BVerfG zur Befangenheit eines Asylrichters: Ableh­nungs­ge­such offen­sicht­lich begründet

09.07.2021

Wenn ein Einzelrichter am VG meint, der Wahlspruch der NPD "Migration tötet!" stelle teilweise die Realität dar, begründet das in einem Asylverfahren offensichtlich die Besorgnis der Befangenheit. Das hat das BVerfG entschieden. 

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat einer Verfassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung eines Ablehnungsgesuchs gegen einen Richter im Asylverfahren stattgegeben. Die Zurückweisung sei willkürlich erfolgt und verletze das Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 Grundgesetz (GG) (Beschl. v. 01.07.2021, Az. 2 BvR 890/20).

Der afghanische Beschwerdeführer hatte in den Jahren 2016/17 erfolglos beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) einen Asylantrag gestellt. Im Klageverfahren lehnte er den Einzelrichter gemäß § 54 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) in Verbindung mit § 42 Zivilprozessordnung (ZPO) wegen Besorgnis der Befangenheit ab.

Als Begründung führte er ein früheres Urteil des Richters an, welches einer Klage der NPD gegen die Beseitigung eines ihrer Wahlplakate mit der Aufschrift "Stoppt die Invasion: Migration tötet! Widerstand jetzt" stattgegeben hatte. Darin heißt es unter anderem, dass der Slogan "Migration tötet!" nicht als volksverhetzend zu qualifizieren sei, sondern als "die Realität teilweise darstellend". Aus dieser Urteilsbegründung ergab sich aus Sicht des 2016 nach Deutschland eingereisten Mannes Anlass zur Sorge, seine Klage werde bei diesem Richter unabhängig vom Klagevorbringen stets erfolglos bleiben.

Durch Beschluss - ohne Mitwirkung des abgelehnten Richters - wies das Verwaltungsgericht (VG) Gießen das Ablehnungsgesuch zurück. Danach erging ein Urteil durch diesen Richter, welches das BAMF verpflichtet, dem Mann den subsidiären Schutzstatus zuzuerkennen. Im Übrigen wurde die Klage jedoch abgewiesen; die Sache ist nunmehr in einem Berufungszulassungsverfahren beim Hessischen Verwaltungsgerichtshof (VGH) anhängig.

Willkürliche Abweisung

Die 1. Kammer des Zweiten Senats hat entschieden, dass der das Ablehnungsgesuch zurückweisende Beschluss den Beschwerdeführer in seinem Recht auf den gesetzlichen Richter aus Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG verletzt. Hierzu führt die Kammer zunächst aus, dass es bei dem Ablehnungsgesuch des Asylsuchenden nicht um Kritik an der Rechtsmeinung des abgelehnten Richters gehe, sondern um die Ausführungen zur Migration.

Die Ablehnung des Befangenheitsantrags erweise sich als willkürlich, so das BVerfG weiter. Die Zweifel an der Unvoreingenommenheit des Richters seien in sachlich nicht haltbarer Weise verneint worden. Die Kammer führt aus, es stehe dem Wahlplakat-Urteil "auf die Stirn geschrieben", dass der Richter Migration für ein "grundlegendes, die Zukunft unseres Gemeinwesens bedrohendes Übel" halte. Das ergebe sich insbesondere aus dem Versuch einer  "ausufernden" historischen Begründung dafür, dass Einwanderung naturgemäß eine "Gefahr für die kulturellen Werte des Einwanderungslandes" sei. Der Richter hatte sich 2019 öffentlich dahingehend geäußert, dass er fehlverstanden worden sei.

Auch zähle der Richter ihm vermeintlich bekannte Fälle auf, in denen Asylsuchende schwere Straftaten begangen hätten und nehme dies nach Auffassung der Kammer als Beleg dafür, dass Migration etwas mit Tod und Menschenverachtung zu tun haben könne. Damit werde der weitergreifende Begriff der Migration einerseits auf die Gruppe der Asylsuchenden beschränkt. Andererseits würden aus dieser Gruppe die später mit schweren Straftaten straffällig gewordenen Personen als prägend nicht nur für die Gruppe der Asylsuchenden, sondern für den gesamten Bereich der Migration dargestellt, so die Kammer.

Daher war der Ablehnungsantrag des Mannes nach Auffassung der Kammer offensichtlich begründet. Die Sache ist nunmehr weiter vor dem VGH Hessen anhängig.

jb/LTO-Redaktion

Zitiervorschlag

BVerfG zur Befangenheit eines Asylrichters: Ablehnungsgesuch offensichtlich begründet . In: Legal Tribune Online, 09.07.2021 , https://www.lto.de/persistent/a_id/45433/ (abgerufen am: 25.04.2024 )

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