Nach den Rassismus-Vorwürfen gegen Juraprofessor

Leip­zigs Rau­scher­gate

von Marcel SchneiderLesedauer: 7 Minuten
Die Aufregung um die fragwürdigen Tweets eines Rechtsprofessors der Universität Leipzig hält an. Die Hochschule steht im medialen Rampenlicht, ein Dekan wettert bei Facebook, Rauscher sieht sich als Opfer. Eine Krise für die Lehranstalt?

"Ein weißes Europa brüderlicher Nationen" forderten junge Polen am 11. November bei ihrem Marsch durch Warschau anlässlich des polnischen Unabhängigkeitstages. "Für mich ist das ein ganz wunderbares Ziel!", twitterte Prof. Dr. Thomas Rauscher, Rechtsprofessor an der Universität Leipzig, zwei Tage später unter Bezugnahme darauf. Einen weiteren Tag später schrieb er dort, ebenfalls auf seinem privaten Account: "Wir schulden den Afrikanern und Arabern nichts. Sie haben ihre Kontinente durch Korruption, Schlendrian, ungehemmte Vermehrung und Stammes- und Religionskriege zerstört und nehmen uns nun weg, was wir mit Fleiß aufgebaut haben." Zunächst wurde unter den beiden Beiträgen heftig diskutiert, mittlerweile ist Rauschers Twitter-Account deaktiviert. Doch die Aktion eines Studierendenverbandes sorgte im Anschluss für bundesweite Aufmerksamkeit. Seitdem ebbt die Berichterstattung in lokalen wie überregionalen Medien nur langsam ab. Und an der Universität herrscht Unruhe: Rauscher wird Rassismus vorgeworfen, der Dekan der juristischen Fakultät greift in sozialen Netzwerken zu drastischen Worten und es gibt unzählige Nachfragen bei der Universität sowie ihrer Jurafakultät, wie man dort mit dem auf diese Weise auffällig gewordenen Rauscher verfahren werde.

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Nicht der erste Vorfall

Der Wirbel begann mit einem viral gegangenen Handyvideo des Leipziger Ablegers des sozialistisch demokratischen Studierendenverbands (SDS), das mittlerweile über 1,3 Millionen Mal geklickt wurde. Es zeigt, wie SDS-Mitglieder am 16. November eine Vorlesung Rauschers verzögerten, indem sie ihn zu Beginn der Lehrveranstaltung wegen seiner Tweets vor den Anwesenden kritisierten. Dabei projizierten sie Rauschers Tweets an die Wand und verteilten mit seinen Worten bedruckte Flyer mit dem Titel "Wer will so einen Professor?" an die Zuhörer. Abgebildet wurden bei der von ihnen so genannten "Rauscher rausch ab"-Aktion auch ältere Twitter-Beiträge des Professors mit ähnlichem Inhalt, für die er bereits 2016 in der Kritik gestanden, aber lange nicht solche Aufregung verursacht hatte wie aktuell. Maßnahmen ergriff die Leitung der Universität damals nicht. Das sieht nach den beiden aktuellen Tweets anders aus: Noch am 15. November "verurteilte" die Hochschule die "neuerlichen Ausführungen von Prof. Rauscher ausdrücklich" in einer offiziellen Stellungnahme. Man stehe für Weltoffenheit und Toleranz und werde "dienstrechtliche Schritte […] prüfen". Auch einige Kollegen Rauschers betonten auf ihren Lehrstuhlseiten, sich ausdrücklich von dessen Äußerungen zu distanzieren. Ähnliches ließ am Dienstag dieser Woche der Senat der Universität verlauten. Man missbillige die Twitter-Äußerungen "aufs Schärfste". Es sei nicht auszuschließen, "dass diese Einstellung auch in der Forschung und Lehre Prof. Rauschers Ausdruck findet." Entsprechend begrüße man die von der Universität eingeleitete Prüfung der dienstrechtlichen Schritte.

