Schön. Anders als beim "Offshoring" bleiben die Mandate dabei nicht nur im Land, sondern sogar in der Firma. Die Büroräume des repräsentativen Kanzleigebäudes dienen in diesem Modell als Aushängeschild, in dem der Mandantenkontakt stattfindet, die eigentlichen Schriftsätze hingegen werden im Kleinstadtbüro erstellt, dessen Miete nur einen Bruchteil kostet. 19.00 Uhr: Manches ändert sich nicht... Der Anwalt schaltet den Tablet-Computer aus. Der Twitter-Kanal ist überprüft, das Google+-Profil geupdatet, das Jobangebot an die junge Bewerberin herausgeschickt. Zuhause wartet ein Glas Wein auf ihn. Er freut sich: Feierabend.

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