"Die fünfte Ableitung der sechsten Ausnahme interessiert Menschen nicht"
LTO: Herr Schäfer, Sie sind seit 15 Jahren im Geschäft und haben immer im gemeinnützigen Bereich gearbeitet. Wieso haben Sie sich bewusst dafür entschieden – und damit gegen eine weitere Null beim Gehalt?
Franz-Martin Schäfer: Natürlich könnte man woanders mehr verdienen. Ich habe mich aber schon früh damit beschäftigt, was ich eigentlich machen will – privat und beruflich, vor allem aber auch gesellschaftlich. Da kam der gemeinnützige Bereich schnell ins Spiel. Während meines Studiums in Jena habe ich eine Vorlesungsreihe zum Thema Stiftungsrecht besucht, die mich sehr interessiert hat. Das war mein erster Berührungspunkt mit dem Gemeinnützigkeitsrecht, danach kam ich zum Vereinsrecht und dann ging es immer einen Schritt weiter. Das Besondere an diesen Rechtsgebieten ist für mich, dass man dort viel für die Gesellschaft gestalten und Dinge in eine positive Richtung bewegen kann. Das macht den Unterschied aus.
Seit Anfang 2023 sind Sie Leiter der juristischen Beratung bei der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt (DSEE). Was gestalten Sie dort?
Mit unserer Beratung tragen wir dazu bei, das Ehrenamt in Deutschland zu unterstützen. Immerhin, fast 30 Millionen Menschen engagieren sich in Deutschland. Gemeinnützige Organisationen und Ehrenamtliche aus ganz Deutschland können sich mit ihren konkreten rechtlichen Fragen an uns wenden. Sie erhalten dann kostenfrei eine fundierte juristische Antwort.
"Erste Bundesstiftung zur Förderung von Engagement und Ehrenamt"
Was macht die DSEE genau?
Die DSEE ist die erste Bundesstiftung zur Stärkung und Förderung von Engagement und Ehrenamt. Die Errichtung der DSEE haben die Bundesregierung und der Deutsche Bundestag beschlossen, im Juli 2020 hat sie dann ihre Arbeit aufgenommen. Die DSEE ist die zentrale Anlaufstelle auf Bundesebene für alle ehrenamtlich und bürgerschaftlich Engagierten in Deutschland. Mein Team und ich sind ein Teil davon und für die juristische Beratung verantwortlich. Die Stiftung ist operativ und fördernd tätig. Ihr operativer Haushalt umfasst jährlich 30 Millionen Euro zur Unterstützung des Engagements. Wir bieten u.a. Fortbildungen, Tagungen und Förderprogramme an.
Wie viele Personen arbeiten in Ihrem Team?
Insgesamt sind wir 90 Personen in der Stiftung. Im Team juristische Beratung sind wir zu viert. Zwei Volljuristen – einer davon bin ich –, eine Koordinationskraft, die die Anfragen sortiert und an die zuständigen Personen weiterleitet, und einen Versicherungsberater. Seine Aufgabe ist es, gemeinnützigen Organisationen eine Orientierung zu geben, ihre spezifischen Risiken zu verstehen und geeignete Absicherungen zu finden. Von der Organisation eines Sommerfests bis zur Durchführung eines Sozialprojekts – jedes Projekt bringt spezifische Risiken mit sich. Vereine werden anhand von realen Schadensfällen aus der Praxis für mögliche Risiken sensibilisiert. So wird deutlich, wie schnell ein unachtsamer Moment oder ein kleines Missgeschick zu erheblichen finanziellen Belastungen führen kann – sei es durch Personenschäden, Sachschäden oder Vermögensschäden.
"Einige Vereine haben ihre Satzung zuletzt vor 20 Jahren geändert"
Mit welchen Fragen wenden sich die Ehrenamtlichen an Sie?
Einen großen Teil macht das Vereinsrecht aus. Da geht es etwa um die ordnungsgemäße Einberufung einer Mitgliederversammlung, um die Modalitäten der Vorstandswahl oder um Satzungsänderungen. Einige Vereine bestehen schon seit 40 oder 50 Jahren und haben ihre Satzung das letzte Mal vor 20 Jahren geändert. Hier schauen wir, welche Änderungen rechtlich erforderlich sind und wie man die Satzung noch optimieren kann.
Wir bekommen auch viele Fragen zum Thema Spendenrecht. Wie fülle ich eine Zuwendungsbestätigung aus? Was ist mit Sachspenden? Und inwiefern kann ich ehrenamtliche Mitarbeitende vergüten? Da gibt es ja die Ehrenamtspauschale und die Übungsleiterpauschale. Häufig landet man auch im Sozialrecht, wenn es etwa um die Kombination eines Ehrenamts mit einem Minijob geht. Und es tauchen immer wieder neue Fragen auf, zum Beispiel ob gemeinnützige Vereine von der Energiepreispauschale profitieren können.
Beantworten Sie diese Fragen alle mit Ihrem Team?
