Oberstaatsanwalt berät Filmemacher

"Der 'Tatort' hat keinen Erzie­hungs­auf­trag"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Olaf König ist Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main und berät Drehbuchautoren zu juristischen Fragen. Im Interview erzählt er, wie er zu seinem besonderen Nebenjob kam und wie realistisch ein Krimi sein muss.

LTO: Herr Dr. König, Sie sind hauptberuflich Oberstaatsanwalt in Frankfurt am Main. Für welche Delikte ist Ihre Abteilung zuständig?

Dr. Olaf König: Ich leite eine Abteilung für allgemeine Strafsachen und Kapitaldelikte. Wir führen also Ermittlungen zu Mord und Totschlag, aber auch zu Delikten wie Geiselnahme, Raub, Betrug und Diebstahl. Eigentlich geht es um nahezu alle Delikte aus dem Kernbereichsstrafrecht. Fälle aus dem Nebenstrafrecht, also z. B. Wirtschaftsdelikte, Jugendstrafsachen, Umweltdelikte und Verstöße gegen das Betäubungsmittelgesetz, bearbeiten wir nicht.

Außerdem beraten Sie Drehbuchautoren zu juristischen Fragen, damit diese in ihren Filmen keine Fehler machen. Wie sind Sie zu Ihrem außergewöhnlichen Nebenjob gekommen?

Vor vielen Jahren habe ich an einem Samstag in meiner Behörde gearbeitet; das mache ich manchmal, wenn ich etwas mehr Ruhe brauche. Plötzlich stand eine Frau vor der Tür, die froh war, hier auf einen Menschen zu treffen. Sie arbeitete beim Fernsehen und wirkte an der Produktion des Krimis "Ein Fall für zwei" mit, der am Wochenende in den Justizräumen gedreht wird. Dem Kameramann war es im Gerichtssaal bildtechnisch zu düster. Deshalb wollte er "etwas Buntes" haben. Ich habe der Dame meinen roten Gesetzestext und noch andere farbige Bücher gegeben. Sie hat mich dann ans Set eingeladen und da habe ich zum ersten Mal gesehen, wie Fernsehfilme gemacht werden. So fing alles an.

Mittlerweile arbeiten Sie vor allem für die ZDF-Serie "Der Staatsanwalt". Wie kam das?

Vor einigen Jahren habe ich dann in Frankfurt die Produzentin des "Staatsanwalts" kennengelernt, die mich gefragt hat, ob ich dabei nicht beraten möchte. Ich war erstmal skeptisch, weil ich ja gar nicht wusste, wie das alles funktioniert, aber habe es dann mal probiert. Mittlerweile gibt es über 100 Folgen; ich bin in etwa bei der 20. Folge eingestiegen. Am Anfang war ich noch sehr unbeholfen und habe immer nur juristische Fehler gesucht. Irgendwann habe ich dann aber angefangen, Ideen aus der Rechtswirklichkeit beizusteuern.

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"Ich habe Rainer Hunold mit ins Schwurgericht genommen"

Wie kann man sich das in der Praxis vorstellen?

Ich überlege, mit welchen juristischen Auseinandersetzungen man den Hauptdarsteller Rainer Hunold als Oberstaatsanwalt in Szene setzen kann. Das kann etwa eine Haftprüfung sein, in der ihm die Verteidigerin die Hölle heiß macht, um den Richter zu überzeugen, den Haftbefehl aufzuheben.

Mittlerweile schreibe ich die Szenen im Drehbuch auch selbst. Vorher haben die Drehbuchautoren sich oft abgemüht und ich musste Ihnen dann später sagen, dass das alles juristisch so nicht geht. Deshalb steige ich jetzt früher ein und überlege mir Dialoge. Wie spricht der Oberstaatsanwalt mit dem Richter, wie spricht man mit Zeugen in der Hauptverhandlung? Ich habe dann angefangen, Charaktere mitzuentwickeln und bin in diese Rolle langsam reingewachsen.

