Als ob PRISM nicht schon schlimm genug wäre. Nun soll auch der britische Geheimdienst GCHQ deutsche Internetkommunikationen über ein Glasfaserkabel angezapft haben. Die Bundesregierung kann die Spionagestaaten deshalb zwar vor internationalen Gerichten verklagen; doch einfach wird das nicht, meint Matthias C. Kettemann.
Die Bundestagsfraktion der Grünen will, dass Deutschland die USA und Großbritannien wegen der Überwachungsprogramme PRISM und Tempora verklagt – vor dem Internationalen Gerichtshof (IGH) und im Fall Großbritanniens auch vor dem Europäischen Gerichtshof (EuGH). So steht es in einem entsprechenden Entschließungsantrag der Fraktion. Viel Hoffnung sollten die überwachten Bürger weder auf Den Haag noch auf Luxemburg setzen.
Vor dem IGH werden völkerrechtliche Streitfälle zwischen Staaten ausgetragen. Deutschland könnte daher rügen, dass PRISM und Tempora gegen Art. 17 des Internationalen Paktes über bürgerliche und Politische Rechte (IPbpR) verstoßen. Die Vorschrift schützt das Privatleben vor "willkürlichen oder rechtswidrigen Eingriffen" und gibt jedem einen Anspruch auf rechtlichen Schutz gegen solche Eingriffe. Die Überwacherstaaten würden argumentieren, dass die Eingriffe weder willkürlich noch rechtswidrig seien, sondern ihrem nationalen Recht entsprechen. Deutschland müsste dagegen zeigen, dass sich das Konzept des Privatlebens so entwickelt hat, dass systematische Eingriffe zur Terrorismusabwehr nicht akzeptiert werden können. Das fiele schwer.
Auch Art. 19 des IPbpR, der die eng mit dem Privatleben verknüpfte Meinungsfreiheit schützt, wäre einschlägig. Doch auch diese kann gesetzlich eingeschränkt werden, wenn dies zum Schutz der nationalen Sicherheit und der öffentlichen Ordnung erforderlich ist. Es liefe also auf eine Abwägung zwischen Meinungsfreiheit und nationaler Sicherheit hinaus, wenn denn der IGH überhaupt so weit kommen würde. Wahrscheinlich würden sich die USA nämlich an einem solchen Verfahren in Den Haag überhaupt nicht beteiligen. Die US-Regierung hat sich vorbehalten, im Einzelfall zu entscheiden, ob sie sich vor dem IGH zur Sache einlässt.
Nationale Sicherheit erfolgversprechendes Argument vor dem EuGH
Gegen Großbritannien könnte Deutschland zudem ein Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH anstrengen. Auf die von den Grünen zitierte Grundrechtecharta könnte sich die Bundesregierung dabei aber nicht berufen, da London ein Opt-Out erklärt hat – die Charta für Großbritannien also nicht gilt.
Möglich wäre aber ein Umweg über sekundäres Europarecht, wie etwa die Richtlinie über den elektronischen Geschäftsverkehr. Danach dürfen die Mitgliedstaaten Anbietern von Internetdiensten nicht auferlegen, übermittelte Informationen allgemein zu überwachen. In dem Fall Scarlet Extended entschieden die Luxemburger Richter deshalb, dass es rechtswidrig sei, einen Internetanbieter gerichtlich zu verpflichten, unterschiedslos, präventiv und unbegrenzt alle elektronische Kommunikation zu filtern (Urt. v. 24.11.2011, Az. C-70/10).
Damals ging es darum, illegale Downloads zu verhindern. Der Schutz des geistigen Eigentums ist den Richtern allerdings weniger wichtig als die nationale Sicherheit. Es könnte also durchaus sein, dass Großbritannien vor dem EuGH nichts zu befürchten hätte, auch wenn es die Betreiber des Glasfaserkabels TAT-14 tatsächlich dazu aufgefordert hat, den Datenverkehr im Zeichen der nationalen Sicherheit anzuzapfen.
Deutschland könnte auch vor dem EGMR klagen
Ein drittes internationales Gericht haben die Grünen in ihrem Entschließungsantrag gar nicht erst erwähnt: den Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) in Straßburg. Eine Einzelperson könnte dort nur erfolgreich gegen Großbritannien klagen, wenn sie nachweisen kann, dass das Überwachungsprogramm Tempora sie in ihren Rechten verletzt hat und der nationale Rechtsweg dagegen erschöpft ist. Das dauert lange und der Ausgang ist ungewiss.
