Strafbarkeit rechtsextremer Polizei-Chats: Grau­zone bleibt Grau­zone

von Dr. Max Kolter

19.03.2024

Machen sich Polizisten strafbar, wenn sie Hitler-Memes und Hetze bei WhatsApp teilen? Das kommt auf den konkreten Chat an. Der Bundesrat will diese Unsicherheit für künftige Fälle beseitigen – doch die Bundesregierung spielt nicht mit.

Die Webseite "itiotentreff.chat" gibt düstere Einblicke in das Innenleben einiger deutscher Polizeibeamten. Dort haben Jan Böhmermanns "ZDF Magazin Royale" und "FragDenStaat" die etwa 1.600 WhatsApp-Nachrichten veröffentlicht, die sich die Mitglieder der Polizisten-Chatgruppe "Itiotentreff" geschickt haben. Darin finden sich etliche Hakenkreuz- und Hitler-Memes, Hitlergrüße und Gewaltdarstellungen. Daneben machen sich die Polizisten über Frauen, Kinder, Nichtweiße und Menschen mit Behinderung lustig. Das Landgericht (LG) Frankfurt erkennt darin "nationalsozialistisches, antisemitisches und insbesondere rassistisches und menschenverachtendes Gedankengut", das Menschen "aufgrund von äußerlichen Merkmalen sowie ethnischer Zugehörigkeiten klassifiziert" und diskriminiert.

Diese Ausführungen machte das Gericht in einem Beschluss (v. 13.02.2023, Az. 5/6 KLs 6110 Js 249194/18 – 1/22), mit dem es zugleich die Eröffnung eines Strafprozesses wegen des Teilens der Inhalte ablehnte. Im Gegensatz zur Staatsanwaltschaft sah das LG keinen hinreichenden Tatverdacht der Volksverhetzung und des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, jeweils in der Variante des Verbreitens von Inhalten (§§ 130 Abs. 2, 86a Abs. 1 Nr. 1 Strafgesetzbuch, StGB). Denn wer Nachrichten in einer privaten Gruppe versende, "verbreite" diese nicht.

Nach einer Beschwerde der Staatsanwaltschaft liegt die Sache nun seit vielen Monaten beim Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt. Dieses kann jederzeit entscheiden, eine vorherige Ankündigung gibt es nicht. Der Beschluss wird mit Spannung erwartet, denn es geht nicht nur um die sechs Frankfurter Polizisten, sondern auch um andere Fälle dieser Art. Bestätigt das OLG die Entscheidung des LG, entfachte das sicherlich eine Debatte, das Gesetz entsprechend zu ändern, damit das Teilen volksverhetzender Inhalte durch Amtsträger wenigstens in Zukunft unter Strafe steht.

Ein entsprechender Gesetzentwurf des Bundesrates liegt schon seit Dezember im Bundestag, wird dort in absehbarer Zeit aber nicht auf die Tagesordnung gesetzt. Das liegt daran, dass die Bundesregierung dem Vorschlag die Zustimmung verweigert und er damit zurzeit keine Mehrheit im Bundestag finden würde.

Wie viele Empfänger braucht es für eine "Verbreitung"?

Die Bundesregierung ist zwar der Auffassung, es dürfe "kein Zweifel an der Verfassungstreue der Beschäftigten des öffentlichen Dienstes aufkommen". Sie geht aber zugleich davon aus, dass "das geltende Recht bereits eine Strafverfolgung derartiger Äußerungen ermöglicht". Dass die §§ 86a und 130 Abs. 2 StGB nur eine Verbreitung und nicht jedes Teilen volksverhetzender und/oder NS-verherrlichender Inhalte unter Strafe stellen, trage der Meinungsfreiheit Rechnung. Dabei stützt sich die Bundesregierung auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG): "Allein die Wertlosigkeit oder auch Gefährlichkeit von Meinungen als solche ist kein Grund, diese zu beschränken", heißt es etwa in dessen Wunsiedel-Beschluss (v. 04.11.2009, Az. 1 BvR 2150/08).

Allerdings stellt das BVerfG zum Tatbestand der Volksverhetzung zugleich klar, dass Meinungsäußerungen sehr wohl deshalb sanktioniert werden, weil sie gefährlich sind. Es fordert aber, dass es nicht auf eine etwaige Gefährlichkeit der geäußerten Geisteshaltung geht, sondern um die zu erwartenden Auswirkungen der Kundgabe dieser Haltung: Ist die Äußerung geeignet, bestimmte Personen gegen andere Personen oder Gruppen aufzustacheln, müssen diese Angriffe auf Leib, Leben und/oder Freiheit befürchten. Diese Vorstufe zur Gewalt will das StGB mit dem Tatbestand der Volksverhetzung, aber auch mit §§ 86, 86a unterbinden.

