Der Feministische Juristinnentag

Gleichheit vor, in und nach dem Gesetz

von Wiebke FröhlichLesedauer: 5 Minuten
Am Wochenende trafen sich zum 39. Mal Frauen aus der juristischen Wissenschaft und Praxis, um über die Verbindung von Recht und Geschlechterordnung zu diskutieren und rechtspolitische Handlungsstrategien zu entwickeln. Mehr als 160 Juristinnen waren gekommen. Ihr Ziel: eine diskriminierungsfreie Wirklichkeit, in der das Geschlecht keine Rolle spielt. Männern bleibt der Zugang dennoch verwehrt.

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Das erste Mal trafen sie sich vor 35 Jahren im Frauenzentrum Frankfurt/Bockenheim. Die 50 Rechtsanwältinnen wollten sich austauschen, über ihre Beobachtungen und Erfahrungen in Gerichtsprozessen genauso wie über praktische Probleme, die sie strukturell durch die Gesetze begründet sahen. "Wir stellten Zusammenhänge her zwischen unseren Mandantinnen und deren Problemen einerseits und der allgemeinen gesellschaftlichen Unterdrückung von Frauen andererseits, also auch unserer eigenen Unterdrückung", erinnert sich eine der Gründungsmütter des Feministischen Juristinnentags (FJT), der damals noch "Jurafrauen-Treff" hieß. In den Anfangsjahren planten die Frauen Anwältinnenbüros, die nur das eigene Geschlecht vertraten und kompromisslose Unterstützung versprachen. Inhaltlich sollte eine feministische Rechtspraxis entwickelt werden, um Frauen in Gerichtsverfahren zu stützen und zu stärken.

Mehr Besucherinnen als in den Anfangsjahren

Die feministischen Juristinnen der ersten Stunden setzten sich für die Vertretung von Opfern im Nebenklageverfahren bei Vergewaltigungen ein und machten sich stark für Unterhaltsforderungen gegen Ehegatten, obwohl die ökonomische Unabhängigkeit der Frau das eigentliche Ziel war. Mit den Juristinnentagen, die jedes Jahr in einer anderen Stadt organisiert werden, wollten sie einen geschützten Raum schaffen, um sich jenseits der männerdominierten Juristerei auszutauschen, zu vernetzen und zu stärken. Heute sitzen in den Hörsälen der juristischen Fakultäten Statistiken zufolge mehr Studentinnen als Studenten, die Politik diskutiert über eine gesetzliche Frauenquote für Aufsichtsräte und die Gleichberechtigung von Mann und Frau ist nach zahlreichen Reformen ausdrücklich in den Gesetzen verankert. Da sollten die feministischen Juristinnen doch eigentlich ganz zufrieden sein, könnte man meinen. Stattdessen kommen 2013 mehr Frauen zum FJT als in den Anfangsjahren*. In Berlin-Kreuzberg diskutierten in den Räumen der Alten Feuerwache Rechtsanwältinnen und  Richterinnen mit Studentinnen und Wissenschaftlerinnen. Nicht nur Alter und Beruf der Teilnehmerinnen sind vielfältiger geworden, auch thematisch sind sie breiter aufgestellt. Neben Diskussionen über sexualisierte Gewalt gab es Stellungnahmen zu den Rechten intersexueller Menschen, der Diskriminierung in kirchlichen Wohlfahrtsverbänden und der Beschneidung von minderjährigen Mädchen wie Jungen.

Eingeladen waren "alle Menschen, die sich als Frauen fühlen"

Geblieben ist der kategorische Ausschluss von Männern. Sie dürfen bis heute nicht an den Tagungen teilnehmen. Dass das eine Diskriminierung aufgrund des Geschlechts ist und die Frauen damit selbst praktizieren, wogegen sie eigentlich kämpfen, mutet paradox an, ist den Feministinnen aber durchaus bewusst. "Wir sind uns alle einig, dass Geschlecht tatsächlich keine Rolle spielen sollte", meint Anna Hochreuter vom Organisations-Team des 39. FJT. "Die Wirklichkeit ist aber eine andere." Eine Gesellschaft, in der Frauen strukturell diskriminiert werden, nehme keinen Schaden, wenn Männern der Zugang zu einem einzigen Diskussionsforum verwehrt werde. Mit Männern könne sie immer und überall diskutieren, ihnen werde durch das zusätzliche FJT-Angebot an Frauen nichts genommen. Diese Ansicht scheint die Mehrheit der in Berlin Versammelten zu teilen. Bisher waren daher "alle Menschen, die sich als Frauen fühlen" auf den FJT willkommen. Über diese Einladungspolitik und das Selbstverständnis der Veranstaltung wurde nun zwar kontrovers diskutiert, allerdings nicht, weil auch Männern die Tür geöffnet werden soll. In den kommenden Jahren sollen "alle Frauen, alle die sich als Frauen fühlen und alle, die sich keinem der herkömmlichen Geschlechter zuordnen können oder wollen" zu den Treffen der feministischen Juristinnen eingeladen werden. Mit dieser Formulierung sollen sich auch Transmenschen und Intersexuelle willkommen fühlen. Auch Männern, die sich für Frauenrechte einsetzen wollen, bleibt der Zugang verwehrt.