Außerdem schule ich die Darsteller. Ich habe zum Beispiel Rainer Hunold einmal mit ins Schwurgericht genommen, als ich dort Sitzungsvertreter war. Er hat sich die ganze Verhandlung angesehen und meinte danach, dass er sich mittlerweile bei Gerichtsszenen wohler fühlt, weil er eben weiß, wie alles in der Realität abläuft.

Eignen sich auch Ihre eigenen Fälle als Stoff für Krimis?

Ja, aber das ist schwierig. Allerdings gibt es immer wieder skurrile Szenen, die sich für Filme eignen. So etwa diese: Durch ein Versehen haben wir einmal einen Mann beerdigen lassen, der eigentlich hätte obduziert werden müssen. Wir mussten den Toten deshalb mit einem Bagger wieder ausgraben. Die Koordination hat eine junge Kollegin übernommen.  Die Ausgrabung fand nachts statt, damit der – mutmaßliche – Mörder davon nichts mitbekommt und keine Beweise vernichten kann. Leider wurde das zuständige Polizeirevier aber nicht über die Exhumierung informiert. Aufgrund des Lärms haben besorgte Anwohner natürlich die Polizei verständigt. Die Beamten haben dann mit vorgehaltener Schusswaffe die vermeintlichen Straftäter – die Staatsanwältin, den Mitarbeiter des Friedhofsamtes, den Baggerführer und die anderen Beteiligten – festgenommen. Die Staatsanwältin hatte aber den Obduktionsbeschluss dabei und alles hat sich dann aufgeklärt. Man möchte nicht, dass so etwas im wahren Leben passiert, aber das eignete sich natürlich perfekt für einen Krimi.

"Die Zuschauer entscheiden über einen Film"

An welchen Filmen haben Sie noch mitgearbeitet?

Unter anderem am Tatort Köln. Ich konnte auch Dietmar Bär und Klaus Behrendt kennenlernen, die beide sehr sympathisch sind. Dort war ich schließlich am Set, denn von Frankfurt aus ist das ja nicht weit.

Und bei der ZDF-Serie "Die Jägerin" mit Nadja Uhl und Dirk Borchardt arbeite ich auch mit. Die Serie ist meiner eigenen Abteilung bei der Staatsanwaltschaft Frankfurt nachempfunden. "Die Jägerin" soll abbilden, wie die Arbeit bei der Staatsanwaltschaft wirklich ist. In der Serie ist der Oberstaatsanwalt allerdings kein besonders angenehmer Mensch, das erwarten die Zuschauer aber offensichtlich bei Vorgesetzten auch. Ich musst mich also selbst in den Drehbüchern so darstellen.

Der nicht-juristische Zuschauer langweilt sich wohl, wenn sich die Kommissare im Tatort an alle Regeln halten und Kommissar Faber keine Alleingänge mehr macht. Wie realistisch muss ein Krimi sein?

Aus meiner Sicht muss man unterscheiden, um welche Formate es geht. Beim "Staatsanwalt" ist Oberstaatsanwalt Reuther der Dreh- und Angelpunkt. Reuther muss sich an gewisse Regeln halten, aber man kann die Geschichte ja trotzdem spannend erzählen. Beim "Tatort" geht es um Polizisten. Bei denen kann man zwar etwas großzügiger sein, aber bei Mordermittlern ist das bedenklich. Die produzieren Beweisverwertungsverbote, wenn sie etwa den Beschuldigten nicht richtig belehren oder die Beweismittel in unzulässiger Weise erlangen. Die Handlungen sind oft unrealistisch. Aber es entscheidet ja keine Kommission mit drei Berufsjuristen über einen Film, sondern die Zuschauer. Wenn das spannend erzählt ist und der Film sechs Millionen Zuschauer hat, hat das Drehbuch Recht.

Der "Tatort" hat keinen Erziehungsauftrag. Es gibt Sachen, die grotesk rechtsstaatswidrig sind, da möchte ich nicht, dass meine fachliche Beratung offiziell erwähnt wird. Aber man kann es auch aus einer anderen Perspektive betrachten und beispielsweise von den Zwängen einer Polizistin berichten, die weiß, dass der Beschuldigte die Tat begangen hat, das aber nicht beweisen kann und überlegt, wie sie – vielleicht eben illegal - an Beweismittel kommt. Das Prinzip der materiellen Gerechtigkeit geht aber nur so weit, wie wir jemanden justizkonform überführen können. Auch das kann man in Filmen mal thematisieren.

