Milliardenzahlungen an Russland für Öl und Gas: Leistet die Regie­rung Bei­hilfe zu Putins Angriffs­krieg?

von Dr. Felix W. Zimmermann

14.03.2022

Die Bundesregierung ist sich einig: Auf Öl und Gas aus Russland wollen Scholz, Habeck und Lindner trotz Russlands Krieg gegen die Ukraine nicht verzichten - und finanzieren damit das System Putin. Machen sie sich dadurch strafbar?

Kein Importstopp für Öl und Gas aus Russland, weil ansonsten die Versorgungssicherheit in Deutschland nicht gewährleistet sei - für diese Argumentation schlägt der Bundesregierung viel Kritik entgegen. Sie finanziere damit den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine.

Moralisch fragwürdig ist die Haltung allemal, doch auch rechtlich könnte sie heikel sein. Machen sich deutsche Regierungspolitiker damit wegen Beihilfe zum Angriffskrieg strafbar? Dies wäre dann der Fall, wenn in der russischen Invasion eine Straftat läge, zu der Mitglieder der Bundesregierung Hilfe nach § 27 Strafgesetzbuch (StGB) leisten.

Verbrechen der Aggression liegt vor

Nach wohl einhelliger Auffassung der Völkerstrafrechtler macht sich Wladimir Putin durch die russische Invasion des Verbrechens der Aggression schuldig. Es ist international in Art. 8bis Römisches Statut des Internationalen Strafgerichtshofs* (Rom Statut) und national in § 13 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) geregelt. Nach der deutschen Regelung wird mit lebenslanger Freiheitsstrafe bedroht, wer einen Angriffskrieg führt oder eine sonstige Angriffshandlung begeht, die eine offenkundige Verletzung der UN-Charta darstellt.

Die Invasion verletzt offensichtlich die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine, was in § 13 Abs. 3 VStGB ausdrücklich als verbotene Angriffshandlung definiert ist. Rechtfertigungsgründe sind nicht ersichtlich bzw. vorgeschoben. Zudem könnten durch russische Offiziere weitere Delikte verwirklicht sein, wie etwa Kriegsverbrechen gegen Personen (§ 8 VStGB), aufgrund Bombardierung einer Geburtsklinik oder das Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung (§ 11 VStGB) durch Einsatz von verbotenen Vakuumwaffen. Entsprechende Prüfungen durch den Internationalen Strafgerichtshof laufen.

Deutsche Regierungspolitiker vom Verbot des Angriffskriegs erfasst

Wegen Beteiligung an einem Angriffskrieg kann sich jedoch nicht jeder Bürger strafbar machen. Es können nur Personen bestraft werden, die in der Lage sind, das politische oder militärische Handeln eines Staates zu kontrollieren oder zu lenken (§ 13 Abs. 4 VStGB, sogenanntes Führungsdelikt). Allerdings reicht es nach dem Wortlaut aus, dass eine Person das Handeln „eines Staates“ kontrolliert, sie muss nicht das Handeln des Aggressor-Staates kontrollieren.

Die Vorschrift bezweckt, Soldaten, denen die Beurteilung der Rechtmäßigkeit des Einsatzes von Waffengewalt schwerfällt, von der Strafbarkeit auszunehmen. Sie bezweckt aber nicht, Regierungsverantwortliche anderer Länder, die etwa einen ausländischen Amtskollegen zu einem Angriffskrieg anstiften, von der Strafverfolgung zu befreien. Nach der Gesetzesbegründung können sogar hochrangige Wirtschaftsführer erfasst sein, sofern sie das Staatsgeschehen lenken.

Auch § 1 VStGB steht der Beihilfestrafbarkeit deutscher Regierungspolitiker nicht entgegen. Hiernach muss zwar der Täter „Deutscher“ sein, der Begriff umfasst im Einklang mit anderen Strafanwendungsvorschriften aber auch Teilnehmer einer Straftat, also Personen, die Anstiftung oder Beihilfe leisten. Demnach kann zwar Wladimir Putin in Deutschland nicht wegen des Verbrechens der Aggression vor Gericht gestellt werden*, deutsche politische Entscheider hingegen theoretisch schon.

Hilfeleistung zum Angriffskrieg durch Milliardenzahlungen?

Bis zu einer Milliarde Euro erhält Russland jeden Tag aus Europa für seine Energielieferungen, teilweise fließt das Geld direkt an russische Staatsunternehmen. Aus Deutschland sollen es vor Kriegsbeginn 200 Millionen Euro gewesen sein. Der Krieg führt zum Preisanstieg und damit perfider Weise zu noch höheren Einnahmen des russischen Staats, der doch wirtschaftlich isoliert und durch Sanktionen unter Druck gebracht werden soll.

