Bore-out vs. Weisungsrecht

Lan­ge­weile am Arbeits­platz

von Tanja PodolskiLesedauer: 5 Minuten
In Frankreich hat ein Mitarbeiter seinen Arbeitgeber verklagt, weil er über Jahre keine Aufgaben mehr bekommen hat. In Deutschland sind Mobbing und vor allem Burn-out die Phänomene, um die sich Kanzlei-Partner frühzeitig kümmern.

LTO: Der aktuelle Fall handelt in Frankreich: Vier Jahre lang soll sich Frédéric Desnard zu Interparfum, einer Pariser Firma, die Parfums konzipiert und vertreibt, in ein Büro geschleppt haben, in dem es keine Arbeit für ihn gab. Er hat seinen Arbeitgeber nun auf 358.000 Euro Schadensersatz verklagt. Ist dieses Vorgehen üblich in Frankreich? Dr. Tobias Pusch: Üblich ist vermutlich zu viel gesagt. Was allerdings stimmt ist, dass Arbeitgeber in Frankreich häufiger zu rechtlich mehr als fragwürdigen Mitteln greifen. Sie begründen das mit dem extrem hohen Kündigungsschutz dort, der noch stärker ausgeprägt sei als in Deutschland. Unsere Kollegen von L&E Global in Frankreich erklären das so: In Frankreich ist die Kündigung eines Mitarbeiters nur möglich, wenn der Arbeitgeber tatsächliche und schwerwiegende Gründe, so genannte "cause réelle et sérieuse" für die Kündigung nachweist und das einschlägige Kündigungsverfahren einhält. Die Gründe sind – das ist wie in Deutschland - persönliche und betriebliche Gründe. Die persönlichen sind solche in der Person des Arbeitnehmers liegende Gründe, hierunter fallen beispielsweise die Unfähigkeit, die übertragenen Aufgaben auszuführen, oder Fehlverhalten. Zum anderen wirtschaftliche Gründe, etwa bei technologischen Veränderungen oder wirtschaftlichen Schwierigkeiten des Unternehmens. Die vorgenannten Grundsätze zum Kündigungsrecht sind rechtlich bindend und schränken den Arbeitgeber oftmals stark ein, insbesondere, wenn sich solche tatsächlichen und schwerwiegenden Gründe nur schwer begründen lassen. Auch in Deutschland gibt es Fälle wie den von Frédéric Desnard. Uns ist beispielsweise ein Fall aus der Automobilindustrie bekannt. Hier warf der Arbeitnehmer seinem Arbeitgeber auch vor, ihn jahrelang nicht oder nicht adäquat beschäftigt zu haben.

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Mobbing ist kein Rechtsbegriff

LTO: Wie ist dieses Entziehen von Aufgaben in Deutschland arbeitsrechtlich einzuordnen? Pusch: Es gibt viele Varianten, einen Mitarbeiter von der Arbeit auszuschließen. Der Arbeitgeber kann ihn in das letzte kleine Kabuff im Keller setzen, nicht mehr zu Meetings einladen, dem Arbeitnehmer Aufgaben entziehen oder bei Entscheidungen übergehen, die eigentlich zu seinen Aufgaben gehörten. Er kann ihm auch den Zugang zu Telefon oder Computer entziehen – oder eben, wie offenbar im Fall von Frédéric Desnard, gar keine Arbeit mehr geben. In diesem Zusammenhang werden die Begriffe Straining, Bore-out und Mobbing vielfach vermischt – sie beschreiben aber unterschiedliche Vorkommnisse. Bore-out beschreibt das Ergebnis – ähnlich wie das Burn-out –, das Straining ist die Beschreibung der Maßnahme, die auf den Beschäftigen einwirkt, meist eine einmalige Aktion mit langfristigen Auswirkungen. Mobbing ist das häufige Anwenden des psychischen Drucks. Gerade auch aufgrund dieser Gemengelage ist es schwierig, solche Verhaltensweisen des Arbeitgebers arbeitsrechtlich klar einzuordnen. Der Begriff "Mobbing" ist kein Rechtsbegriff und für sich genommen auch keine Anspruchsgrundlage für den Arbeitnehmer. Je nach konkretem Fall kann eine Belästigung im Sinne des § 3 Abs. 3 des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes (AGG) vorliegen, die unter das Benachteiligungsverbot des § 3 Abs. 1 AGG fällt. Hierfür muss der Arbeitgeber allerdings mit einer gewissen Nachhaltigkeit agieren und es müsste jedenfalls ein Zusammenhang mit einem der in § 1 AGG gesetzlich normierten Benachteiligungsgründe wie Rasse oder Alter vorliegen. Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot kann Schadensersatzansprüche nach § 15 AGG auslösen. Schikanöses Verhalten, dass nicht unter das AGG fällt, kann gleichwohl über die allgemeinen zivilrechtlichen Haftungstatbestände, wie etwa die §§ 823 ff. Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) sanktioniert werden. Auch dort ist neben Schadensersatz ein Schmerzensgeld möglich. 