Dass man eine solche Gefährlichkeit aber nicht bereits dann bejaht, wenn A dem B zuhause einen rassistischen Witz erzählt, ist nachvollziehbar. Aber was, wenn sie das Gespräch lautstark in der U-Bahn führen – oder im digitalen Raum, wo jede Nachricht automatisch gespeichert wird und mit zwei Klicks an Dritte weitergeleitet werden kann?

Solche semi-privaten Gesprächsräume sind eine rechtliche Grauzone, hier kommt es auf jedes Detail der Kommunikation an. Dass die Anzahl der Chat-Teilnehmer allein nicht maßgebend ist, verdeutlicht die insofern uneinheitliche Entscheidungspraxis der Staatsanwaltschaften und Gerichte im Zusammenhang mit rechtsextremen Polizei-Chats: Wie die Leipziger Strafrechtsprofessorin Elisa Hoven in einem Reformpapier feststellt, hat die Frankfurter Staatsanwaltschaft bei einer Chatgruppe mit 14 Teilnehmenden ein "Verbreiten" bejaht und das Amtsgericht einen Strafbefehl erlassen. Berliner Ermittlern reichten zwölf Chat-Mitglieder für eine Durchsuchungin Münster hingegen waren 21 nicht genug.

Voraussetzungen der "Kettenverbreitung"

Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (BGH) kann schon das Versenden an eine Person ein "Verbreiten" sein, wenn der Täter beabsichtigt, dass der Empfänger die Nachricht "einem größeren Personenkreis zugänglich machen werde, oder wenn der Täter mit der Weitergabe an eine größere, nicht mehr zu kontrollierende Zahl von Personen rechnet". Zu einer tatsächlichen Weiterverbreitung muss es laut BGH nicht kommen; ob der Absender hinsichtlich der Weiterverbreitung mit Absicht handeln muss oder ob auch Eventualvorsatz genügt, ließ er offen (Beschl. v. 10.01.2017, Az. 3 StR 144/16).

Das LG Frankfurt hat eine solche "Kettenverbreitung" im Fall der dort betroffenen Gruppenchats verneint. Sowohl der zu keinem Zeitpunkt mehr als zehnköpfige "Itiotentreff" als auch eine 30 Mitglieder umfassende Gruppe "Homies & Friends" seien "exklusiv gehalten", bestünden "aus einem überschaubaren Kreis von Kollegen bzw. ehemaligen Kollegen".

Das begründete das Gericht u.a. damit, dass sich die Polizisten der strafrechtlichen Relevanz ihrer Äußerungen bewusst seien; das sollte sich aus Aufforderungen ergeben, nur "krankes", "asoziales" oder "böses" Material in den Chat zu posten. Dass ein Chat-Mitglied geschrieben hatte, er müsse mit dem Material "andere Leute schocken", reichte dem LG hingegen nicht.

Ob das OLG diese Umstände ebenso bewertet oder ob es davon ausgeht, die Mitglieder der Chatgruppe hätten jederzeit mit der Weitergabe an Nichtmitglieder rechnen müssen, ist ungewiss. Das gilt auch für die Frage, inwiefern die Einzelfallentscheidung – zumal nur ein Eröffnungsbeschluss und kein Urteil in der Sache – als Präzedenzfall für andere Strafverfahren wegen rechtsextremer Polizei-Chatgruppen taugt.

Neuer Straftatbestand wird wohl nicht kommen

Um diese Grauzone zu beseitigen, haben die Landesregierungen in NRW und Schleswig-Holstein den Bundesrat davon überzeugt, für eine Änderung des StGB zu stimmen. Der Entwurf sieht vor, einen neuen § 341 ins StGB einzufügen, der nur für Amtsträger gilt. Dieser soll schon die Äußerung und das "Zugänglichmachen" von volksverhetzenden Inhalten und das Verwenden von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen unter Strafe stellen, wenn dies "im Zusammenhang mit einer Dienstausübung" steht und objektiv dazu geeignet ist, "das Vertrauen der Allgemeinheit in rechtstaatliches Handeln von Behörden […] zu erschüttern".

Dazu wird es in dieser Legislaturperiode aber wohl nicht kommen. Dass sich zeitnah ein Ausschuss oder das Plenum damit befasst, ist nach LTO-Informationen nicht in Sicht. Das federführende Bundesjustizministerium verweist auf LTO-Anfrage auf die ablehnende Stellungnahme der Bundesregierung. Demnach schieße der Vorschlag über das mit ihm verfolgte Ziel hinaus. Kritisiert wird insbesondere, dass "bereits Gespräche oder Chats eines Amtsträgers bzw. einer Amtsträgerin mit nur einer weiteren Person" erfasst wären.