In diesen Zahlungen eine strafrechtlich relevante Hilfeleistung zum Angriffskrieg zu sehen, liegt vor allem dann nahe, wenn die Gelder für die Kriegsführung verwendet werden. Dies wird von Medien und Politikern teilweise schlichtweg behauptet und mit recht simplen Vergleichen der Kosten für Kriegsgerät mit den eingehenden Zahlungen untermauert.

Andere Stimmen verweisen indes darauf, dass Russland Waffen in Eigenproduktion herstelle und seine Soldaten in Rubel bezahle, die das Land nach Belieben nachdrucken könne. Ausländische Devisen seien daher für die Aufrechterhaltung der Kriegsmaschinerie nicht erforderlich. Diese Ansicht vertritt auch Militärökonom Dr. Marcus Keupp von Militärakademie an der ETH Zürich gegenüber LTO. Aus militärökonomischer Sicht könne der Krieg auch mit Embargo unbegrenzt lange weitergehen.

Keine Kausalität für Kriegsführung, aber Förderung des Machterhalts?

Aus rechtlicher Sicht gilt jedoch, dass der Beihilfetatbestand nur die objektive Förderung und nicht die Ermöglichung der Haupttat verlangt. Kausalität im Sinne einer Ermöglichung der Fortführung des Angriffskriegs durch die Geldzahlung ist nicht erforderlich. Nach Angaben des Militärökonom Keupp würden Russland durch einen Energieboykott circa 40 Prozent der Staatseinnahmen wegbrechen. Entsprechend könnte angenommen werden, dass die russische Wirtschaft durch die Milliardenzahlungen gestützt wird, insbesondere die Bevölkerung weiterhin versorgt werden kann und damit auch ein Aufbegehren der Bevölkerung gegen den Krieg unwahrscheinlicher wird.

Gerade vor dem Hintergrund der immensen Größenordnung der Geldzahlungen erscheint die Argumentation der Aufrechterhaltung des Machterhalts durch die Milliardenzahlungen und daraus folgenden Förderung des Krieges durchaus plausibel. Ein Zahlungsstopp könnte die Kriegsführung zumindest erschweren, was in der strafrechtlichen Dogmatik für eine Beihilfehandlung als ausreichend angesehen wird.

Bezahlung von Öl und Gas als neutrale Handlung?

Allerdings könnte im Kauf von Öl und Gas eine neutrale Handlung zu sehen sein, bei der eine Strafbarkeit der Beihilfe nach der Rechtsprechung entfällt. Im Gegensatz zu Waffenlieferungen sind Zahlungen für Energie isoliert betrachtet wertneutral. Für Völkerstrafrechtlerin Prof. Dr. Stefanie Bock von der Universität Marburg sind Geldzahlungen an Putin indes nicht wertneutral. Nach der Rechtsprechung entfalle diese Privilegierung, wenn ein erkennbar tatgeneigter Täter unterstützt werde. Wladimir Putin sei aufgrund des fortwährenden Angriffskriegs offensichtlich tatgeneigt, so Bock.

Prof. Kilian Wegner von der Europa-Universität Viadrina ist da skeptischer. Er weist gegenüber LTO darauf hin, dass der Bundesgerichtshof (BGH) für den Tatbeitrag der Beihilfe einen „deliktischen Sinnbezug“ fordere.  Hieran könne es bei Energiezahlungen, die unabhängig von der Aggression in der Ukraine für Russland Sinn machen, fehlen. Sinnvoller sei es allerdings, die Beihilfestrafbarkeit von einer Gesamtabwägung zwischen dem gesellschaftlichen Nutzen der Geldzahlungen und der Schädlichkeit ihrer Folgen abhängig zu machen, so Wegner. Auf diese Weise wäre es dogmatisch jedenfalls vertretbar, die deutschen Überweisungen als strafbare Beihilfe zum Angriffskrieg einstufen. 

Wegner gibt jedoch zu bedenken, dass dann auch andere Verhaltensweisen als strafbar bewertet werden müssten, die in der Gesellschaft für geringere Empörung sorgen. Als Beispiel nennt er die Wirtschaftsbeziehungen zu den USA während des Überfalls auf den Irak 2003, der unter Völkerrechtlern ganz überwiegend ebenfalls als illegaler Angriffskrieg bewertet wird.

