Die juristische Presseschau vom 5. Oktober 2016: Böh­m­er­mann-Ver­fahren ein­ge­s­tellt / Sozial­woh­nungen vom Bund? / Canna­bis­anbau bewil­ligt

05.10.2016

Böhmermanns Schmähgedicht beleidigt Erdogan nicht, befindet die Staatsanwaltschaft. Außerdem in der Presseschau: Verfassungsänderung für sozialen Wohnungsbau gefordert und erste Erlaubnis für Cannabisanbau erteilt.

Thema des Tages

StA Mainz – Jan Böhmermann: Das kontrovers diskutierte Schmähgedicht des Satirikers Jan Böhmermann bleibt zunächst ohne strafrechtliche Konsequenzen. Die Staatsanwaltschaft Mainz stellte das Verfahren ein, weil durch das Gedicht weder eine Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts nach § 103 StGB noch eine einfache Beleidigung verwirklicht sei. Die grundgesetzlich geschützte Meinungsfreiheit gebiete eine enge Auslegung, wann Schmähungen als Beleidigung zu bestrafen seien. Zudem handele es sich um Satire, weshalb die Kunstfreiheit beachtet und der Beitrag in den Gesamtzusammenhang eingebettet werden müsse. Entscheidend sei letztendlich aber, dass ein Vorsatz Böhmermanns nicht festgestellt werden könne – denn die Zuschreibungen seien derart überzeichnet, dass es ihnen an Ernsthaftigkeit fehle. Böhmermanns Anwalt begrüßte die Entscheidung, kritisierte aber zugleich Bundeskanzlerin Merkel, die die notwendige Zustimmung zur Strafverfolgung erteilt und das Gedicht "bewusst verletztend" genannt hatte. Es berichten lto.de, faz.net und tagesschau.de (Kolja Schwartz).

Reinhard Müller (FAZ) meint, Erdogan werde mit begrüßenswerter Weise daran erinnert, dass die deutsche Justiz wirklich unabhängig sei. Ein Strafbefehl gegen Böhmermann wäre seiner Ansicht nach aber dennoch vertretbar gewesen. Jürn Kruse (taz) findet es richtig, dass Merkel die Ermittlungen zugelassen hat, denn "das unterscheidet den Rechtsstaat mit funktionierender Gewaltenteilung von, ja, Staaten wie der Türkei". Heribert Prantl (SZ) schreibt, die Einstellungsbegründung lese sich "partiell selbst wie eine Satire", da am eigentlichen Einstellungsgrund vorbeigeschrieben werde: "Ein Staatsoberhaupt, das sich so aufführt wie Erdoğan, muss es sich gefallen lassen, dass es polemisch attackiert wird. Anders gesagt: Auf einen groben Klotz gehört auch mal ein grober Keil."

Rechtspolitik

Sozialer Wohnungsbau: In den 1980er Jahren gab es in Deutschland noch 4 Millionen Sozialwohnungen, heute nur noch 1,5 Millionen, von denen jährlich bis zu 100.000 aus der Bindung herausfallen. Aufgrund des steigenden Drucks auf dem Wohnungsmarkt fordert Bundesbauministerin Barbara Hendricks, das Grundgesetz zu ändern und dem Bund die Kompetenz auf diesem Gebiet zurückzugeben, die im Zuge der Förderalismusreform 2006 auf die Länder übertragen wurde. Diese würden für den sozialen Wohnungsbau derzeit zwar übergangsweise weiter vom Bund gefördert, täten aber zu wenig, berichtet die taz (Christian Rath).

GWB-Novelle: Rechtsanwalt Ulrich Soltész erläutert auf lto.de, welche kartellrechtlichen Neuerungen der Gesetzentwurf vorsieht, den das Bundeskabinett jüngst zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) beschlossen hat. Die Auswirkungen auf die Internet-Wirtschaft, insbesondere die Großkonzerne, stünden im Vordergrund, etwa ein Fusionskontrollverfahren auch bei umsatzschwachen Unternehmen, die aber teuer verkauft werden, oder die Anwendung von Kartellrecht auch bei "unentgeltlichen" Leistungen der Internetanbieter. Aber auch für die Realwirtschaft gebe es Änderungen, beispielsweise sollen Bußgelder gegen Mutterunternehmen für Kartellverstöße der Tochterfirmen möglich und weitere Lücken geschlossen werden.

Kontrolle von Internetdienstleistern: Im Interview mit dem Hbl (Dietmar Neuerer/Thomas Sigmund) spricht sich Bundesjustizminister Heiko Maas für eine bessere Kontrolle großer Internetkonzerne aus. Handlungsbedarf sieht er beim Vorgehen gegen Hasskommentare und der marktbeherrschenden Stellung großer Unternehmen wie Google.

Erreichbarkeit von Arbeitnehmern: In einem Gastbeitrag in der FAZ schreiben die Rechtsanwälte Burkard Göpfert und Andreas Schöberle über das Recht von Arbeitnehmern auf Freizeit und Urlaub und ob ein gesetzliches "Recht auf Unerreichbarkeit" festgeschrieben werden müsse. Denn manch ein Mitarbeiter frage sich, "ob Urlaub nicht eher die Fortsetzung der Arbeit mit schlechterer Verbindung ist". Nach Darstellung der Rechtslage kommen die Autoren zu dem Ergebnis, dass dieses Problem mit gesetzgeberischen Mitteln kaum zu lösen sei, sondern ein besseres Bewusstsein in den Unternehmen erfordere.

Unternehmensbewertung: Die Rechtsanwälte Frank Hannes und Christian von Oertzen erläutern in einem Gastbeitrag in der FAZ die Bewertung eines Unternehmens im sogenannten Ertragswertverfahren. Da dieses aufwändig und kostspielig ist, kann für die erbschaftsteuerliche Bewertung auch das vereinfachte Ertragswertverfahren angewandt werden, das 2016 wohl zu erheblich geringeren Wertergebnissen führen wird.

Zitiervorschlag

Die juristische Presseschau vom 5. Oktober 2016: Böhmermann-Verfahren eingestellt / Sozialwohnungen vom Bund? / Cannabisanbau bewilligt . In: Legal Tribune Online, 05.10.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20755/ (abgerufen am: 30.04.2024 )

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