Schneller wäre eine Staatenbeschwerde Deutschlands gegen Großbritannien wegen Verstoßes gegen Art. 8 und Art. 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK), also wegen einer Verletzung des Privat- und Familienlebens sowie der Meinungsfreiheit. Nach der EMRK ist Deutschland verpflichtet, "allen ihrer Hoheitsgewalt unterstehenden Personen" diese Rechte zuzusichern. Dies umfasst auch positive Schutzpflichten – der Staat muss also etwas tun, um seine Bürger gegenüber anderen Staaten zu schützen.
Zwar gelten auch die Rechte aus Art. 8 und Art. 10 EMRK nicht absolut. Eingriffe sind aber nur zulässig, wenn sie gesetzlich vorgesehen und verhältnismäßig sind. Je umfassender die Überwachung war desto schwieriger wird es für die britischen Behörden, diesen Verhältnismäßigkeitstest zu bestehen.
2/2: Menschenrechte gelten auch online
Das Internet stellt den Menschenrechtsschutz nicht vor grundlegend neue Herausforderungen: In einer Resolution aus dem Jahr 2011 hat der UN-Menschenrechtsrat einstimmig festgehalten, dass alle Menschenrechte, die offline gelten, dies auch online tun.
Umgesetzt haben die Staaten dieses Bekenntnis noch nicht. Wie der Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Meinungsäußerungsfreiheit, Frank La Rue, in seinem aktuellen Bericht zeigt, erlauben viele nationale Gesetze eine verdachtsunabhängige Massenüberwachung. Neben den USA kritisiert La Rue auch die Kompetenzen des deutschen Bundesnachrichtendienstes. Er erinnert daran, dass jede Überwachungsmaßnahme gesetzlich vorgesehen zu sein hat, ein legitimes Ziel verfolgen muss und verhältnismäßig sein muss: keine weniger eingriffsintensive Techniken dürften zur Verfügung stehen.
Für höchst problematisch hält der Experte den fehlenden Rechtsweg für Betroffene gegen Überwachungsmaßnahmen fremder Staaten. Das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz ist im internationalen Kontext tatsächlich noch unterentwickelt. Schon jene Personen, die sich auf den Anti-Terror-Listen des Sicherheitsrates wiederfanden, mussten lange auf ihre Rechte warten.
Anliegen der Grünen hat keine Chance
Rechtspolitisch wichtig ist es, die Bedingungen klarzustellen, unter denen US-Unternehmen Daten von europäischen Bürgern in die USA transferieren können. Eine entsprechende "Anti-FISA"-Klausel haben US-Vertreter aber aus Entwürfen zu neuen EU-Datenschutzregeln herausverhandelt. Hier ist mehr europäische Datenschutzbewusstsein gefragt – und ein besserer rechtlicher Schutz für die Daten europäischer Bürger, die von US-Unternehmen auf amerikanischen Servern gespeichert werden. Gerade Deutschland als Geburtsland des Rechts auf informationelle Selbstbestimmung sollte Stellung beziehen.
Der Entschließungsantrag der grünen Bundestagsfraktion hat keine Chance. Weder der Internationale Gerichtshof noch der Europäische Gerichtshof werden sich in absehbarer Zeit mit PRISM oder Tempora beschäftigen. Aber warum nicht vor der eigenen Haustür kehren: Wie der Rechtsanwalt Niko Härting und der Juraprofessor Andrew Hammel ausgeführt haben, tagt auch in Deutschland das Gremium zur Überwachung der nachrichtendienstlichen Internetüberwachung im Geheimen.
Im Bericht dieses Parlamentarischen Kontrollgremiums für das Jahr 2011 heißt es zur Massenerfassung von E-Mails: "Das dem Parlamentarischen Kontrollgremium gründlich und plausibel erläuterte Verfahren gab keinen Anlass zur Beanstandung durch das Gremium." Sollte uns das reichen? Oder wäre es gerade anlässlich PRISM und Tempora nicht an der Zeit, den Scheinwerfer auf jene Internetüberwachung zu richten, die ganz unzweifelhaft der Kontrolle der deutschen Öffentlichkeit unterliegt, nämlich jener des BND? Das schulden wir dem Recht auf informationelle Selbstbestimmung.
Der Autor Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard), ist Universitätsassistent am Institut für Völkerrecht und Internationale Beziehungen der Karl-Franzens-Universität Graz (Österreich) und ab Herbst Post-Doc Fellow am Exzellenzcluster „Normative Ordnungen“ der Goethe-Universität Frankfurt am Main. Er beschäftigt sich mit dem Menschenrechtsschutz im Internet und ist Co-Chair der Internet Rights & Principles Coalition. Er bloggt unter http://internationallawandtheinternet.blogspot.com.
Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard), Klagen gegen Überwachungsprogramme: Kaum eine Chance vor internationalen Gerichten . In: Legal Tribune Online, 28.06.2013 , https://www.lto.de/persistent/a_id/9034/ (abgerufen am: 28.03.2024 )
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