"Ich habe zweimal beim ‘Staatsanwalt’ mitgespielt"

Haben Sie auch selbst schon einmal vor der Kamera gestanden?

Ja, mehrmals tatsächlich.

Vor ein paar Jahren habe ich mal einen Oberstaatsanwalt beim "Staatsanwalt" gespielt, weil drei Minuten gefehlt haben. Dann hat die Regie gefragt, welche Szene man noch einbauen könnte. Der "Staatsanwalt" sollte dann einen Kollegen begrüßen, den ich gespielt habe. Ich hätte nicht gedacht, wie schwierig es ist, eine Treppe herunterzugehen, einen Kollegen auf der Hälfte der Treppe zu treffen, zum richtigen Zeitpunkt die Hand auszustrecken und zwei gerade Sätze zu sagen. Wir haben das bestimmt fünfmal gedreht. Am Ende hatte ich noch eine Referendarin dabei, die Berufsschauspielerin ist und mir gesagt hat, was ich wann machen soll. Da muss man auch über sich selbst lachen können.

Und jetzt im Sommer habe ich, auch beim "Staatsanwalt", in einer kurzen Szene einen Strafverteidiger gespielt. Für diese Rolle war aus Kostengründen eigentlich nur ein Komparse vorgesehen, die sprechen aber nicht. Im Drehbuch hatten wir aber geplant, dass der Strafverteidiger einige Sätze sagen muss. Dann habe ich die Rolle übernommen. Natürlich nur mit Komparsenvergütung. Die Folge wird Anfang 2024 ausgestrahlt.

Werden Sie oft auf die Filme angesprochen?

Meine Kollegen schauen sich den "Staatsanwalt" an – und wenn dann nicht alles juristisch korrekt ist, werde ich schon gefragt, was ich da eigentlich gemacht habe.

Leute, die nicht wissen, dass ich nebenbei Filmemacher berate, bekommen das oft auch gar nicht mit, mein Name erscheint ja nur im Abspann. Allerdings bin ich, nachdem ich im Film mitgespielt habe, auch schon mal im Gerichtssaal angesprochen worden, ob ich denn „der aus dem Fernsehen“ bin.  

"Die Filmberatung ist keine Arbeit für mich"

Sie sind auch AG-Leiter und Prüfer im Zweiten Staatsexamen. Dienen Ihnen die Krimis manchmal als Vorlage für die Examensfälle oder umgekehrt?

Weder noch. Ich führe aber eine Liste mit interessanten Problemen, die ich in meiner täglichen Arbeit als Staatsanwalt erlebe. In die rechte Spalte schreibe ich Fälle, die prüfungsrelevant sind, die also rechtlich interessant sind. In die linke Spalte kommen "spektakuläre" Erlebnisse, die sich für Krimis eignen.

Oberstaatsanwalt, AG-Leiter, Prüfer im Staatsexamen, Berater für Filmemacher – wie schaffen Sie das alles?

Mein Hauptjob ist natürlich meine Tätigkeit bei der Staatsanwaltschaft Die Filmberatung mache ich nebenberuflich in meiner Freizeit – aber das auch wirklich gerne. Das ist keine Arbeit für mich. Die Beratung erdet mich auch und ist ein Blick in eine ganz andere Welt, von meiner reglementierten Beamtenwelt hin zu den großen Unsicherheiten bei den Akteuren in der Filmwelt: Bekomme ich überhaupt Geld, wie viel Geld bekomme ich, wann bekomme ich das? Und über die Arbeit entscheidet das Publikum, die Einschaltquote; unabhängig davon, wie gut die Filme sind. Man kann sich glücklich schätzen, wenn man sein Gehalt regelmäßig am Anfang des Monats auf dem Konto hat.

Vielen Dank für das Gespräch!

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