Asylrecht zum Mitreden Teil 2: Diese Leis­tun­g­an­sprüche haben Asyl­su­chende wir­k­lich

von Tanja Podolski

28.09.2023

Kostenlose Wohnung, Krankenversicherung, Urlaub im Herkunftsland: Den Geflüchteten geht es in Deutschland sehr gut, meint nicht nur Friedrich Merz. Doch wie sieht die (rechtliche) Lebenswirklichkeit von geflüchteten Menschen tatsächlich aus?

In der Polemik gegen Geflüchtete übertreffen sich die Politiker selbst derzeit täglich. Gestern war es CDU-Chef Friedrich Merz, der im Welt-Talk über Pull-Faktoren redete. Die Geflüchteten kämen wegen der Anreize nach Deutschland und würden den Deutschen angeblich ihre Zahnarzttermine wegnehmen ("und die deutschen Bürger bekommen keine Termine"). Eine Behauptung ohne jeden Beleg. 

Wer in Deutschland überhaupt einen Schutzstatus bekommt und weitere Grundlagen des Asylrechts zum Mitreden, hat LTO bereits vor einigen Jahren zusammengestellt. In diesem Teil zwei geht es nun darum, welche Leistungen die Geflüchteten bekommen, warum Ausreisepflichtige nicht abgeschoben werden, wer Urlaub machen darf und welche Folgen eine Ausweitung der Liste der sicheren Herkunftsstaaten hätte.

Zweihundertzweiundfünfzigtausendvierhundertzweiundzwanzig (in Zahlen: 252.422): So viele Menschen stellten in Deutschland im gesamten Jahr 2022 einen Asylantrag. Die Anzahl ist also überschaubar höher, als die zuletzt von Markus Söder proklamierte Obergrenze von 200.000 Menschen. Die meisten der Ankommenden stammten aus Syrien, Afghanistan und der Türkei. Zwischen Januar und August 2023 wurden in Deutschland 220.116 Asylanträge gestellt, davon 204.461 Erstanträge, hinzu kommen die ukrainischen Geflüchteten. Das sind rund 66 Prozent mehr Asylanträge als im gleichen Zeitraum 2022, 175.474 davon hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (BAMF) beschieden, die Schutzquote lag bei 52 Prozent. 

Wer als Asylbewerber:in nach Deutschland kommt, bekommt kein Bürgergeld. Die Menschen im Asylverfahren und solche mit Duldungen – Geduldete sind Menschen, die aus anerkannten Gründen nicht in ihre Herkunftsländer zurückkönnen erhalten Leistungen nach dem Asylbewerberleistungsgesetz (AsylbLG). Zuständig dafür sind die Sozialämter. Die Leistungen sind geringer als das Bürgergeld. 

Mit der Höhe hat sich schon vor über zehn Jahren das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) befasst und damals entschieden, dass die Grundleistungen in Form von Geldleistungen nach dem AsylbLG mit dem Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums unvereinbar sind (Urt. v. 18.07.2012, Az. 1 BvL 10/10 u. 1 BvL 2/11). Vorübergehend entsprach die Höhe der Leistungen nach dem AsylbLG in der Folge denen des damaligen Hartz IV. 

Aktuell gilt: Alleinstehende Asylbewerber:innen sollten als Grundleistungen in den ersten 18 Monaten des Aufenthalts 228 Euro für den notwendigen Bedarf (physisches Existenzminimum) zuzüglich 182 Euro als notwendigen persönlichen Bedarf (soziokulturelles Existenzminimum) bekommen, insgesamt also 410 Euro. Nach AsylbLG wird Asylbewerber:innen in Sammelunterkünften aber zehn Prozent weniger Bedarf zugeschrieben als anderen Leistungsempfänger:innen, sie erhalten also 205 Euro zzgl. 164 Euro. Die Regelung hat das BVerfG inzwischen als verfassungswidrig bewertet (Beschl. v. 19. 10.2022, Az. 1 BvL 3/21), das Grundrecht auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums sei verletzt.

