VG Wiesbaden zu AfD als Verfassungsschutz-"Verdachtsfall": Beo­b­achten ja, Mit­teilen nein

von Joschka Buchholz

14.11.2023

Wie schon in anderen Ländern ist die AfD mittlerweile auch in Hessen ein "Verdachtsfall" und wird beobachtet. Dies hätte durch Innenministerium und Verfassungsschutz so aber nicht mitgeteilt werden dürfen.

Das Verwaltungsgericht (VG) Wiesbaden hat über mehrere Eilanträge der AfD entschieden und dabei unter anderem beschlossen, dass die Mitteilung über die Einstufung der hessischen AfD als "Verdachtsfall" durch den Verfassungsschutz bzw. durch das Innenministerium voraussichtlich rechtswidrig ist (Beschl. v. 14.11.2023, Az. 6 L 1166/22.WI, 6 L 1174/22.WI, 6 L 1181/22.WI).

Das hessissche Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) hatte im September 2022 im Zusammenhang mit der Vorstellung des Verfassungsschutzberichts 2022 bekanntgegeben, dass die AfD nunmehr als "Verdachtsfall" eingestuft werde und folglich beabsichtigt sei, die Partei mit nachrichtendiesntlichen Mitteln zu beobachten. Sowohl das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) als auch weitere Länder haben die AfD und ihre Teilorganisationen ebenfalls nachrichtendienstlich zunehmend im Blick.

AfD bewegt sich "außerhalb der Meinungsfreiheit"

Im Oktober 2022 hatte dieselbe Kammer noch beschlossen, dass die hessische AfD vorerst nicht mit nachrichtendienstlichen Mitteln beobachtet werden darf. Nun ist das Eilverfahren indes abgeschlossen und endete damit, dass die nachrichtendienstliche Beobachtung im Wege der Einstufung der AfD als "Verdachtsfall" aus Sicht der Kammer (voraussichtlich) rechtmäßig sei. Es lägen hinreichende Anhaltspunkte dafür vor, dass die hessische AfD ihre Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung in Ausgestaltung der Garantie der Menschenwürde und des Demokratieprinzips richtet, so das Gericht.

Die hessische AfD bewege sich "außerhalb der verfassungsmäßig geschützten Meinungsfreiheit und einer – auch zulässigerweise mit überspitzten Mitteln arbeitenden – politischen Opposition", so das Gericht weiter. Dadurch könnten insbesondere Flüchtlinge und Muslime gefährdet werden. Ferner komme mit der "pauschalen Absprache der Existenzberechtigung eines jeden politischen Gegners" ein Anspruch auf Alleinrepräsentanz der AfD zum Ausdruck, welcher mit dem grundgesetzlichen Demokratieverständnis unvereinbar sei.

Jedoch hatte der Antrag der AfD gleichwohl teilweise Erfolg. Denn anders als im einschlägigen Bundes- und in vergleichbaren Landesgesetzen sieht das Hessische Verfassungsschutzgesetz keine gesetzliche Grundlage für das 2022 erfolgte Informationshandeln durch das LfV vor. Das Erfordernis einer Ermächtigungsgrundlage leitet die Kammer angesichts der "Auswirkungen auf das Recht der AfD, gleichberechtigt am Prozess der Meinungs- und Willensbildung des Volkes teilzunehmen" her.

Kurzum: die hessische AfD darf aufgrund ihrer verfassungsfeindlichen Bestrebungen zwar als Verdachtsfall eingestuft und nachrichtendienstlich beobachtet werden, die Öffentlichkeit darf mangels gesetzlicher Grundlage darüber aber nicht durch Pressemitteilungen der zuständigen Behörden informiert werden.

Aussage von Boris Rhein kein Fall für Verwaltungsgerichte

Aus denselben Gründen war auch ein weiterer Antrag der AfD teilweise erfolgreich, soweit dieser sich gegen die Bekanntgabe der nachrichtendienstlichen Vorgänge seitens des Hessischen Innenministeriums richtete. Sowohl das Innenministerium als auch das LfV sind durch die Beschlüsse des VG Wiesbaden zu einer Pressemitteilung verpflichtet, wonach sie es vorläufig zu unterlassen haben, bekanntzugeben, dass die AfD als Beobachtungsobjekt oder als Verdachtsfall geführt werde.

Ein dritter Antrag der AfD bezog sich auf Äußerungen des hessischen Ministerpräsidenten Boris Rhein (CDU), welche dieser im Septmeber 2022 auf einer gemeinsamen Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen Markus Söder (CSU) tätigte. Zwei Tage nach Bekanntwerden der Einstufung der AfD als "Verdachtsfall" hatte Rhein damals insoweit geäußert, dies sei "richtige Entscheidung". Jedoch ist dieser Antrag bereits unzulässig, da aus Sicht der Kammer der Verwaltungsrechtsweg nicht eröffnet ist. Es liege eine verfassungsrechtliche Streitigkeit vor. Wie das Gericht mitteilt, hat sich die AfD mittlerweile ohnehin in der Sache an den Hessischen Staatsgerichtshof gewandt.

Sämtliche Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig, die Beteiligten können binnen zwei Wochen noch Beschwerde zum Hessischen Verwaltungsgerichtshof einlegen.

Zitiervorschlag

VG Wiesbaden zu AfD als Verfassungsschutz-"Verdachtsfall": Beobachten ja, Mitteilen nein . In: Legal Tribune Online, 14.11.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/53165/ (abgerufen am: 29.04.2024 )

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