Nachdem BGH sein Urteil kassierte: "Face­book-Richter" sagt als Zeuge aus

15.07.2016

Zahlreiche Anträge der Verteidigung lassen den dritten Anlauf im Prozess um erpresserischen Menschenraub schleppend verlaufen. Nun sagt jener Richter aus, wegen dessen Facebook-Posts ein bereits verhängtes Urteil aufgehoben wurde.

Vier Verteidiger, drei Richter, zwei Schöffen, bislang 31 Prozesstage - und mindestens 16 weitere werden folgen: Der dritte Anlauf im Verfahren um erpresserischen Menschenraub gegen zwei 35 und 27 Jahre alte Männer am Landgericht (LG) Stralsund verläuft schleppend. Am Freitag ist von der Strafkammer nun jener Rostocker Richter als Zeuge gehört worden, wegen dessen Verhalten der Bundesgerichtshof (BGH) die gegen die Männer verhängten mehrjährigen Haftstrafen im Januar 2016 aufgehoben hatte.

Der Vorsitzende Richter des zweiten Verfahrens hatte bei Facebook ein umstrittenes Bild gepostet, auf dem er in einem T-Shirt mit dem Schriftzug "Wir geben Ihrer Zukunft ein Zuhause. JVA" zu sehen war. Im Kommentarbereich seines Profils befand sich der folgende Eintrag des Vorsitzenden: "Das ist mein 'Wenn du raus kommst, bin ich in Rente'-Blick". Dieser Eintrag wurde von einem Benutzer mit den Worten: "...sprach der schwedische Gardinen-Verkäufer! :-))" kommentiert, was wiederum von zwei Personen, darunter der Vorsitzende selbst, "geliked" wurde.

Die Verteidiger gingen erfolgreich in Revision: Der BGH begründete die Aufhebung des Urteils damit, dass der Facebook-Eintrag eine innere Haltung des Richters dokumentiere, die annehmen lasse, dass dieser Spaß an der Verhängung hoher Strafen habe und sich über die Angeklagten lustig gemacht habe. 

Verteidiger vermuten Deal mit Gericht

Die Strafkammer des Stralsunder LGs verhandelt nun seit dem 20. April im dritten Anlauf wegen erpresserischen Menschenraubes. Die beiden Angeklagten, die im Jahr 2012 den Besitzer einer Clubgasstätte in Tarnow (Landkreis Rostock) entführt, verprügelt und von ihm 15.000 Euro gefordert haben sollen, schweigen seitdem zu dem Vorfall. Rund 40 Anträge haben die Pflichtverteidiger inzwischen zu Protokoll gegeben. Die vier Anwälte nutzen die Klaviatur der Strafverteidigung, Prozessbeobachter sprechen von einer "engagierten Verteidigung". Das Gericht versucht mit großer Nüchternheit, die Vorgänge zu rekonstruieren.

Licht in die Vorgänge sollte am Freitag nun jener Facebook-Richter bringen, von dem die beiden Männer 2015 zu Haftstrafen von acht beziehungsweise fünf Jahren und zehn Monaten Haft verurteilt worden waren. Noch bevor der 58-Jährige in den Zeugenstand trat, legte die Verteidigung Anträge vor, Angaben eines Hauptbelastungszeugen aus dem ersten und zweiten Prozess nicht zu verwerten.

Jener Zeuge war bei der Entführung dabei und ist inzwischen deswegen zu einer vierjährigen Haftstrafe verurteilt worden. Anders als die beiden Angeklagten hatte er im Verfahren ausgesagt und seine beiden mutmaßlichen Mittäter später belastet, im dritten Prozess vor dem LG Stralsund aber geschwiegen. Die Verteidiger vermuten, dass es bereits im ersten Verfahren einen "Deal" mit dem Gericht gegeben habe, über dessen Zustandekommen sie nichts erfahren hätten.

Richter macht "hervorragende Arbeit"

Zudem kritisierten sie, dass der Mann Antworten auf Fragen der Verteidiger im zweiten Verfahren verweigert hatte. Genau zu jenem Zeugen wurde nun der Facebook-Richter befragt, der seine Erinnerungen an die belastenden Aussagen des Mannes wiedergab. Inwieweit diese Aussagen in die Urteilsfindung einfließen, ist bislang offen. Die Verteidigung ist bestrebt, genau dies mit ihren Anträgen zu verhindern.

Zweimal wurden die Angeklagten verurteilt, im ersten Verfahren nach 13, im zweiten Verfahren nach 34 Verhandlungstagen. Schon jetzt steht fest, dass dieses dritte Verfahren deutlich länger dauern wird.

Zu seinem Facebook-Eintrag wurde der Richter im Verfahren nicht befragt. Auf dem Flur darauf angesprochen, ob er den Eintrag im sozialen Netzwerk bedauere, sagte der Richter, dass er sich dazu nicht äußern werde. Der 58-Jährige ist weiter als Vorsitzender Richter am Landgericht Rostock tätig. "Er macht eine hervorragende Arbeit", sagte der Rostocker Gerichtssprecher Michael Mack. Der Richter sei für seine seriöse und sachliche Vorgehensweise bekannt. Durch die öffentliche Wahrnehmung sei er hinreichend gestraft. Der Fall sei eher unter der Rubrik "Skurriles" zu verbuchen.

dpa/acr/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

Nachdem BGH sein Urteil kassierte: "Facebook-Richter" sagt als Zeuge aus . In: Legal Tribune Online, 15.07.2016 , https://www.lto.de/persistent/a_id/20028/ (abgerufen am: 26.04.2024 )

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