Anwälte im Transportrecht

Wer haftet für Schwei­ne­hälften auf der Auto­bahn?

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 7 Minuten

Großbrände auf Containerschiffen, Havarien, Blockade des Suez-Kanals: Bei den Hamburger Transportrechtlern Jan Albers und Tristan Exner landen krasse Fälle auf dem Schreibtisch. Im Interview berichten sie davon.

LTO: Herr Exner, Herr Dr. Albers, täglich werden tausende Tonnen Waren auf der ganzen Welt transportiert – dennoch hat man mit dem Transportrecht im Allgemeinen eher wenige Berührungspunkte. Woher kommt Ihre Faszination für dieses exotische Rechtsgebiet?

Tristan Exner: Ich habe das Transportrecht im Studium an der Universität Hamburg kennengelernt, im Schwerpunktbereich "maritimes Wirtschaftsrecht". Den gibt es nur dort. Ich habe unter anderem Vorlesungen im Transportrecht, im Seehandelsrecht und im Seevölkerrecht besucht – und mich direkt dafür begeistert. Meine Verwaltungsstation im Referendariat habe ich bei der Dienststelle Schiffsicherheit der BG Verkehr gemacht und die Anwaltsstation hier bei Segelken & Suchopar. Das See- und Transportrecht hat mich also nicht mehr losgelassen.

Dr. Jan Albers: Bei mir war es ähnlich, ich bin auch schon im Studium zu diesem Rechtsgebiet gekommen. Hamburg versteht sich ja als "Tor zur Welt" und die maritime Ausrichtung sieht man auch an der Uni. Es gibt ein Institut für Seerecht und Seehandelsrecht und eine eigene Bibliothek für Seerecht. Hamburg ist zudem der Sitz des Seegerichtshofes der Vereinten Nationen, der in der Praxis für uns allerdings geringere Bedeutung hat, der Streitigkeiten in völkerrechtlichen Fragen klärt.

Was sind die Hauptthemen eines Anwalts im See- und Transportrecht?

Albers: In den meisten Fällen geht es um Transportschäden. Unsere Aufgabe ist es, die Schadensersatzansprüche wenn möglich außergerichtlich, aber oft dann auch vor den Schiedsgerichten oder ordentlichen Gerichten im In- oder Ausland geltend zu machen. Eine große Rolle spielt auch die Vertragsgestaltung. Wir müssen bestimmte Risiken, die sich beim Transport ergeben können, vertraglich absichern, beispielsweise Risiken bei neuen Transportarten wie dem Drohnentransport.

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LKW-Unfälle und Großbrände auf Containerschiffen

Welche Fälle bearbeiten Sie?

Albers: Die Spannbreite ist sehr groß und reicht von LKW-Unfällen über Schäden beim Lufttransport bis hin zu Großbränden auf Containerschiffen oder Autofrachtern. Ein Fall, den wir uns immer wieder gerne erzählen, ist der Fall der Schweinehälften aus dem Jahr 2011. Ein mit 22 Tonnen Schweinehälften beladener LKW verunglückte und die Ladung verteilte sich auf der A28. Dann muss geklärt werden, wer für solche Transportschäden haftet.

Beim Seetransport geht es um Kollisionen oder Havarien auf Hoher See. Ein bekannter Fall ist die Havarie der Mol Comfort, die 2013 im indischen Ozean zerbrach. Dabei gingen tausende Container unter. Die Havarie der Ever Given hat im Jahr 2021 den Suezkanal für eine knappe Woche blockiert. Und wegen der Angriffe der Huthi-Rebellen müssen Schiffe den Suezkanal ja schon seit Monaten umfahren. Auch Piraterie ist nach wie vor ein Thema.

Welche rechtlichen Fragen ergeben sich denn aus der Blockade des Suez-Kanals?

