Urlaubsrecht des EuGH für die Praxis

Ver­falls­datum unbe­kannt

Gastbeitrag von Dr. Alexander WillemsenLesedauer: 4 Minuten

So was geht nur mit dem EuGH: Jahrelange Übung im deutschen Urlaubsrecht hat das Gericht mit einem Streich weggewischt. Alexander Willemsen erklärt die Auswirkungen der neuen Rechtsprechung für die Praxis.

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Wieder einmal stellt der Europäische Gerichtshof (EuGH) geltendes deutsches Urlaubsrecht auf den Kopf. So mancher Arbeitnehmer wird nach dem Doppelschlag vom 6. November 2018 (C-684/16 (Shimizu) und C-619/16 (Kreuziger) den ein oder anderen zusätzlichen Kurztrip für 2019 buchen – und Arbeitgeber müssen sich von dem lieb gewonnenen Automatismus verabschieden, wonach Urlaubsansprüche mit Ablauf des 31. Dezember bzw. spätestens mit Ablauf des 31. März des Folgejahres verfallen.

Mit seinen Entscheidungen hat der EuGH klargestellt, dass Arbeitnehmer den ihnen nach Unionsrecht zustehenden Urlaub (d. h. den gesetzlichen Mindesturlaub) nicht automatisch verlieren, wenn sie zuvor keinen Urlaubsantrag gestellt haben. Urlaubsansprüche sollen nach Auffassung der Luxemburger Richter nur dann automatisch verfallen, wenn der Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage war, seinen bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Dies sei nur dann anzunehmen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer erforderlichenfalls sogar dazu auffordert, den Urlaub zu nehmen und ihm mitteilt, dass der nicht genommene Urlaub am Ende des zulässigen Übertragungszeitraums oder am Ende des Arbeitsverhältnisses verfallen wird.

Die Judikate werden spürbare Auswirkungen auf die Handhabung von Urlaubsansprüchen in der betrieblichen Praxis haben. Mit den Urteilen des EuGH ist die Regelung des § 7 Abs. 3 Bundesurlaubsgesetz (BurlG) zur eingeschränkten Übertragbarkeit des Urlaubsanspruchs ins Folgejahr praktisch obsolet geworden. Anders als bisher wird der Urlaubsanspruch nicht länger kraft Gesetzes (§ 7 Abs. 3 S. 1 BUrlG) verfallen, wenn der Arbeitnehmer nicht rechtzeitig auf seinen bestehenden Urlaubsanspruch hingewiesen und aufgefordert wird, seinen Urlaub bis zum Ende des Jahres zu nehmen. Unterbleibt ein entsprechender Hinweis, wird der Urlaub wohl auch nicht mit Ablauf des 31. März des Folgejahres (§ 7 Abs. 3 S. 3 BUrlG) verfallen, sondern unbegrenzt übertragen.

Wenig Zeit für neue Spielregeln

Ob Zufall oder nicht – der Zeitpunkt, zu dem beide Urteile ergingen, lässt Arbeitgebern wenig Zeit, um sich auf die neuen Spielregeln einzustellen. Und für Arbeitnehmer besteht eine reelle Möglichkeit, doch noch in den Genuss von schon verloren geglaubten Urlaubstagen zu kommen.

Im Hinblick auf das laufende Urlaubsjahr werden die Arbeitgeber sicherlich nicht untätig bleiben, den Ball des EuGH aufnehmen und sicherstellen, dass die Arbeitnehmer tatsächlich in der Lage sind, ihren bezahlten Jahresurlaub zu nehmen. Welche Verhaltensweisen, Hinweise oder Handlungen dieses Erfordernis konkret erfüllen, wird zwar im Einzelnen noch durch die Rechtsprechung zu klären sein. Viel spricht derzeit jedoch dafür, dass der Arbeitgeber den Arbeitnehmer zumindest auf die Höhe des Resturlaubsanspruches hinweisen sollte. Dieser Hinweis sollte mit der Aufforderung verbunden werden, diesen Urlaubsanspruch zu verplanen und entsprechende Urlaubsanträge zu stellen, über die dann entschieden werden wird. Schließlich sollte eine Belehrung erfolgen, dass dieser Urlaub, sollte er nicht genommen werden, mit Ablauf des 31. Dezember bzw. ausnahmsweise spätestens mit Ablauf des 31. März des Folgejahres verfallen wird.