Deutsche Regierung zahlt nicht direkt Geld an Russland

Bejaht man die Hilfeleistung zum Angriffskrieg durch die Milliardenzahlungen, stellt sich sodann die wohl größte Hürde für die Bejahung der Strafbarkeit deutscher Regierungsmitglieder. So ist es nicht der deutsche Staat selbst, der Geld an Russland für Öl und Gas zahlt. Das Bundeswirtschaftsministerium teilt gegenüber LTO mit, dass es keine Verträge der Bundesregierung mit Unternehmen, auch nicht mit russischen in Bezug auf Öl- und Gasimporte gäbe. Deutschland habe einen liberalisierten Energiemarkt. Verträge und Lieferungen gingen allein über die Händler. Auch gäbe es derzeit keine Regulierung dieser Geschäfte.

Somit kann Anknüpfungspunkt für die Frage nach der Strafbarkeit von Regierungsmitgliedern kein Handeln, sondern nur ein Unterlassen sein. Konkret das Unterlassen von Regierungsmitgliedern, sich auf europäischer Ebene für ein Öl- und Gasembargo einzusetzen oder im nationalen Alleingang ein solches Embargo in Gang zu setzen.

Eine Strafbarkeit durch Unterlassung kann nach § 13 StGB allerdings nur dann vorliegen, wenn eine Person rechtlich für die Erfolgsverhinderung einzustehen hat. Damit ist die sogenannte Garantenstellung angesprochen. Klassische Fälle sind etwa Eltern, die ihr Kind zu beaufsichtigen haben (Beschützergarant), oder Personen, die durch ihr pflichtwidriges Verhalten eine Gefahr erst verursacht haben (Überwachergarant). Deutsche Regierungspolitiker haben nach Art. 56 GG Schaden vom deutschen Volke abzuwenden. Schon hieraus erwächst nach überwiegender Auffassung keine Garantenplicht. Jedenfalls aber sind deutsche Regierungspolitiker nach dem Grundgesetz keine Beschützergaranten zur Verhinderung von Angriffskriegen in anderen Ländern.

Garantenstellung aus dem Völkerrecht?

Es könnte sich jedoch aus völkerrechtlichen Verpflichtungen eine Garantenpflicht der Regierungsmitglieder ergeben. Dem völkerrechtlichen Prinzip der Staatenverantwortlichkeit lässt sich entnehmen, dass kein Staat den Bruch zwingenden Völkerrechts als rechtmäßig anerkennen noch Hilfe oder Unterstützung leisten darf, um diese Situation aufrechtzuerhalten. Dies ist explizit in Art. 41 Abs. 2 des Entwurfs der UN-Völkerrechtskommission zur Verantwortung von Staaten für völkerrechtswidrige Handlungen geregelt. Die Regelungen sind von der Generalversammlung der UN im Jahre 2001 angenommen worden, sind jedoch mangels völkerrechtlichen Vertrags unverbindlich. Sie werden aber zum Beleg für Völkergewohnheitsrecht herangezogen. Nach Ansicht der Rechtsprofessorin Prof. Dr. Diana Desierto von der Yale Law School in den USA kann das Prinzip der Staatenverantwortlichkeit dazu verpflichten, Sanktionen gegen Russland in Gang zu bringen. Bereits kurz vor dem Ukraine-Krieg hatte sie sich dafür ausgesprochen, dass Deutschland aus völkerrechtlichen Gründen Nord-Stream-2 nicht in Betrieb nehmen soll.

Könnte man dann auch weitergehend eine Garantenpflicht für hochrangige Politiker zur Verhinderung völkerrechtswidriger Zustände annehmen, wenn man zuvor von einer völkerrechtlichen Handlungspflicht ausgeht, Sanktionen zu erlassen?

Völkerstrafrechtler Prof. Dr. Kai Ambos von der Universität Göttingen und zugleich Richter am Kosovo Sondertribunal in Den Haag hält diese Gedanken nicht für abwegig. Bei extensiver Auslegung völkerrechtlicher Verpflichtungen könnte jedenfalls Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) aufgrund seiner Richtlinienkompetenz sowie Wirtschaftsminister Robert Habeck (Die Grünen) aufgrund der Ressortzuständigkeit eine entsprechende Garantenstellung zur Verhinderung oder Abschwächung völkerrechtswidriger Zustände zukommen. Im konkreten Fall könnte dies die Verpflichtung beinhalten, die Milliardenzahlungen an Russland zu stoppen, meint Ambos.