"In der Praxis aber erhalten viele Betroffene in den Unterkünften weiterhin diesen reduzierten Satz, abzüglich der Sachleistungen wie z.B. Kosten für Essen in den Kantinen, Tickets für den ÖPNV – ob man sie will oder nicht", berichtet Andrea Kothen, Referentin bei Pro Asyl im Gespräch mit LTO. Angerechnet werde alles, was als Sachleistung zur Verfügung gestellt wird: Kleidung, Internetsteckdose oder Seife.

Alleinstehende Bürgergeldberechtigte erhalten hingegen 502 Euro – also 92 Euro mehr als Asylbewerber – und sie erhalten den Betrag stets als Geldleistung zur eigenen Verfügung. 

 

Nach 18 Monaten werden die Regelleistungen nach § 2 AsylbLG angehoben und entsprechen dann weitgehend den üblichen Sätzen. Nach positivem Abschluss des Asylverfahrens richten sich die Leistungen für die Schutzberechtigten direkt nach dem Sozialgesetzbuch (SGB) II und X, die Sachleistungen in den Gemeinschaftsunterkünften werden weiterhin angerechnet. Menschen, die selbst Geld verdienen, aber auf dem freien Markt noch keine Wohnung gefunden haben, müssen oft sehr hohe Mieten für das Bett in einer Gemeinschaftsunterkunft bezahlen.

Rechtlich hätten die Menschen mit Aufenthaltsrecht einen Anspruch auf eine Wohnung und eine Erstausstattung, diese müsse aber beantragt werden und "sind kein Automatismus", sagt Kothen.

Das Recherchenetzwerk correctiv hat klargestellt, dass Deutsche den höchsten Anteil der Sozialleistung beziehen: "Von insgesamt rund 5,5 Millionen Menschen, die Bürgergeld bekommen, sind etwa 2,9 Millionen Deutsche. Entsprechend liegt deren Anteil am Bürgergeld bei knapp 53 Prozent. Von den rund 5,5 Millionen Beziehern seien im Juli rund 1,6 Millionen nicht erwerbsfähige Leistungsberechtigte gewesen – also Menschen, die unter 15 Jahre alt sind oder aufgrund ihrer gesundheitlichen Situation nicht in der Lage sind, mindestens drei Stunden täglich zu arbeiten.

Wer als Asylbewerber:in nach Deutschland kommt, muss sein Vermögen grundsätzlich abgeben, um die eigenen Kosten zu tragen, § 7a AsylbLG. Nach dem Gesetz verbleibt ein Freibetrag in Höhe von 200 Euro, den die Menschen für sich behalten dürfen.

Nach Medienberichten konnten die Kommunen im Jahr 2016 auf diesem Weg rund 860.000 Euro sicherstellen – bei 745.545 Asylantragsteller:innen in dem Jahr. 

"Die Leute haben Unsummen dafür bezahlt, dass sie überhaupt herkommen können, ich bezweifele, dass da noch wesentliches Vermögen übrigbleibt", sagt Andrea Kothen von ProAsyl. Womöglich gebe es bei einigen Geflüchteten noch Besitz im Herkunftsland, aber die Häuser seien nicht selten kriegszerstört oder längst von anderen bewohnt. Die Menschen machten in der Regel alles zu Geld, um ihre Flucht zu bezahlen.

Doch wer noch etwas hat, ist verpflichtet, dies bis zum Selbstbehalt abzugeben.

Für Menschen, die Leistungen nach dem AsylbLG beziehen, ist eine Krankenversorgung zu gewährleisten, §§ 4, 6 AsylbLG. Nach dem Gesetz gilt dies nur für akute Erkrankungen und Schmerzzustände. Zum Zahnersatz heißt es etwa: "Eine Versorgung mit Zahnersatz erfolgt nur, soweit dies im Einzelfall aus medizinischen Gründen unaufschiebbar ist" (§ 4 Abs. 1 a.E. AsylbLG). 

Im Einzelfall müssen auch größere Maßnahmen übernommen werden: "Vor allem bei Kindern müsse im Lichte des Grundrechts auf Gewährleistung eines menschenwürdigen Existenzminimums und unter Berücksichtigung der UN-Kinderrechtskonvention besonders gerechtfertigt werden, wenn eine nach den hiesigen Lebensverhältnissen medizinisch erforderliche Behandlungsmaßnahme als nicht zur Sicherung der Gesundheit unerlässlich abgelehnt werden soll", entschied das Landessozialgericht (LSG) Niedersachsen-Bremen, Beschl. v. 20.06.2023, Az. L 8 AY 16/23 B ER).  