Juraprofessorin: "sexuelle Gewalt nimmt nicht ab"

Diese Politik befürwortet auch Ulrike Lembke. Die Juniorprofessorin für Öffentliches Recht und Legal Gender Studies an der Universität Hamburg genießt die Zeit unter Frauen: Männer sollen gar nicht grundsätzlich von der Debatte ausgesperrt werden, nur an diesem einen Wochenende wollen Frauen unter sich bleiben. Die junge Rechtswissenschaftlerin sieht sich selbst in einer von Männern dominierten beruflichen Umwelt. "Zwar haben wir immer mehr Studentinnen, über 80 Prozent der Professuren bleiben aber von Männern besetzt. Und es sind vor allem Männer, die als Anwälte hohe Gehälter bekommen." Frauen sieht die promovierte Rechtswissenschaftlerin nicht nur in juristischen Berufen benachteiligt. Das Recht selbst transportiere stereotype Rollenbilder. Lembke tritt insbesondere dafür ein, geschlechtsspezifische Gewalt als Gesamtphänomen zu identifizieren, um dann an einer effektiven Bekämpfung zu arbeiten. Zwar habe die Strafrechtsreform von 1997/1998 erhebliche Besserungen gebracht, diese Änderung schlüge sich aber nicht in der Praxis nieder: "Es werden immer weniger Fälle sexueller Gewalt verfolgt. Tatsächlich nimmt sexuelle Gewalt aber nicht ab", erklärt die Juristin. Die Anforderungen an Aussagen von Frauen als Opfer sexueller Gewalt seien zu hoch, die Auslegung der Tatbestände zu eng. Sie ist empört über Urteile, in denen daran gezweifelt wird, ob ein Mann das "Nein" einer Frau tatsächlich als ein solches verstehen konnte. Insbesondere Medienberichte vermittelten den Eindruck, dass viele Anzeigen wegen sexueller Gewalt gegen Frauen unbegründet sind. "Das wird zum Problem wenn vergewaltigten Frauen nicht geglaubt wird", meint Lembke. Diese Entwicklung habe sich durch den Fall Kachelmann drastisch verschlechtert. Fälle, in denen unschuldige Männer wegen Sexualdelikten bezichtigt oder gar bestraft werden, seien tragisch, aber kein strukturelles geschlechtsspezifisches Phänomen: "Falschbeschuldigungen und Falschanzeigen gibt es in allen Deliktsbereichen. Man geht davon aus, dass nur etwa drei Prozent aller Anzeigen von sexueller Gewalt gegen Frauen unbegründet sind." Recht und Rechtsprechung müssten sich stets um die Vermeidung von Fehleinschätzungen bemühen, strukturell sei aber die überwiegende Zahl der Fälle entscheidend. Diese Grundthese scheint allen Veranstaltungen und Diskussionen auf dem 39. FJT zugrunde zu liegen: Ja, es gibt Fälle in denen Männer diskriminiert, ungerecht oder falsch behandelt werden. Diese Einzelfälle sind tragisch, sie zu vermeiden ist wichtig. Aber überwiegend und strukturell sind es die Frauen, die unter der Rechtswirklichkeit leiden. Das zu ändern, begreifen die Juristinnen als ihre Aufgabe. Anm. d. Red. v. 08.05.2013: Hier stand zunächst "Stattdessen kommen 2013 mehr Frauen denn je zum FJT". Darüber liegen uns allerdings keine Informationen vor. Wir wissen nur, dass es mehr Teilnehemerinnen waren als in den Anfangsjahren.

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