Exner: Vor allem geht es um Verzögerungsschäden. Die Vertragspartner hatten die Dauer und Kosten des Transports kalkuliert und vereinbart – in diesem Fall mussten die Schiffe nun einen erheblichen Umweg um das Kap der Guten Hoffnung fahren. Das kostet Zeit und Geld, die Schiffe haben beispielsweise einen höheren Verbrauch an Schweröl bzw. anderen Antriebsstoffen und müssen mehr Charterraten zahlen – teilweise im fünf- oder sechsstelligen Bereich. Das sind hohe Kosten, die entstehen und letztlich auch beim Verbraucher ankommen können.

Albers: An diesem Beispiel merkt man, wie abhängig die internationalen Warenströme von kleinen Einflussfaktoren sind. Das wurde auch bei der Schließung asiatischer Häfen wegen der Corona-Pandemie deutlich. Erhebliche Engpässe bei Containerkapazitäten führten zu den Verzögerungen. Dadurch waren bestimmte Waren gar nicht mehr bzw. erst nach Monaten wieder lieferbar und sind viel teurer geworden. Wir als Anwälte können dies zwar rechtlich begleiten und einige Fragen klären, aber letztlich auch nur zuschauen.

"Regelungen sind im Habersack gar nicht abgedruckt"

Welche Rechtsgrundlagen gibt es denn im Transportrecht?

Exner: Im deutschen Recht gibt es das vierte und fünfte Buch des Handelsgesetzbuches (HGB). Dort finden sich Regelungen über Frachtgeschäfte und den Seehandel. Diese Normen sind in den meisten Gesetzessammlungen zum HGB und im Habersack gar nicht abgedruckt. Das zeigt natürlich auch, wie viele Berührungspunkte man mit dem Thema im Laufe seiner juristischen Ausbildung hatte – nämlich normalerweise gar keine.

Da die Transporte in nahezu allen Fällen grenzüberschreitend sind, gibt es zudem viele internationale Übereinkommen, zum Beispiel die Internationale Vereinbarung über Beförderungsverträge auf Straßen (CMR) und das Montreal-Übereinkommen für die Luftbeförderung internationaler Art. Daneben gibt es noch viele Nebengesetze wie das Binnenschifffahrtsgesetz oder die Flaggenrechtsregisterverordnung.

Das klingt ja erstmal relativ trocken…

Albers: Ist es aber überhaupt nicht. Gerade die Internationalität ist spannend. Wir haben es ja nicht nur mit deutschem Prozessstoff vor deutschen Gerichten zu tun, sondern versuchen im Austausch mit internationalen Kollegen, Lösungen zu finden und müssen die Wechselwirkungen verschiedener Rechtssysteme einkalkulieren. Teilweise führen wir zwei Verfahren parallel, eines in einem Common-Law-Staat und eines bei uns.

Insgesamt gibt es wenig Rechtsprechung im Transportrecht. Für uns Anwälte bedeutet das, dass wir die Rechtsfortbildung aktiv mitgestalten können. Oft bringen wir unsere Verfahren bis vor den Bundesgerichtshof (BGH), um Rechtsfragen klären zu lassen.

Haben Sie ein Beispiel für eine solche Rechtsfrage, die der BGH geklärt hat?

Exner: Erst im vergangenen Jahr hat einer unserer Fälle eine Fallgruppe geprägt, bei der eine Mahnung nach § 286 Abs. 2 Nr. 4 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) entbehrlich ist. Es ging um Ersatzteile für ein Auto-Cockpit aus Deutschland, die nach Mexiko verschifft werden sollten. Es gab aber Verzögerungen und es zeichnete sich ab, dass das Werk in Mexiko, in dem die Autos zusammengebaut werden, wegen der Transportverzögerung über See stillstehen würde. Daher hat der Automobilzulieferer aus Schadensminderungsgesichtspunkten entschieden, die Teile per Luft nach Mexiko zu bringen, was natürlich teurer war. Diese erhöhten Kosten waren Gegenstand der BGH-Entscheidung. Da das deutsche Seehandelsrecht keine Regelungen zur Verzugshaftung enthält, greift man auf § 286 BGB zurück. Vor dem BGH ging es dann beispielsweise darum, wann eine solche Beförderungsleistung fällig ist und ob eine Mahnung erforderlich ist. Der BGH hat entschieden, dass die Mahnung nach Abwägung der beiderseitigen Interessen entbehrlich ist (Urt. v. 20.04.2023, Az. 1 ZR 140/22).

