Wissenschaftliche Dienste des Bundestages

"Wir sind häufig die ersten, die sich zu einer Frage äußern"

von Dr. Franziska KringLesedauer: 5 Minuten

Oligarchen und Sanktionen, 3G-Regelungen oder Triage: Abgeordnete wenden sich mit den verschiedensten Fragen an die Wissenschaftlichen Dienste des Bundestages. Welche Aufgaben haben Juristen dort – und wie kommt man an den Job?

"Die russische Anerkennung der 'Volksrepubliken' Donezk und Luhansk" oder "Der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum Schutz behinderter Menschen bei einer pandemiebedingten Triage" – mit diesen und weiteren aktuellen Fragestellungen beschäftigen sich die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages.

Auf Anfrage von Abgeordneten oder Gremien erstellen die Wissenschaftlichen Dienste Dokumentationen, Ausarbeitungen und Gutachten zu speziellen Fragestellungen. Diese Dienste stehen ausschließlich dem Parlament zur Verfügung. "Wir sind Dienstleister und Informationsquelle der Abgeordneten", so Dr. Frank Raue, Leiter des Fachbereichs WD3 (Verfassung und Verwaltung). In den ersten vier Wochen kann der Auftraggeber bzw. die Auftraggeberin die Ergebnisse exklusiv nutzen, danach werden sie in der Regel auf der Homepage des Bundestages veröffentlicht.

Diese Informationen unterstützen die Abgeordneten darin, ihre Hauptaufgaben wahrzunehmen – nämlich die Gesetzgebung und die Kontrolle der Bundesregierung. Dabei werden die Wissenschaftlichen Dienste nicht etwa von Amts wegen eingeschaltet, um jedes Gesetz auf seine Verfassungsmäßigkeit zu überprüfen, sondern die Abgeordneten haben das Recht, fachliche Fragen an uns zu stellen, erklärt Raue.

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"Gut als Einstiegsstation geeignet"

Die Wissenschaftlichen Dienste lassen sich in zehn thematisch spezialisierte Fachbereiche, darunter WD 1 (Geschichte, Zeitgeschichte, Politik, WD 2 (Auswärtiges, Völkerrecht, Verteidigung, Menschenrechte), WD 3 (Verfassung, Verwaltung) und WD 7 (Zivilrecht, Straf- und Verfahrensrecht, Bau und Stadtentwicklung) unterteilen. Außerdem gibt es den Fachbereich Europa.

Die Tätigkeit ähnelt der juristischen Arbeit, die man aus Studium und Referendariat kennt. "Deshalb eignen sich die Wissenschaftlichen Dienste gut als Einstiegsstation", sagt Raue. Auch er hat im Jahre 2003 nach Staatsexamina und Promotion als Referent bei WD 3 angefangen – dem Fachbereich, den er jetzt leitet. Nach diversen weiteren Stationen inner- und außerhalb der Bundestagsverwaltung, etwa als wissenschaftlicher Mitarbeiter beim Bundesverfassungsgericht, kehrte er im vergangenen Jahr in leitender Funktion zurück.

Johannes Hobrecht hat seine Karriere als Anwalt in einer Großkanzlei begonnen, wo er drei Jahre lang tätig war, sich dann aber für die familienfreundlichere Arbeit bei den Wissenschaftlichen Diensten entschieden hat. "Ich bin im Fachbereich WD 7, der sehr breit aufgestellt ist. Aus dem Zivilrecht gehören dazu beispielsweise das Bürgerliche Recht, das Handels- und Gesellschaftsrecht sowie das Urheber- und Wettbewerbsrecht", erklärt Hobrecht.

Auch Dimitri Kessler arbeitete zunächst als Rechtsanwalt, bevor er in den öffentlichen Dienst wechselte – und bis Ende April bei WD 2 tätig war. Mittlerweile gehört er der Abteilung Internationale Austauschprogramme (WI 4) an. Diese Flexibilität schätzt er: "So kann ich viele verschiedene Bereiche innerhalb der Bundestagsverwaltung kennenlernen", so Kessler.     

"Ausarbeitung muss nicht zwingend zu klarem Ergebnis kommen"

Bei den Abgeordneten stößt das Informationsangebot auf reges Interesse: So gab es im vergangenen Jahr insgesamt 1.752 Anfragen, weiß Raue. Dabei müssen sich die Abgeordneten nicht selbst an den zuständigen Fachbereich wenden, sondern nutzen dafür die sogenannte Hotline W. Die dortigen Mitarbeitenden filtern Aufträge heraus, die etwa in der Vergangenheit schon bearbeitet wurden, und verteilen die übrigen an die verschiedenen Fachbereiche. Im Jahr 2021 waren das 1.275 Aufträge.

"Die eigentlichen Aufträge beginnen meist mit einer schriftlichen Anfrage des jeweiligen Abgeordnetenbüros", erklärt Hobrecht. Dann werden die Details abgeklärt, etwa, bis wann die Ausarbeitung vorliegen muss, und die Fragen im Team diskutiert. Danach geht es an die Beantwortung der jeweiligen Frage. Wäre eine entsprechende Regelung verfassungsgemäß? Welche Regelungen treffen andere europäische Staaten?