SPD-Rechtspolitiker Johannes Fechner verweist gegenüber LTO auf Experteneinschätzungen, wonach der Entwurf "einen unverhältnismäßigen Eingriff in die Meinungsfreiheit" darstelle. "Denn mit der vorgeschlagenen Regelung könnten private Äußerungen bestraft werden ohne klare Abgrenzung zu einem dienstlichen Bezug."

Auch aus der Rechtswissenschaft kommt Kritik. Strafrechtlerin Hoven sieht in einem Gutachten für die Gewerkschaft der Polizei eine Verletzung der Meinungsfreiheit. Hintergrund ist, dass auch antisemitische, rassistische, sexistische und ableistische Äußerungen regelmäßig vom Schutzbereich der Meinungsfreiheit umfasst sind – wenn es sich nicht, wie bei der Holocaust-Leugnung, um erwiesen unwahre Tatsachenbehauptungen handelt. Daher muss ein strafrechtliches Verbot solcher Meinungskundgaben gemäß Art. 5 Abs. 2 Grundgesetz (GG) ein "allgemeines Gesetz" sein, also eines, das dem Schutz anderer Rechtsgüter dient. Diesen Vorgaben genügt § 341 StGB-E laut Hoven nicht, da die Vorschrift zumindest auch auf § 130 Abs. 3 und 4 StGB verweist, die zum Teil keine allgemeinen Gesetze enthalten.

Reform der Volksverhetzung: Alle Wege führen nach Wunsiedel

Diese Strafnormen selbst werden zwar überwiegend als verfassungskonform angesehen. In Bezug auf § 130 Abs. 4 StGB (NS-Verherrlichung) hat das BVerfG dies in seinem Wunsiedel-Beschluss damit begründet, das Grundgesetz könne als "Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden". Die Begründung stützt sich laut Hoven aber maßgeblich darauf, dass die öffentliche Verherrlichung von NS-Unrecht für allgemeine "Beunruhigung" sorge, auch im Ausland. Das treffe auf Äußerungen im Rahmen eines privaten Zwiegesprächs offensichtlich nicht zu.

Auch im Übrigen hat Hoven "erhebliche verfassungsrechtliche Bedenken", vor allem an der Verhältnismäßigkeit. Zudem bestünden Zweifel, ob die Passagen "im Zusammenhang mit der Dienstausführung" und die "Eignung, das Vertrauen der Allgemeinheit zu erschüttern" hinreichend bestimmt sind. Ähnlich kritisiert auch Strafrechtsprofessor Michael Kubiciel (Uni Augsburg) diese "Eignungsformel". Sie sei nicht nur "erheblich auslegungsbedürftig", sondern werde auch von dem Normzweck der Volksverhetzung – dem Schutz des öffentlichen Friedens – getrennt, so Kubiciel gegenüber LTO.

Sowohl der Gesetzentwurf als auch die Kritik hieran verdeutlichen einmal mehr, wie komplex schon heute die Tatbestände und Schutzzwecke der "politischen" Äußerungsdelikte ausgestaltet sind. Jeder gesetzgeberische Eingriff in dieses bestehende Regelungssystem muss sich an Art. 5 Abs. 2 GG und dem Wunsiedel-Beschluss messen lassen. Das zeigt sich etwa anhand eines aktuellen Gesetzentwurfs der Union zu § 130 StGB, der die Leugnung des Existenzrechts Israels unter Strafe stellen soll. Während Kubiciel dies für zulässig hält, kommt Hoven auch hier zu dem Schluss, der Vorschlag sei verfassungswidrig. Sie hat im Herbst einen eigenen Vorschlag für eine grundlegendere Reform des § 130 StGB vorgelegt, den der Antisemitismusbeauftragte der Bundesregierung Felix Klein unterstützt und mit dem auch die SPD sympathisiert. Doch dieser genügt nach Ansicht von Kritikern den Vorgaben des Wunsiedel-Beschlusses und damit des Art. 5 GG nicht.

Ob die Ampel in dieser Legislatur dennoch einen Vorstoß wagt?

Zitiervorschlag

Strafbarkeit rechtsextremer Polizei-Chats: Grauzone bleibt Grauzone . In: Legal Tribune Online, 19.03.2024 , https://www.lto.de/persistent/a_id/54147/ (abgerufen am: 27.04.2024 )

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