Rechtsgeschichten: Allerlei Besatzungsprobleme

von Martin Rath

07.07.2013

Pure Lust am Strafen? Österreich als Inland

Während funktionale Zuordnungen dieser Art schön übersichtlich sind, weil der Funktionsträger schlicht für Schäden- oder Pensionsansprüche seiner Beamten haftet, spiegelt sich ausgerechnet in strafrechtlichen Urteilen der frühen 1950er Jahre eine leicht barocke Komplexität, die aus den wechselnden Herrschaftsverhältnissen in Deutschland und dem, was sich zeitweise dazu zählen lassen musste, ergab.

Etwas Staunen löst zum Beispiel die Anwendung des § 244 Strafgesetzbuch (StGB) aus, der zwischen 1872 und 1969 nicht – wie heute – den bewaffneten bzw. Bandendiebstahl unter Strafe stellte, sondern Wiederholungstaten pönalisierte: "Wer im Inlande als Dieb, Räuber oder gleich einem Räuber oder als Hehler bestraft worden ist, darauf abermals eine dieser Handlungen begangen hat, und wegen derselben bestraft worden ist, wird, wenn er einen einfachen Diebstahl (§ 242) begeht, mit Zuchthaus bis zu zehn Jahren, wenn er einen schweren Diebstahl (§ 243) begeht, mit Zuchthaus nicht unter zwei Jahren bestraft."

Schlechte Karten also für einen Angeklagten, dem neun vollendete und ein versuchter Wohnungseinbruch vor dem Landgericht Berlin nachgewiesen worden waren. Mit seiner Revision wehrte sich dieser dagegen, auch noch nach § 244 StGB als Wiederholungstäter bestraft zu werden.  Ein bisschen pikant war am Urteil des BGH (v. 15.9.1953, Az. 5 StR 375/53) die Verortung der bisherigen Aburteilungen des Berliner Einbrechers als "im Inlande" gelegen. Die Verteidigung machte geltend, dass der Angeklagte in den Jahren 1941 und 1943 von den österreichischen Landesgerichten Leoben und Graz nach Diebstahlsvorschriften des österreichischen StGB von 1852 verurteilt worden war und einen Teil seiner Strafe zu "schwerem Kerker" in "Marburg/Drau" (heute: Maribor, Slowenien) verbüßt habe, das erst 1941 – ebenso völkerrechtswidrig wie zuvor ganz Österreich – vom Deutschen Reich annektiert worden sei.

Der Bundesgerichtshof sah diese Strafen der österreichischen Landesgerichte nach österreichischem Strafrecht jedoch, wie vom damaligen § 244 StGB gefordert, als Diebstähle "im Inlande" an, weil beide Verurteilungen nach der Annexion Österreichs 1938 "auf Grund deutscher Gerichtshoheit" erfolgt seien.

Bayerische Pension, hessischer Pkw, deutscher Rückfalldieb

Ähnlich straffreudig verfuhr man zwei Jahre zuvor mit einem hessischen Dieb: Das Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt am Main entschied am 31. Januar 1951 (Ss 382/50), dass vorangegangene Strafurteile von Gerichten der Militärgerichtsbarkeit als Begründung für die Bestrafung als Rückfalldieb heranzuziehen seien, soweit deutsche Diebe nach deutschem Strafrecht im Inland betroffen waren.

In Hessen konnte man sich zwar darauf berufen, dass die US-Militärregierung dies ausdrücklich so angeordnet hatte. Aber das OLG Frankfurt am Main lieferte zudem ein interessantes Argument dafür, warum deutsche Juristen in den 1950er Jahren – jenseits aller Polemik gegen die sogenannte "Siegerjustiz" der Nürnberger Prozesse – gar nicht so versessen darauf waren, die unter fremder Herrschaft ergangenen Urteile zu negieren:

Adolf Schönke (1908-1953), Mitbegründer eines heute sehr gängigen StGB-Kommentars, hatte den Gedanken formuliert, die alliierten Gerichte in Deutschland seien als ausländische Gerichtsbarkeit einzustufen – spiegelbildlich zur älteren deutschen Konsulargerichtsbarkeit. Diesem Gedanken zu folgen, lehnten die Frankfurter Richter strikt ab.

Das könnte der historische Hintergrund erklären. Konsularrecht bzw. Konsulargerichtsbarkeit hatte das Deutsche Reich unter anderem bis 1918/19 für seine afrikanischen und asiatischen Kolonien betrieben: Wer als Weißer zum Beispiel in Deutsch-Ostafrika eine Straftat beging, wurde nach dem StGB bestraft. Die deutschen Konsulargerichte waren "inländische" Gerichte im Ausland.

Eine unkritische Gleichsetzung der von den alliierten Militärregierungen in Deutschland betriebenen oder beeinflussten Gerichtsbarkeit mit fremder Konsulargerichtsbarkeit wäre auf eine zumindest psychologische Gleichstellung Deutschlands mit einem britischen, französischen und US-Kolonialstaat hinausgelaufen. Einer Kolonialgerichtsbarkeit ausgeliefert zu sein, das war – politisch unkorrekt gesagt – nichts für vollwertige Menschen.

Verlängerte Zuchthausstrafen für Rückfalldiebe, bayerische Pensionsansprüche oder hessische Amtshaftung vor Landesgründung – interessant, dass solche Entscheidungen auch am seidenen Robenfaden einer solchen Herrschaftspsychologie hingen.

Der Autor Martin Rath arbeitet als freier Lektor und Journalist in Köln.

Zitiervorschlag

Martin Rath, Rechtsgeschichten: Allerlei Besatzungsprobleme . In: Legal Tribune Online, 07.07.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9090/ (abgerufen am: 02.05.2024 )

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