Das Gericht verpflichtete daher eine Behörde, Kosten für eine Operation in Höhe von 65.000 Euro für einen Minderjährigen im Asylverfahren zu übernehmen. Der Junge hatte gute Chancen, nach der OP nicht mehr auf einen Rollstuhl angewiesen zu sein und ggf. sogar ohne Hilfsmittel schmerzarm bzw. schmerzfrei laufen zu können.  

Nach erfolgreichem Abschluss des Asylverfahrens besteht ein Anspruch der Menschen auf Aufnahme in die reguläre Krankenversicherung.  

Einige der Geflüchteten kommen aus so genannten sicheren Herkunftsländern. Diese sind in der Anlage II zum AsylG bezeichnet: Albanien, Bosnien und Herzegowina, Ghana, Kosovo, Mazedonien, ehemalige jugoslawische Republik, Montenegro, Senegal und Serbien. CDU-Chef Friedrich Merz fordert, die Liste um Moldau, Georgien, Tunesien, Marokko, Algerien und Indien zu erweitern, die Ampelregierung will zumindest Georgien und Moldau aufnehmen. Amnesty International lehnt das Konzept der sicheren Herkunftsländer insgesamt ab. 

Der Asylantrag von Menschen aus diesen Ländern wird grundsätzlich als offensichtlich unbegründet abgelehnt, § 29a Abs. 1 AsylG. Denn es gilt eine Vermutung, dass in diesen Ländern keine Fluchtgründe bestehen – wer etwas anderes behauptet, muss das auch beweisen. Die Asylverfahren können in beschleunigten Verfahren durchgeführt werden, § 30a AsylG. 

Für diese Menschen besteht ein Arbeitsverbot, sie müssen in Sammelunterkünften leben, dürfen nicht an Integrationsmaßnahmen teilnehmen und haben keine Möglichkeit, eine Duldung zu erhalten, um eine Ausbildung machen zu dürfen. 

Auch für Asylantragsteller:innen besteht zunächst ein Verbot, eine Arbeit aufzunehmen: Sie müssen die ersten drei Monate in einer Erstaufnahmeeinrichtung leben und dürfen in dieser Zeit nicht arbeiten, §§ 47, 61 AsylG. Dieses Verbot endet mit der Anerkennung als Schutzberechtigte oder nach spätestens neun Monaten, es sei denn, die Menschen stammen aus so genannten sicheren Herkunftsstaaten, dann bleibt das Arbeitsverbot bestehen.

Zudem können die Ausländerbehörden individuelle Arbeitsverbote verhängen. "Das passiert etwa, wenn sie meinen, dass die Geduldeten ihr Abschiebungshindernis selbst zu vertreten haben oder ihrer Mitwirkungspflicht etwa bei der Beschaffung von Ausweisdokumenten nicht nachkommen", erklärt Andrea Kothen von ProAsyl.

Das Recherchenetzwerk correctiv zeigte mit Zahlen des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB), dass "die Erwerbstätigenquote – also das Verhältnis der Personen, die eine bezahlte Tätigkeit ausüben – sieben Jahre nach dem Zuzug nach Deutschland im Schnitt bei 62 Prozent liegt".

Empörung ziehen regelmäßig die Zahlen der Ausreisepflichtigen und der tatsächlichen Abschiebungen nach sich. Letztere haben im ersten Halbjahr um mehr als ein Viertel zugenommen: Von Januar bis Juni 2023 wurden 7.861 Personen abgeschoben, berichtete die "Neue Osnabrücker Zeitung" (NOZ) unter Berufung auf das Bundesinnenministerium. Das sind knapp 27 Prozent mehr als im Vorjahreszeitraum. 

Am 30. Juni lebten dem Bericht der NOZ zufolge 279.098 ausreisepflichtige Personen in Deutschland. Die Zahl der Ausreisepflichtigen sei damit erstmals seit vielen Jahren gesunken. Davon hätten 224.768 eine Duldung besessen.