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2/2: Die Absicht ist entscheidend

LTO: Wo ist denn die Grenze zu dem, was erlaubt ist? Es muss dem Arbeitgeber ja noch möglich sein, Aufgaben neu zu verteilen oder zu entscheiden, dass es gerade wichtiger ist, dass ein Mitarbeiter ein Projekt fertig stellt, anstatt an einem Meeting teilzunehmen. Oder auch eine neue Organisationsstruktur einzuziehen, in der ein Mitarbeiter eine Position bekommt, die geringer qualifiziert ist als die vorherige. Pusch: Grundsätzlich ist der Arbeitgeber kraft seines Weisungsrechts berechtigt, Inhalt, Ort und Zeit der Arbeitsleistung des Arbeitnehmers zu bestimmen. Dieses Recht wird jedoch insbesondere durch schon vorhandene Regelungen zur Tätigkeit - typischerweise im Arbeitsvertrag - und den Grundsatz des billigen Ermessen begrenzt. Natürlich kann der Vorgesetzte einen Arbeitnehmer anweisen, nicht zu einem Meeting zu gehen und stattdessen eine andere, dringende Aufgabe wahrzunehmen. Tut er dies jedoch mit schikanöser Absicht und wiederholt, wird daraus ein Mobbingfall. Die einseitige Zuweisung geringerwertiger Tätigkeiten ist regelmäßig - wenn überhaupt - nur im Wege der Änderungskündigung möglich.

Nichtaufstieg anders als Nichtbeschäftigung

LTO: Wie schätzen Sie die Arbeitswelt in Kanzleien ein? Sind diese Maßnahmen ein Thema dort? Was ist etwa mit dem Associate, der glaubt, er sei auf Partnertrack, und dann sichtbar für alle zum Counsel abgestempelt wird? Pusch: Natürlich kommt es vor, dass sich die Aufstiegswünsche von Associates nicht mit den Vorstellungen der Kanzlei decken. Und mir sind auch einige Fälle bekannt, in denen dieser Aufstiegsweg dann in der "Sackgasse" des Counsel endet. Aber der Nichtaufstieg in der eigenen Karriere ist das eine, die Nichtbeschäftigung von Mitarbeitern etwas anderes. Insoweit hat das für mich eine völlig andere Qualität. Der Counsel-Weg mag für den einen oder anderen dann das Signal sein, den Weiteraufstieg in einer anderen Kanzlei zu suchen. Für manche Kollegen ist der Status des Counsel jedoch auch ein gewünschtes berufliches Zwischen- oder Endziel. LTO: Sie selbst haben sich vor zehn Jahren mit Ihrer Arbeitsrechtsboutique selbstständig gemacht. Wie sorgen Sie dafür, dass Ihre Mitarbeiter weder zum Bore-out noch zum Burn-out kommen? Pusch: Also, über ein Bore-out hat sich bei uns noch niemand beklagt (lacht). Dafür sind wir einfach zu beschäftigt. Schwieriger ist schon, ein Burn-out zu vermeiden. Wir legen Wert darauf, dass für unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Wochenenden in der Regel wirklich arbeitsfrei sind. Zudem versuchen wir über eine Vielzahl von Arbeitszeitmodellen auf die individuelle und familiäre Situation des Mitarbeiters zugeschnittene Lösungen zu finden. Dazu gehören beispielsweise auch die Einräumung der Möglichkeit einer Home-Office-Tätigkeit oder echte Teilzeitmodelle, auch für Anwälte, vom Junior Associate bis zum Counsel und Partner. LTO: Glauben Sie, dass diese Vorgehen von der französischen Firma Interparfum auch in deutschen Kanzleien praktiziert wird? Pusch: Nein, ich habe darüber keinerlei Informationen und ich kann mir das auch nicht vorstellen. Wenn es in Anwaltskanzleien in Deutschland zu Trennungswünschen des Managements kommt, dann finden sich dafür eigentlich immer Lösungen, in den allermeisten Fällen einvernehmlich. LTO: Herr Dr. Pusch, vielen Dank für das Gespräch. Das Interview führte Tanja Podolski. Dr. Tobias Pusch ist Gründer und Namenspartner der Arbeitsrechtsboutique Pusch Wahlig Legal in Berlin. In der Kanzlei arbeiten an drei Standorten inzwischen über 25 Anwälte. International verfügt die Kanzlei mit dem Netzwerk L&E Global über Kontakte in Arbeitsrechtskanzleien in mehr als 30 Jurisdiktionen.

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Thema:

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