Viele Wirtschaftsbeziehungen müssten beendet werden

Völkerstrafrechtlerin Bock sieht das anders. Selbst wenn es eine völkerrechtliche Pflicht zum Erlass eines Energieembargos gäbe, dürfte es schwierig sein, hieraus Garantenpflichten auf individueller Ebene abzuleiten. So seien etwa die Staaten nach der Genozid-Konvention verpflichtet, Genozide zu verhindern. Allerdings lasse sich daraus nicht ableiten, dass Regierungschefs wegen Völkermordes durch Unterlassen strafbar sind, wenn sie Genozide in anderen Staaten nicht verhindern. Alle Staaten der Welt als Schutzgaranten für die Ukraine anzusehen, ginge zu weit und würde Verteidigungsbündnisse obsolet machen, sagt Bock. Zudem würde sich dann auch die Frage stellen, ob die Weigerung, militärisch in der Ukraine zu intervenieren, eine Beihilfestrafbarkeit begründet.

Auch Strafrechtsprofessor Wegner hält eine Garantenstellung aus dem Völkerrecht für fernliegend. Andernfalls müsse Deutschland einen ganz erheblichen Teil seiner Außenhandelsbeziehungen sofort beenden und nachträglich auch noch eine ganze Reihe von Strafverfahren gegen die vergangenen Bundesregierungen einleiten, gibt er zu bedenken. Eine Welt mit umfassenden völkerrechtlichen Beistandspflichten sei zwar wünschenswert, aber derzeit kein realistisches Szenario.

Wenn man gleichwohl eine Beihilfe annähme, würde sich neben der Frage des Vorsatzes im Hinblick auf die Förderungshandlung auch noch die nach der Rechtfertigung stellen - nämlich Insbesondere, ob aufgrund der Notwendigkeit der Energieversorgung zumindest ein entschuldigender Notstand nach § 35 StGB in Betracht käme. Nach Auffassung von Ambos bedürfe es hierfür allerdings eines klar überwiegenden Interesses an der deutschen Energieversorgung gegenüber den Leib- und Sachschäden des Krieges, letztlich müsste mit dem Lieferstopp eine konkrete Gefährdung von Leib und Leben der hier lebenden Bevölkerung einhergehen.

Verurteilung theoretisch denkbar, praktisch fernliegend

Nach der kursorischen Prüfung in diesem Artikel ist eine Strafbarkeit von Mitgliedern der Bundesregierung wegen der Weigerung des Öl- und Gasembargos zwar theoretisch konstruierbar. Dass der Generalbundesanwalt und Gerichte dies bejahen, dürfte nach dem aktuell herrschenden Rechtsverständnis jedoch praktisch ausgeschlossen sein.

Schon in der Vergangenheit sind Bemühungen gescheitert, Regierungspolitiker wegen strafbarer Beihilfe zu Völkerrechtsverbrechen vor Gericht zu bringen - und dabei ging es nicht nur um Geld, sondern sogar um Waffenlieferungen oder Zurverfügungstellung des eigenen Territoriums für völkerrechtswidrige Angriffe. Auf internationaler Ebene hat ein New Yorker Gericht Kreditzahlungen an das Apartheid-Regime in Südafrika nicht als strafwürdig erachtet, da zwischen der Bereitstellung von Geldern und der Verletzung von Völkerrecht kein hinreichend enger Zusammenhang bestünde.

So wird im Ergebnis die Frage nach dem Importstopp von Öl und Gas nicht durch das Strafrecht beantwortet werden können. Es bleibt damit eine tatsächliche und moralische Frage, ob Mitglieder der Bundesregierung sich durch die Embargo-Weigerung an Putins andauerndem Angriffskrieg mitschuldig machen.

 

* Zuvor wurde als Rechtsgrundlage für das Verbrechen der Aggression auf Art. 5 Abs. 1 d) Rom Statut verwiesen, der aber nur die Zuständigkeit des IStGH für das Verbrechen der Aggression bestimmt. Geregelt wird das Delikt in Art. 8bis Rom Statut. Weiter hieß es, dass Wladimir Putin vor dem IStGH wegen des Delikts angeklagt werden könnte. Richtig ist: Er könnte dort theoretisch wegen Kriegsverbrechen angeklagt werden, wegen des Verbrechens der Aggression aber nur, wenn der UN-Sicherheitsrat dies beschlösse.

 

Zitiervorschlag

Milliardenzahlungen an Russland für Öl und Gas: Leistet die Regierung Beihilfe zu Putins Angriffskrieg? . In: Legal Tribune Online, 14.03.2022 , https://www.lto.de/persistent/a_id/47822/ (abgerufen am: 24.04.2024 )

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