Die juristische Presseschau vom 27. November 2015: Netz­sperre als ultima ratio / EGMR erlaubt fran­zö­si­sches Kopf­tuch­verbot / Nach­bes­se­rung im Prosti­tu­ier­ten

27.11.2015

Recht in der Welt

EGMR zu erlaubter Abtreibungskritik: Deutschland muss eine Geldstrafe zahlen, nachdem es einem Abtreibungskritiker verboten hatte, in der Nähe einer Tagesklinik Flugblätter gegen Abtreibung zu verteilen und die Namen der behandelnden Ärzte auf seiner Webseite zu nennen. Die Bundesrepublik habe damit gegen das Recht auf freie Meinungsäußerung verstoßen, entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte. Tsp (Jost Müller-Neuhof) und taz (Christian Rath) informieren. Auch die SZ (Wolfgang Janisch) meldet die Entscheidung.

EGMR zu französischem Kopftuchverbot: Frankreich darf ein striktes Kopftuchverbot im öffentlichen Dienst durchsetzen. Dies entschied der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte und lehnte damit die Beschwerde einer muslimischen Sozialarbeiterin ab, deren Vertrag in einem städtischen Krankenhaus nicht verlängert wurde. Französische Gerichte hatten ihre Klage wegen Verletzung ihrer Religionsfreiheit abgelehnt, da die staatliche Neutralität ein Kopftuchverbot rechtfertige. Die SZ (Wolfgang Janisch) hält fest, der EGMR gewähre den Staaten auch einen großen Beurteilungsspielraum, wenn sie das Tragen von Kopftüchern im öffentlichen Dienst erlauben. Die Welt (Hannelore Crolly) berichtet.

Polen – Verfassungsrichter: Die polnische Regierung hat im Eilverfahren die Wahl von fünf Verfassungsrichter, die vom vorherigen Parlament eingesetzt worden waren, für ungültig erklärt. Geplant ist eine Neuwahl – zuerst muss das polnische Verfassungsgericht allerdings darüber entscheiden, ob das Vorgehen der Regierung verfassungskonform ist. Diese Entscheidung sei im Dezember zu erwarten, so die FAZ (Konrad Schuller). Frühere Präsidenten des Verfassungsgerichts kritisieren die Regierung.

Niederlande – Grundversorgung für Flüchtlinge: Das höchste Verwaltungsgericht in Den Haag hat entschieden, der Staat dürfe die Grundversorgung abgeschobener Flüchtlinge daran koppeln, dass sie ihre eigene Abschiebung unterstützen. Menschenrechtsorganisationen und Kirchen monieren, die Menschenwürde der Flüchtlinge werde verletzt, meldet spiegel.de.

Griechenland – Siemens: Am heutigen Freitag beginnt vor dem Oberlandesgericht Athen der Strafprozess im Schmiergeldfall Siemens. Die Korruption um den Auftrag der Telefongesellschaft OTE an Siemens sei bewiesen, fraglich seien nur die strafrechtlich Verantwortlichen. Laut SZ (Klaus Ott/Tasos Telloglou) werfen die Anwälte der deutschen Angeklagten dem Gericht vor, den Grundsatz des fairen Verfahrens zu verletzen; selbst für die wichtigsten Unterlagen des Prozesses gäbe es keine deutsche Übersetzung.

Sonstiges

Herkunft israelischer Lebensmittel: Am 11. November diesen Jahres hat die EU-Kommission darauf hingewiesen, wie sie die gegenwärtige Rechtslage hinsichtlich der Angabe des Ursprungs von Waren aus israelischen Siedlungen interpretiert. Die Rechtsanwältin Eva Ghazari-Arndt setzt sich auf lto.de kritisch mit der Einschätzung der EU-Kommission auseinander – diese könne verwirrend für die Verbraucher sein.

Bundeswehr gegen IS in Syrien: Die Bundesregierung will die Bundeswehr im Kampf gegen den IS in Syrien einsetzen. Die taz (Christian Rath) erläutert, wie dieser Einsatz völkerrechtlich und verfassungsrechtlich legitimiert werden kann. Ein Mandat für militärische Maßnahmen des UN-Sicherheitsrats sei am unproblematischsten. Zudem müsse der Bundestag jedem Bundeswehreinsatz im Ausland zustimmen.

Verfassungsstaat und Religionsfreiheit: Anlässlich der abgesetzten Operninszenierung "Idomeneo" aus Angst vor islamistischem Terror betont der Staatsrechtler Horst Dreier in einem Gastbeitrag für die SZ, dass auch "Religionen zum Gegenstand von Kritik, Satire und Spott werden können". Dieser Grundsatz, die Religions- und Weltanschauungsfreiheit, die Akzeptanz anderer Glaubensbekenntnisse und der neutrale Staat seien "große historische Errungenschaften des modernen Verfassungsstaats". In einem historischen Abriss zeichnet er nach, wie diese entstanden sind und hält fest, die große Aufgabe sei es sie zu wahren – "auch unter Bedingungen verschärfter Pluralität".

Das Letzte zum Schluss

"Wunderland": Was hätte wohl Georg Jellinek dazu gesagt? Zwei Niederländer haben in einem Gewerbegebiet 3.000 Quadratmeter abgesteckt und wollen damit ein Land namens Wunderland gegründet haben. Die beiden einzigen "Einwohner" haben in ihrer "Verfassung" festgelegt, dass ihr Land ein Gegenmodell zu bisherigen Lebensformen sein soll. Mit der völkerrechtlichen Anerkennung wird es wohl hapern – bereits die Nachbargemeinden lehnen Wunderland ab, meldet die Welt.

Beiträge, die in der Presseschau nicht verlinkt sind, finden Sie nur in der Printausgabe oder im kostenpflichtigen E-Paper des jeweiligen Titels.

Am Montag erscheint eine neue LTO-Presseschau.

lto/vb

(Hinweis für Journalisten)

Was bisher geschah: zu den Presseschauen der Vortage.

Zitiervorschlag

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