"Gesetzesentwicklung im Transportrecht ist träge"

Sie sind seit zehn Jahren im Geschäft. Was hat sich seitdem im See- und Transportrecht verändert?

Albers: Die Gesetzesentwicklung im Transportrecht ist eher träge. Die letzte große Reform des Landfrachtrechts war 1998. Das Seehandelsrecht wurde 2013 reformiert.

Was sich aber natürlich verändert hat, sind die Kapazitäten der Großcontainerschiffe – und damit auch die Risiken. Wenn etwas passiert, dann geht es nicht mehr um 4.000 Container wie vor einigen Jahren, sondern die Großcontainerschiffe können mittlerweile etwa 23.000 Standardcontainer transportieren.

Das heißt, wir reden über riesige Schadensersatzsummen?

Albers: Es können hohe Schäden entstehen. Es gibt aber eine Besonderheit im Vergleich zum "normalen" Schadensersatzrecht, denn die Unternehmen können einen Schaden nicht in voller Höhe geltend machen. Das Transportrecht berücksichtigt, dass auch ein Interesse der Spediteure, Frachtführer und Reedereien bestehen muss, einen solchen Transport zu wirtschaftlich tragbaren Konditionen durchzuführen. Würde man den Reeder mit einer Schadensersatzforderung für den gesamten Wert aller Waren eines Großcontainerschiffes belasten, wäre das nicht versicherbar. Deswegen gibt immer eine Haftungsbegrenzung, die sich nach dem Gewicht oder der Anzahl der Packstücke berechnet.

Und das uralte Rechtsinstitut der sogenannten "Havarie Grosse" besagt, dass alle Beteiligten einer Havarie, d.h. der Eigentümer des Schiffes und der Wareneigentümer, sich die Kosten teilen, die entstehen, um das Schiff und die Besatzung aus einer Gefahr zu retten. Die Reederei soll die Kosten nicht allein tragen.

"Wir haben das ganze Jahr Fristendruck"

Welche weiteren Besonderheiten gibt es im Transportrecht?

Exner: Das Transportrecht kennt eine Art der Obhutshaftung, die kein Verschulden im klassischen Sinne erfordert, sondern eher einer Gefährdungshaftung ähnelt. Die Frachtführer haften für Schäden ab Übernahme des Gutes bis zu seiner Ablieferung. Es muss dann nur nachgewiesen werden, dass ein Schaden in der Obhut des Frachtführers eingetreten ist; nicht, wer dafür verantwortlich ist.

Außerdem gibt es eine einjährige Verjährungsfrist ab Ablieferung der Ware. Deshalb haben wir als Anwälte das ganze Jahr über Fristendruck und nicht nur zwischen Weihnachten und Neujahr.

Was muss man für Ihren Job mitbringen?

Albers: Man muss offen sein für Neues und vor allem bereit sein, die Herausforderung anzunehmen. Wir sind mit 15 Anwältinnen und Anwälten eine relativ kleine Kanzlei. Das bedeutet, dass man schnell Verantwortung übernehmen kann – und damit auch gut umgehen muss. Es kommt also auf die Persönlichkeit und die Fähigkeiten jedes Einzelnen an, man ist nicht nur ein kleines Rädchen in einem riesengroßen System.

Exner: Und Englisch ist natürlich wichtig. Aber auch das kann man in der Praxis lernen, ein Auslandssemester im Studium ist keine Einstellungsvoraussetzung. Das kommt mit der Zeit, aber das grundlegende Verständnis für die Sprache sollte schon vorhanden sein.

Was wird sich in den nächsten Jahren im Transportrecht ändern?

Albers: Neben der Digitalisierung und dem Umgang mit Krisen wird die grüne Transformation eine große Rolle spielen. Dies umfasst viele Bereiche, zum Beispiel die Lieferketten. Viele Transportunternehmen werden auf alternative Antriebsenergien umstellen müssen. Das führt auch zu neuen Infrastrukturen – und dazu beraten wir dann.

Vielen Dank für das Gespräch!

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