Wann kommt die Flut?
In diesem Jahr sind es die Bundesländer Berlin, Brandenburg, Bremen und Baden-Württemberg, die zwei Jahrgänge gleichzeitig mit der allgemeinen Hochschulreife entlassen. Alle Länder bis auf Rheinland-Pfalz haben zeitlich versetzt die Schulreform "G 8" - Gymnasium in acht Jahren - umgesetzt. Seit 2011 kommt es mit jedem Abschlussjahrgang zur logischen Konsequenz des Vorhabens: einer Flut von Abiturienten. Hinzu kommt, dass mit der Abschaffung der Wehrpflicht auf einen Schlag weitere potentielle Studenten auf den Plan gerufen wurden. Dass Deutschland nicht das Land der gestrandeten Abiturienten, sondern das Land der jungen Fachkräfte wird, soll der 2007 zwischen Bund und Ländern vereinbarte Hochschulpakt 2020 gewährleisten. Als "Zeichen unserer Verlässlichkeit", wie ihn Bundesbildungsministerin Annette Schavan beschreibt, regelt er die etappenweise Finanzierung neuer Studienplätze bis zum Jahr 2020. Als erstes Zwischenergebnis lässt sich festhalten, dass im vergangenen Wintersemester 515.800 Erstsemester an deutschen Universitäten ihr Studium aufnahmen. Im Wintersemester davor waren es noch 445.000, im Jahr 2005 sogar nur 356.000. – das bedeutet einen Anstieg um 45 Prozent seit 2005. Bis zum Jahr 2015, wenn die Einführung des "G8" nahezu abgeschlossen sein wird, sollen noch 335.000 zusätzliche Studienplätze geschaffen werden. Die zukünftige Studentenschaft wird allerdings vor allem die Realität an den Hochschulen interessieren, ob nämlich der Hochschulpakt wirklich leisten kann, dass sich die Zulassungsgrenzen nicht zu unüberwindbaren Hürden entwickeln werden.
Kein Bewerberstau in München und Göttingen
Im vergangenen Jahr waren die bevölkerungsstarken Bundesländer Bayern und Niedersachsen mit ihren Doppeljahrgängen konfrontiert. Ein Vergleich der Zulassungsstatistiken für den Studiengang Rechtswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München aus den Wintersemestern 2010/11 und 2011/12 bestätigt allerdings nicht die Befürchtungen, dass vorerst nur ein Vorzeige-Abitur die Tür zum Hörsaal öffnet. Im Doppeljahrgang 2011/12 konnten im zweiten Nachrückverfahren Bewerber bis zu einem Notendurchschnitt von 4,0 berücksichtigt werden. Im Vorjahr lag der Grenzwert im letzten Nachrückverfahren mit 2,6 überraschender Weise dagegen sogar deutlich höher. Ein ebenfalls unerwartetes Bild ergibt die Nachfrage an der Georg-August-Universität Göttingen, welche als Niedersachsens größte juristische Fakultät die meisten Studienplätze im Fach Rechtswissenschaft bereitstellt. Zwar lag die nötige Qualifikationspunktzahl, die sich aus den Abiturnoten berechnet, im Wintersemester des Doppeljahrgangs mit 8,55 leicht über dem Vorjahreswert von 7,85, doch stellt dies eine erstaunlich geringe Abweichung dar. Schwankungen dieser Höhe sind auch bei gleich bleibend starken Jahrgängen üblich. Hinzu kommt, dass im Sommersemester im Anschluss an den gefürchteten Jahrgang alle Bewerber zugelassen werden konnten. Der erwartete Bewerberstau blieb damit vorerst aus. An der Universität scheint man darüber selbst am meisten verwundert. Zwar wurden die Kapazitäten der juristischen Fakultät in Göttingen um hundert Studienplätze aufgestockt, doch ist es bei einem bevölkerungsreichen Bundesland wie Niedersachsen kaum zu glauben, dass eine solche Erweiterung einen doppelten Jahrgang kompensieren konnte. "Wir wissen auch nicht, wo die ganzen Abiturienten hin sind", lautet die Information der Studienberatung in Göttingen. Darüber könne man nur mutmaßen.Wo sind all die Abiturienten hin?
Wo sind sie hin? Bei einer so mobilen Generation lassen sich die zahlreichen Routen, die nach dem Abitur eingeschlagen werden können kaum zusammenfassen. Zunächst muss berücksichtigt werden, dass die Abiturienten-Welle der Doppeljahrgänge eigentlich aus vielen kleinen Wellen besteht. Die föderalistisch bedingte zeitliche Versetzung schwächt den Effekt deutlich ab. In vielen Fällen sind die Schulabgänger auch gewillt, ein Studium in einem anderen Bundesland oder gar im Ausland aufzunehmen. Immer häufiger verschlägt es so genannte NC-Flüchtlinge nach Österreich oder Holland. Die zusätzlichen Kapazitäten an den deutschen Universitäten und nicht zu vergessen die Möglichkeit einer Ausbildung sind weitere Erklärungen für die bisher entspannte Lage. Im Fach Rechtswissenschaft ist die Wahrscheinlichkeit, einen längeren Zeitraum überbrücken zu müssen, relativ gering und nicht vergleichbar mit der Situation in Fächern wie Medizin oder Kommunikationswissenschaften. Allerdings auch nur dann, wenn man flexibel ist und nicht mit einem Dreier-Abitur auf die Wunsch-Uni in Heidelberg pocht. Mit einem schwachen Abitur muss man als angehender Stud. Iur. eventuell zwei Semester Wartezeit einkalkulieren In dieser Situation bietet sich eine gute Gelegenheit ein Praktikum ins Auge zu fassen - nicht nur, um einen weiteren Spiegelstrich im Lebenslauf machen zu können. Ein Praktikum bietet die Möglichkeit, Erfahrungen zu sammeln, die in der Vorlesung nicht vermittelt werden können. Eine weitere Alternative ist das freiwillige soziale oder ökologische Jahr. Das eigene Engagement fließt in gemeinnützige Institutionen und wird sowohl finanziell als auch mit einer womöglich einmaligen Lebenserfahrung entlohnt. Zudem erwerben die jungen Menschen wertvolle Soft Skills - ein Begriff, mit dem sie noch Bekanntschaft machen werden. Diese Erfahrung lohnt sich vielleicht auch dann, wenn die Situation an den Universitäten entspannt bleibt. Denn ein früher Studienabschluss ist nicht das einzige, auf das Arbeitgeber im Lebenslauf achten.Auf Jobsuche? Besuche jetzt den Stellenmarkt von LTO-Karriere.
2012 M04 25
Jurastudium
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