Wer erfolglos das Asylverfahren durchlaufen hat, kann nur abgeschoben werden, wenn und solange die Person keine Duldung erhält.* Die gibt es, wenn keine Gründe für die Anerkennung eines Schutzstatus und keine Abschiebungsverbote bestehen, aber ein Duldungsgrund nach § 60a Aufenthaltsgesetz (AufenthG) eingreift. Das ist etwa der Fall, wenn die Abschiebung aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen unmöglich ist (Abs. 2 S. 1), zum Beispiel wenn ein gültiger (ausländischer) Reisepass fehlt oder die betroffene Person gesundheitlich nicht in der Lage ist zu reisen.**

Unter den Geduldeten haben sich nach ProAsyl Ende vergangenen Jahres 32.000 Menschen aus dem Irak, 21.000 aus Afghanistan, 16.000 aus Nigeria, 14.000 aus der Russischen Föderation und 11.000 aus dem Iran befunden. In diese Staaten finden aktuell nur wenige oder überhaupt keine Abschiebungen statt

Ob die verbleibenden rund 55.000 Ausreisepflichtigen ohne Duldung tatsächlich abgeschoben werden könnten, lässt sich aus dem Begriff der Ausreisepflicht nicht entnehmen: Zum einen ist gar nicht klar, ob alle diese Menschen überhaupt noch im Land sind: "Es gibt eine Vielzahl freiwilliger Ausreisen", berichtet Andrea Kothen von ProAsyl. Diese Ausreisen würden aber in den Systemen nicht zuverlässig erfasst. Viele Ausreisepflichtige seien zudem keine ehemaligen Asylsuchenden: So sind in dieser Zahl zum Beispiel auch ausländische Studierende enthalten, die den Nachweis für eine Verlängerung ihres Aufenthalts nicht erbracht haben oder Touristen, die ihr Visum überzogen haben.

* Zuvor hieß es hier, dass eine Person nach erfolglosem Asylverfahren nur ausreisen muss, wenn sie keine Duldung erhält. Eine Ausreisepflicht besteht jedoch auch bei Geduldeten, nur kann diese nicht vollzogen werden. (02.10.2023, 16:02 Uhr, Red.)

** Zuvor hieß es hier unzutreffend, dass eine Duldung erteilt werden, wenn Abschiebungsverbote nach § 60 AufenthG bestünden. Zudem hieß es hier (an sich zutreffend), dass Abschiebungsverbote etwa bestehen, wenn eine gesundheitliche Versorgung im Herkunftsland nicht sichergestellt werden kannn oder dem Menschen eine konkrete Gefahr für Leib und Leben im Herkunftsland droht. (02.10.2023, 16:02 Uhr, Red.)

Wer einen Aufenthaltstitel in Deutschland bekommen hat, erhält – wie alle Menschen, die Bürgergeld beziehen – auch Anspruch auf Urlaub. 

Es kommt mal vor, dass Personen dann in ihr Herkunftsland reisen – aus den unterschiedlichsten Gründen: "Vielleicht liegt eine nahestehende Verwandte im Sterben", sagt Kothen. Dass sich hier anerkannte Menschen nach Jahren – meist erst mit deutschem Pass – in den Verfolgerstaat zurücktrauen, sei aber die Ausnahme. 

Für Menschen im Asylverfahren ist eine Auslandsreise ohnehin illusorisch, "Asylsuchende und Menschen mit Duldung machen keinen Urlaub in ihren Herkunftsländern", sagt die Referentin, und weiter: "Menschen können mit einer Duldung ohnehin nicht reisen, selbst wenn sie das Geld dafür hätten. Und wer ausreisepflichtig ist, was bei einer Duldung der Fall ist, darf regulär nicht einfach zurückkommen und unterliegt gem. § 11 AufenthG gegebenenfalls sogar einer Wiedereinreisesperre."

Zitiervorschlag

Asylrecht zum Mitreden Teil 2: Diese Leistungansprüche haben Asylsuchende wirklich . In: Legal Tribune Online, 28.09.2023 , https://www.lto.de/persistent/a_id/52805/ (abgerufen am: 28.04.2024 )

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