Um die ordnungsgemäße Unterrichtung der Arbeitnehmer zu dokumentieren, sollten entsprechende Hinweise schriftlich erfolgen und Empfangsbekenntnisse von den Arbeitnehmern eingeholt werden. Für Urlaubsansprüche des laufenden Kalenderjahres wird die Zeit allerdings knapp: Arbeitgeber sollten schnellstmöglich entsprechende Schreiben vorbereiten und versenden, damit der Verfall zum 31. Dezember nicht ausgeschlossen ist – etwa auch deshalb, weil die (ansonsten wirksame) Unterrichtung so spät erfolgt ist, dass der Arbeitnehmer seinen Urlaub weder planen noch nehmen konnte.

Keine Hinweise – mehr Urlaub im nächsten Jahr

Ergänzend sollten Arbeitnehmer, die nach den Sommermonaten ihren bestehenden Urlaubsanspruch aufgrund betrieblicher oder personenbedingter Gründe nicht bis zum Jahresende nehmen können, vom Arbeitgeber am Jahresende über die Übertragung des Urlaubsanspruchs ins Folgejahr unterrichtet werden. Zusätzlich sollten diese Mitarbeiter darauf hingewiesen werden, dass der Urlaub bis zum 31. März nächsten Jahres zu nehmen ist und anderenfalls verfällt. Hierdurch dürfte auch im Fall der gesetzlichen Übertragung des Urlaubsanspruchs ausgeschlossen werden können, dass ein Urlaubsanspruch noch über den 31. März des Folgejahres hinaus fortbesteht.

Erhalten Arbeitnehmer in den kommenden Wochen entsprechende Mitteilungen, liegt der Ball bei Ihnen. Dann spricht viel dafür, dass der Urlaub genommen werden muss – bis zum 31. Dezember oder ausnahmsweise bis zum 31. März – oder ansonsten verfällt. Unterbleiben entsprechende Hinweise, können Arbeitnehmer mit guten Gründen annehmen, dass ihr Urlaubsanspruch aus diesem Jahr den Neujahrsmorgen erleben wird und die Planung für das nächste Jahr entsprechend aufstocken.

Auswirkung auf vertragliche Urlaubsregelung

Neben den zusätzlichen Informationsmaßnahmen ist davon auszugehen, dass sich die neue Rechtslage auch im Inhalt von Arbeitsverträgen wiederspiegeln wird. Die bereits etablierte Trennung zwischen gesetzlichen und vertraglichen Urlaubsansprüchen erhält durch die Entscheidungen des EuGH weiter Aufwind. Dass der vertragliche (Zusatz-)Urlaubsanspruch anders behandelt werden kann, als der gesetzliche Mindesturlaub, ist anerkannt (vgl. etwa BAG v. 12.11.2013, Az. 9 AZR 51/12). Insofern können für den vertraglichen Urlaubsanspruch auch die bisherigen Verfallsautomatismen vereinbart werden.

Wird zudem (wie üblich) arbeitsvertraglich vereinbart, dass primär der gesetzliche Mindesturlaubsanspruch bedient wird, wird dieser in aller Regel am Jahresende bereits erfüllt sein und nur der vertragliche Urlaubsanspruch (vereinbarungsgemäß) dem Verfall unterliegen. Eine Überprüfung und ggf. Anpassung der arbeitsvertraglichen (Muster-)Klauseln lohnt hier also. Fehlt hingegen eine deutliche arbeitsvertragliche Differenzierung, ist von einem Gleichlauf des gesetzlichen Mindesturlaubsanspruchs und des vertraglichen (Zusatz-)Urlaubsanspruchs auszugehen.

Durch die neuen Entscheidungen des EuGH sollten Personalabteilungen und Mitarbeiter gleichermaßen aufmerksam bei der Abwicklung des aktuellen Urlaubsjahres sein. Arbeitgeberseitig ist dringender Handlungsbedarf festzustellen, um den neuen Anforderungen Rechnung zu tragen und weiterhin den Verfall nicht genommener Urlaubstage zu gewährleisten. Arbeitnehmer sollten hingegen beobachten, inwieweit ihr Arbeitgeber auf die neuen Entscheidungen reagiert – im besten Fall bleiben ihnen verloren geglaubte Urlaubstage erhalten. Bereits der Jahreswechsel wird sicherlich zu einigen Streitfällen führen, die den Arbeitsgerichten Gelegenheit geben werden, die Anforderungen zu definieren, wann ein Arbeitnehmer im Sinne des EuGH "in der Lage" ist, seinen Urlaub zu nehmen.

Der Autor Dr. Alexander Willemsen ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Arbeitsrecht. Er ist Partner bei der Kanzlei Oppenhoff & Partner in Köln.

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