Hochschulrechtler: "Im Ergebnis wird nichts passieren"

Für die überwiegend studentischen Unterstützer der Aktion "Rauscher rausch ab" ist die Sache klar: Hunderte forderten den Professor, der sich aktuell dienstlich im Ausland befindet, in einer Kundgebung am Dienstag dazu auf, seinen Lehrstuhl abzugeben und die Universität zu verlassen. Sie kritisieren insbesondere, dass er trotz der Rassismus-Vorwürfe den Posten des Erasmus-Beauftragten innehat. Mittlerweile gibt es eine Online-Petition mit dem Ziel, ihm diese Aufgabe von der Fakultät entziehen zu lassen. Der Dekan der Fakultät, Prof. Dr. Tim Drygala, hält es "nicht für gut, dass ein Professor, der auch nur den Anschein erweckt, Vorurteile gegenüber ausländischen Studierenden bestimmter Herkunft und bestimmter Hautfarbe zu haben, über die Auswahl der Studierenden entscheidet und sie betreut." Die Frage, wie gut oder schlecht die Chancen stehen, Rauscher dienstrechtlich aus dem Amt zu entfernen, ist dabei nicht eindeutig zu beantworten. Für Prof. Dr. Christian Birnbaum von der Kölner Kanzlei Birnbaum & Partner steht allerdings fest: "Im Ergebnis wird nichts passieren." Der Fachanwalt für Arbeits- und Verwaltungsrecht, der unter anderem im Hochschul- sowie akademischen Berufsrecht berät, glaubt, "dass es schon an der Frage scheitern wird, ob es sich überhaupt um ein dienstliches Vergehen handelt. Rauscher hat privat getwittert. Das mag harsch klingen, aber juristisch betrachtet ist es damit nicht mehr das Problem des Dienstherrn." Und selbst, wenn man das anders sähe, müsste noch immer eine gewisse Schwere des Vergehens festgestellt werden, gibt Birnbaum gegenüber LTO zu bedenken. Nicht umsonst kenne das Recht zunächst mildere Sanktionen, bevor es zur Entlassung aus dem Dienst komme, so  etwa den schriftlichen Verweis, die Einbehaltung von Bezügen oder das Versetzen in eine niedrigere Besoldungsstufe.

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2/2: Dekan Drygala: "Eine Zumutung für betroffene Studierende"

Dekan Drygala sieht hingegen in der Causa Rauscher sehr wohl dienstrechtliche Belange berührt: "Wer erklärt, Menschen aus Arabien oder Afrika seien alle per se unfähig und nur darauf aus, unseren Wohlstand zu rauben, kann schwerlich Studierende aus solchen Ländern unvoreingenommen unterrichten und prüfen. Zumindest entsteht hier der Eindruck von Voreingenommenheit. Es ist auch eine Zumutung für die betroffenen Studierenden, von einem Professor unterrichtet und geprüft zu werden, der ständig erklärt: 'Du solltest eigentlich nicht hier sein.' Damit macht sich der Kollege die korrekte Amtsausübung selbst unmöglich." Eine Entfernung aus dem Dienst aber hält auch Drygala "für vollkommen unverhältnismäßig". So gebe es keine belegbaren Vorfälle diskriminierender Art in der konkreten Dienstausübung Rauschers. Viele Studierende seien mit den Veranstaltungen des 62-Jährigen auch sehr zufrieden. Jenseits des Postens als Dekan vertritt er eine klare Position: " Ich finde die Äußerungen in persönlicher Hinsicht erschreckend unreflektiert, falsch und zugleich menschenfeindlich." Rauscher selbst widerspricht auf Anfrage von LTO den Rassismus-Vorwürfen. Er betont ausdrücklich, dass er sich dabei auf den Slogan der polnischen Demonstranten bezogen habe und das "weiße Europa" im Kontext seines Twitter-Beitrags als "Chiffre" zu verstehen sei: "Es ist nicht diskriminierend oder abwertend, also nicht rassistisch zu verstehen. Es unterstreicht im gegeben Kontext unmissverständlich den Wunsch und das Ziel, die gemeinsame europäische Kultur zu bewahren, die nun einmal eine 3000-jährige Geschichte, Religion, Kultur, Philosophie, Sprachentwicklung eines weiß besiedelten Kontinents ist." Damit habe er sich gegen einen Wechsel im Verständnis des Begriffs der "Weltoffenheit" aussprechen wollen: "Weltoffenheit unserer Kultur bedeutet Dialog, Austausch, Studieren und Erfahren des Anderen, Wachsen an der Erkenntnis und Entwickeln jeder der beteiligten Kulturen. Das praktiziere ich seit Jahrzehnten als Professor und privat. Es bedeutet hingegen nicht, die Türe offen zu lassen für einen Zustrom von Millionen aus fremden Kontinenten, dessen Protagonisten es nicht um weltoffenen Austausch geht, sondern um eine Vermischung zu einem Multi-Kulti, das die kulturellen Wurzeln beider Seiten zerstört", so Rauscher in seiner schriftlichen Antwort auf Anfrage der LTO.