Gefragt ist eine klassische Begutachtung, allerdings muss die Ausarbeitung nicht zwingend zu einem klaren Ergebnis kommen: Es geht darum, verschiedene Seiten darzustellen und Argumente offenzulegen.

Wenn die Auftragslage überschaubar ist, verfassen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der Wissenschaftlichen Dienste auf eigene Initiative Ausarbeitungen zu Themen, die in Zukunft relevant werden können, sogenannte "Infobriefe" oder "Aktuelle Begriffe".

"Manchmal erinnert mich mein Job an die Klausuren im Staatsexamen"

Dabei behandeln sie ganz unterschiedliche Themen, mit denen sie häufig vorher noch keinerlei Berührungspunkte hatten. Für einen Auftrag musste Kessler etwa untersuchen, welche Signale Schiffe senden müssen, wenn sie auf Seestraßen unterwegs sind. "Manchmal erinnert mich mein Job an die Klausuren im Staatsexamen: Man bekommt ein Thema vorgesetzt, von dem man vorher noch nichts gehört hat, und muss dann damit umgehen."

Oft hört man auch die Nachrichten und weiß, dass ein bestimmtes Thema bald auf dem eigenen Schreibtisch landen wird, so Kessler. Als Beispiel nennt er die gezielte Tötung des iranischen Generals Soleimani durch amerikanische Raketen. Hobrecht war jüngst etwa mit den vergaberechtlichen Voraussetzungen des Einkaufs medizinischer Schutzausrüstungen oder den Anforderungen an die Einrichtung sogenannter "Pop-up-Radwege" beschäftigt.  

Im Bundestag sitzen – glücklicherweise – nicht nur Juristinnen und Juristen, deshalb müssen die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter komplexe juristische Probleme allgemeinverständlich darstellen. Und: "Die Abgeordneten haben wenig Zeit, deshalb gilt: Wenn es möglich ist, dann sollte man sich eher kurzfassen", sagt Raue.

Einstieg als "juristischer Allrounder" in der Bundestagsverwaltung

Häufig sind die Anfragen kurzfristig: Wenn das politische Geschehen losgeht, sind die Termine eng getaktet. Eine besondere Herausforderung für die wissenschaftlichen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ist, dass sie oft schon eingeschaltet werden, bevor es überhaupt eine Regelung gibt. "Wir sind dann häufig die ersten, die sich zu einer bestimmten Frage äußern", so Raue. Dann gilt es, das zugrundeliegende Problem zu verstehen und mit juristischem Handwerkszeug, etwa den Auslegungskriterien, zu bearbeiten.

Neben zwei Staatsexamina und den entsprechenden juristischen Fähigkeiten sind "Begeisterungsfähigkeit, Neugier und Genauigkeit sicherlich einige der Eigenschaften, die man mitbringen sollte", findet Hobrecht.

Die Bundestagsverwaltung veranstaltet in regelmäßigen Abständen Bewerbungsrunden für Volljuristinnen und -juristen. Wer sich hier durchsetzt, kann seine Laufbahn dort bestreiten. Man bewirbt sich also nicht direkt bei den Wissenschaftlichen Diensten, sondern bei der Verwaltung – und steigt als "juristischer Allrounder" ein, so Raue.

Bei den zehn Fachbereichen der Wissenschaftlichen Dienste arbeiten insgesamt rund 100 Mitarbeitende, davon ca. 60 Gutachterinnen und Gutachter, die überwiegend Juristinnen und Juristen sind. An Bord sind aber unter anderem auch Expertinnen und Experten aus den Disziplinen Geschichte, Politik und Chemie. Bei WD 3 und 7 sind jeweils sechs Volljuristen und Volljuristinnen tätig, bei WD 2 drei sowie weitere Kolleginnen und Kollegen aus anderen Disziplinen. Unterstützung gibt es von Referendarinnen und Referendaren sowie geprüften Rechtskandidaten und -kandidatinnen, die das Erste Staatsexamen in der Tasche haben und auf einen Referendariatsplatz in Berlin warten.

Weniger Theorie, sondern "echte" Probleme  

Wer sich für eine Laufbahn in der Bundestagsverwaltung entscheidet, steigt in der Regel als Beamter im Höheren Dienst ein und wird in die Besoldungsgruppe A13 eingruppiert. Danach kann man sich dann weiter hocharbeiten – und schließlich wie Frank Raue eine leitende Funktion übernehmen.

Raue und Hobrecht schätzen insbesondere die Vielseitigkeit ihres Jobs – und die Aktualität der Fragen: "Spannend ist vor allem, dass die Fragestellungen oft mit der Lebenswirklichkeit vieler Menschen in direktem Zusammenhang stehen. In der Regel behandeln wir keine theoretischen Fragen, sondern setzen uns mit 'echten' Problemen und Herausforderungen auseinander", sagt Hobrecht.

Das hebt auch Kessler hervor – und ergänzt: "Der Job in der Bundestagsverwaltung ist ein dankbarer Job, wenn man viele verschiedene Tätigkeiten ausprobieren und nah an der Politik und dem aktuellen Tagesgeschehen arbeiten möchte."

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