Klagen gegen Überwachungsprogramme: Kaum eine Chance vor inter­na­tio­nalen Gerichten

von Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard)

28.06.2013

Als ob PRISM nicht schon schlimm genug wäre. Nun soll auch der britische Geheimdienst GCHQ deutsche Internetkommunikationen über ein Glasfaserkabel angezapft haben. Die Bundesregierung kann die Spionagestaaten deshalb zwar vor internationalen Gerichten verklagen; doch einfach wird das nicht, meint Matthias C. Kettemann.

Die Bundestagsfraktion der Grünen will, dass Deutschland die USA und Großbritannien wegen der Überwachungsprogramme PRISM und Tempora verklagt – vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und im Fall Großbritanniens auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). So steht es in einem entsprechenden Entschließungsantrag der Fraktion. Viel Hoffnung sollten die überwachten Bürger weder auf Den Haag noch auf Luxemburg setzen.

Vor dem IGH werden völkerrechtliche Streitfälle zwischen Staaten ausgetragen. Deutschland könnte daher rügen, dass PRISM und Tempora gegen Art. 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und Politische Rechte (IPbpR) verstoßen. Die Vorschrift schützt das Privatleben vor "willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen" und gibt jedem einen Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe. Die Überwacherstaaten würden argumentieren, dass die Eingriffe weder willkürlich noch rechtswidrig seien, sondern ihrem nationalen Recht entsprechen. Deutschland müsste dagegen zeigen, dass sich das Konzept des Privatlebens so entwickelt hat, dass systematische Eingriffe zur Terrorismusabwehr nicht akzeptiert werden können. Das fiele schwer.

Auch Art. 19 des IPbpR, der die eng mit dem Privatleben verknüpfte Meinungsfreiheit schützt, wäre einschlägig. Doch auch diese kann gesetzlich eingeschränkt werden, wenn dies zum Schutz der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Es liefe also auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und nationaler Sicherheit hinaus, wenn denn der IGH überhaupt so weit kommen würde. Wahrscheinlich würden sich die USA nämlich an einem solchen Verfahren in Den Haag überhaupt nicht beteiligen. Die US-Regierung hat sich vorbehalten, im Einzelfall zu entscheiden, ob sie sich vor dem IGH zur Sache einlässt.

Nationale Sicherheit erfolgversprechendes Argument vor dem EuGH

Gegen Großbritannien könnte Deutschland zudem ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH anstrengen. Auf die von den Grünen zitierte Grundrechtecharta könnte sich die Bundesregierung dabei aber nicht berufen, da London ein Opt-Out erklärt hat – die Charta für Großbritannien also nicht gilt.

Möglich wäre aber ein Umweg über sekundäres Europarecht, wie etwa die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Danach dürfen die Mitgliedstaaten Anbietern von Internetdiensten nicht auferlegen, übermittelte Informationen allgemein zu überwachen. In dem Fall Scarlet Extended entschieden die Luxemburger Richter deshalb, dass es rechtswidrig sei, einen Internetanbieter gerichtlich zu verpflichten, unterschiedslos, präventiv und unbegrenzt alle elektronische Kommunikation zu filtern (Urt. v. 24.11.2011, Az. C-70/10).

Damals ging es darum, illegale Downloads zu verhindern. Der Schutz des geistigen Eigentums ist den Richtern allerdings weniger wichtig als die nationale Sicherheit. Es könnte also durchaus sein, dass Großbritannien vor dem EuGH nichts zu befürchten hätte, auch wenn es die Betreiber des Glasfaserkabels TAT-14 tatsächlich dazu aufgefordert hat, den Datenverkehr im Zeichen der nationalen Sicherheit anzuzapfen.

Deutschland könnte auch vor dem EGMR klagen

Ein drittes internationales Gericht haben die Grünen in ihrem Entschließungsantrag gar nicht erst erwähnt: den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Eine Einzelperson könnte dort nur erfolgreich gegen Großbritannien klagen, wenn sie nachweisen kann, dass das Überwachungsprogramm Tempora sie in ihren Rechten verletzt hat und der nationale Rechtsweg dagegen erschöpft ist. Das dauert lange und der Ausgang ist ungewiss.

Schneller wäre eine Staatenbeschwerde Deutschlands gegen Großbritannien wegen Verstoßes gegen Art. 8 und Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), also wegen einer Verletzung des Privat- und Familienlebens sowie der Meinungsfreiheit. Nach der EMRK ist Deutschland verpflichtet, "allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen" diese Rechte zuzusichern. Dies umfasst auch positive Schutzpflichten – der Staat muss also etwas tun, um seine Bürger gegenüber anderen Staaten zu schützen.

Zwar gelten auch die Rechte aus Art. 8 und Art. 10 EMRK nicht absolut. Eingriffe sind aber nur zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sind. Je umfassender die Überwachung war desto schwieriger wird es für die britischen Behörden, diesen Verhältnismäßigkeitstest zu bestehen.

Zitiervorschlag

Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard), Klagen gegen Überwachungsprogramme: Kaum eine Chance vor internationalen Gerichten . In: Legal Tribune Online, 28.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9034/ (abgerufen am: 23.04.2024 )

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