Rauscher: "Herr Drygala ist im Jagdfieber"

Gleichzeitig kritisiert Rauscher die Aktion des SDS, die Vorlesung zu verzögern und die Tweets durch Projektion und Flugblätter bekannt zu machen. Die Aktivisten seien gekommen, "um Anklagen gegen mich zu verlesen, nicht um zu diskutieren." Dabei habe er deutlich Gesprächsbereitschaft signalisiert: "Hätten die SDS-Mitglieder mit mir diskutiert, ich würde sie für ihr Engagement loben. So war es einfach undemokratisch, es erinnert mich an stalinistische Tribunale." Auch am Verhalten seines Dekans hat Rauscher etwas auszusetzen. Drygala habe am 14. November den Tweet über das "weiße Europa" auf seiner privaten Facebook-Seite in die Nähe der Arischen Bruderschaft gerückt, die ihm bis dahin nicht einmal bekannt gewesen sei. Danach sei "der Sturm in den Studentenkreisen" losgebrochen. Rauscher selbst habe keinen Facebook-Account, sei aber über den Beitrag des Dekans informiert worden. Der lässt sich tatsächlich auf Drygalas öffentlich einsehbarer Facebook-Seite finden. Auch ein zweiter Beitrag vom 16. November ist zu sehen. In diesem lobt er 1.000 Euro Belohnung für "belastbare Hinweise auf den Hurensohn, der im Auftrag eines bestimmten Kollegen meinen Account hier überwacht". "Herr Drygala ist im Jagdfieber", kommentierte Rauscher das in seiner Mail an LTO.

Rauscher will den Rechtsweg beschreiten

Der Dekan sagte gegenüber LTO, dass der Aufruf mit der Auslobung "natürlich nicht ernst gemeint" gewesen sei. Und weiter: "Es ist aber schon auffällig, dass Herr Rauscher, obwohl selbst kein Facebook-Nutzer, stets sehr gut darüber informiert ist, was ich dort tue und treibe." Er hat den Eindruck, dass jemand im Auftrage Rauschers regelmäßig mitlese und dann berichte. "Dass ich das als etwas hinterhältig empfinde, kann man vielleicht nachvollziehen", so Drygala. Mit seinem Facebook-Beitrag, der Rauschers Tweet in Zusammenhang mit der Arischen Bruderschaft bringt, habe er "auf den Missbrauch des Begriffs der Brüderlichkeit hinweisen" wollen. "Rechtsextreme Nationalisten wie diejenigen, deren Auffassung sich Herr Rauscher auf Twitter angeschlossen hat, pervertieren diesen Begriff und verkehren ihn ins Gegenteil. Sie erkennen als Brüder nur die an, die weißer Hautfarbe sind, und benutzen dies als identitätsstiftendes Merkmal, um sich gegen andere Menschen abzugrenzen." Und ergänzt: "Das tun insbesondere auch rechtsextreme Gangs wie die Aryan Brotherhood in Amerika, in deren geistige Nähe sich Herr Rauscher mit seinem Tweet durchaus gestellt hat". Rauscher kündigte gegenüber LTO auch an, "gegen jedes dienstliche Vorgehen den Rechtsweg" zu beschreiten, was allerdings Jahre dauern könne, wie er sagt. Auf dem Campus sei das Thema "nach wie vor in aller Munde", sagt Julius Kurth vom Fachschaftsrat der Jurafakultät, es würden viele Gespräche geführt. Drygala beschreibt die Stimmung an der Universität als "aufgewühlt". Er glaubt, dass die Universität Leipzig, die künftig als einzige Lehranstalt in Sachsen überhaupt noch den Studiengang Rechtswissenschaften anbieten wird, noch einige Zeit im unangenehmen Rampenlicht stehen wird: "Ich denke nicht, dass sich die öffentliche Meinung dieses Mal so schnell beruhigt." Aufgrund der zunehmenden Zahl von unsachlichen, teils zusammenhangslosen und zum Teil beleidigenden Kommentaren haben wir die Kommentarfunktion für diesen Artikel deaktiviert. Die LTO-Redaktion (24.11.2017)

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