Die juristische Presseschau vom 16. September 2015: EuGH kappt Sozial­leis­tungen – Ver­trags­ver­let­zungs­ver­fahren wegen Vor­rats­da­ten­spei­che­run

16.09.2015

Der EuGH verweigert EU-Ausländern Sozialleistungen. Außerdem in der Presseschau: EU-Kommission hält Vorratsdatenspeicherung für grundrechtswidrig, StA Verden ermittelt gegen "Examensschummler" und "Frauentausch" lässt Wohngeld platzen.

Thema des Tages

EuGH zu Anspruch auf Sozialleistungen: Deutschland darf arbeitssuchenden EU-Ausländern Sozialleistungen verweigern. Dies entschied der Europäische Gerichtshof und erklärte damit eine entsprechende Ausschlussklausel aus dem Sozialgesetzbuch II für konform mit EU-Recht; der Schutz der Sozialkassen rechtfertige eine Beeinträchtigung des unionsrechtlichen Gleichbehandlungsgebots. Demnach haben EU-Bürger, die weniger als ein Jahr lang in Deutschland tätig waren, lediglich sechs Monate nach der Beendigung des letzten Arbeitsverhältnisses Anspruch auf Hartz IV. Arbeitssuchende EU-Ausländer, die bisher noch keine Anstellung gefunden haben, dürfen keine Sozialleistungen beziehen. Mit dem Urteil qualifizierten die Luxemburger Richter Hartz IV als Sozialleistung. FAZ (Joachim Jahn), SZ (Wolfgang Janisch – sz.de-Zusammenfassung)  und taz (Christian Rath) befassen sich mit dem rechtskräftigen Grundsatzurteil und dem zugrundeliegenden Fall.

Wolfgang Janisch (SZ) hält die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für eine "Absage an ein soziales Europa". Da es "an den Kern der Menschenwürde rührt", Aufenthaltsberechtigten, die Arbeit suchen, das Existenzminimum zu verweigern, sei nun das Bundesverfassungsgericht gefragt. Joachim Jahn (FAZ) findet es begrüßenswert, dass der EuGH überraschenderweise davon abgesehen habe, die EU zu einer Transferunion auszuweiten. Die rechtlichen Unsicherheiten seien allerdings "noch nicht ausgestanden". Christian Rath (taz) hält fest, dass die Entscheidung des EuGH zwar die Freizügigkeit innerhalb der EU nicht fördere, Europa aber "immer noch ziemlich sozial" sei. Es sei nicht überraschend, dass der EuGH, angesichts der vielen nach Deutschland reisenden Flüchtlinge, arbeitssuchenden EU-Bürgern Sozialleistungen verweigert und so zusätzliche Bewegungen verhindere. Die Professorin für europäisches Arbeitsrecht Constanze Janda führt auf lto.de aus, weshalb das Urteil "absurde Ergebnisse" nach sich ziehe.

Rechtspolitik

Vorratsdatenspeicherung: Die EU-Kommission hat Bedenken gegen die geplante deutsche Vorratsdatenspeicherung vorgebracht und droht mit einem Vertragsverletzungsverfahren, sollten diese nicht berücksichtigt werden*. Die geplanten Regelungen stellten insbesondere einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Grundrechte der Bürger dar. Die SZ (Heribert Prantl) kennt die Stellungnahme der EU-Kommissarin Elżbieta Bieńkowska. Update 16.09., 14:35 Uhr: Die Kommission hat einen Tag nach dem Artikel in der SZ dementiert, Deutschland mit einem Vertragsverletzungsverfahren gedroht zu haben.

EU-Flüchtlingspolitik: In einem Gastbeitrag erklärt die ehemalige Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) in der SZ, warum die EU-Flüchtlingsregelungen bereits vor Jahren gescheitert sind. Konkrete Verbesserungen des europäischen Flüchtlingsschutzes seien allerdings schnell möglich. Es brauche Einwanderungsgesetze und ein System, um die ankommenden Flüchtlinge in der EU aufzuteilen, zudem akute Hilfe für die EU-Grenzstaaten.

Flüchtlingspolitik: Heribert Prantl (SZ) weist darauf hin, dass auf die "historische Entscheidung" von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU), ihre Richtlinienkompetenz zu gebrauchen und die Flüchtlinge aus Ungarn aufzunehmen, nun "historische Anstrengungen" des ganzen Landes folgen müssen.

Nach einem kurzen Einblick in die humanitäre Hilfe für Flüchtlinge bringt swr.de in einem Audio-Beitrag ein Interview mit Rechtsprofessor Jürgen Bast, welcher unter anderem den Reformbedarf des deutschen und europäischen Asylrechts erläutert. Zudem wird die Frage beleuchtet, ob es rechtlich zulässig ist, Geldleistungen für Asylbewerber zu kürzen – hier kommt auch der Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts Ferdinand Kirchhof zu Wort.

WLAN-Haftung: zeit.de kennt das Gutachten des Medienrechtlers Dieter Frey, welcher die Neuregelungen zur Haftung von WLAN-Betreibern und Host-Providern für ein "rechtliches und systematisches Chaos" hält.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 16. September 2015: EuGH kappt Sozialleistungen – Vertragsverletzungsverfahren wegen Vorratsdatenspeicherun . In: Legal Tribune Online, 16.09.2015 , https://www.lto.de/persistent/a_id/16905/ (abgerufen am: 01.05.2024 )

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