Wir werden am Ende des Jahres voraussichtlich mehr als 1.000 Anfragen im Kalenderjahr fertig bearbeitet haben – und die meisten davon erledigen wir tatsächlich selbst. Wir verfügen zudem über ein Netzwerk aus fünf externen Honorarkräften, das heißt drei Rechtsanwältinnen und Rechtsanwälte sowie einen Steuerberater und einen Vereinsberater. Komplexere Fälle geben wir – natürlich mit dem Einverständnis der betroffenen Person – an sie weiter. Allein aus Zeitgründen können wir diese Fälle nicht alle selbst erledigen.
Außerdem arbeiten wir noch mit zwei Organisationen zusammen, einmal mit der NPO Law Clinic aus Hamburg, in der Studierende mit der Unterstützung von Berufsträger:innen Fälle aus dem Steuerrecht und Zivilrecht bearbeiten, und mit der UPJ Pro Bono Rechtsberatung für Non-Profit-Organisationen aus Berlin. Diese vermittelt Anfragen von gemeinnützigen Organisationen als Pro-Bono-Mandat an engagierte Kanzleien, die diese dann bearbeiten.
"Mir begegnet zu oft gefährliches Halbwissen"
Beraten Sie selbst auch mit?
Ja, das ist mir auch sehr wichtig, denn das macht mir viel Spaß. So bekomme ich einen Überblick über die aktuell relevanten Themen. Ich will auch gegenüber den Ministerien auskunftsfähig sein und dafür ist das Basisgeschäft, also die juristische Beratung im Einzelfall, wesentlich. Denn diese Erkenntnisse fließen auch in Gesetzgebungsvorhaben ein, z.B. wenn es um die Entbürokratisierung geht.
Ich bin gleichzeitig dafür verantwortlich, dass die Prozesse gut laufen. Bei der Vielzahl der Fälle, die wir selbst bearbeiten, müssen wir effizient sein. Viel wichtiger als die Quantität ist uns die Qualität der Beratung. Wir wollen einen Mehrwert für die Ehrenamtlichen bieten und dafür sorgen, dass sie die Lösung ihrer rechtlichen Fragen auch wirklich verstehen und selbst anwenden. Mir begegnet viel zu oft gefährliches Halbwissen.
Was muss man mitbringen, um den Fragestellern fundiertes Wissen zu vermitteln?
Auf jeden Fall sollte man sich für die Anliegen anderer Menschen interessieren und empathisch sein. Und man sollte eine "Übersetzungsfähigkeit" mitbringen, von Fachsprache in Umgangssprache und umgekehrt. Wir sind jeden Tag sozusagen als Dolmetscher unterwegs. Die Menschen, die bei uns anfragen, interessieren sich selten für die fünfte Ableitung der sechsten Ausnahme. Sie haben praktische Fragen und möchten in ihrer Vereinsarbeit keine rechtlichen Fehler machen. Man sollte eine gewisse Portion Pragmatismus mitbringen und kein reiner Dogmatiker sein. Die Rechtsuchenden können mit Ausführungen zu Meinungsstreitigkeiten, wie man sie in Klausuren schreiben würde, nichts anfangen. Das kann auch zu Frust führen, wenn man sich an eine Stelle wendet und dann am Ende eine Antwort bekommt, die man nicht nachvollziehen kann.
"Mich beeindruckt es, wie Menschen sich mit ihrer knappen Zeit für andere einsetzen"
Was macht Ihnen an Ihrem Job am meisten Spaß?
Mich beeindruckt immer wieder, wie Menschen sich mit dem Wertvollsten, was sie haben, nämlich ihrer Zeit, für andere einsetzen. Die Zeit ist gleichzeitig das knappste Gut: Job, Überstunden, Familie, Kinder, vielleicht noch die Pflege von Angehörigen, Sport – und dann kommt noch das Ehrenamt. Häufig beginnen Projekte als Nachbarschaftsinitiative: Menschen, die ein Problem sehen und angehen wollen, setzen sich zusammen und entwickeln Ideen. Dann werden die Ideen konkreter und die Menschen lassen sich von uns zur Gründung eines Vereins beraten. Zu sehen, wie der Verein wächst und in richtige Strukturen kommt, empfinde ich als Privileg unserer Tätigkeit. Es gibt so viele gute Ideen, vom Müllsammeln zweimal im Jahr bis hin zu größeren Projekten. Das zu begleiten, ist eine wunderbare Aufgabe.
Gibt es auch etwas, das Sie nicht mögen?
Ja: Die schleppende Umsetzung von Gesetzgebungsvorhaben durch die Politik. Das Thema ehrenamtliches Engagement taucht immer wieder auf der politischen Agenda auf, aber es ist wichtig, dass dies dann auch zu konkreten Verbesserungen führt. Zum Beispiel gibt es viele bürokratische Hürden für Ehrenamtliche: Wenn sie die Zeit, in der sie Anträge ausfüllen und Genehmigungen einholen müssen, stattdessen wirklich in ihr Ehrenamt stecken könnten, wäre mehr Menschen geholfen.
"Mir ist es wichtig, mich auch selbst zu engagieren"
Engagieren Sie sich selbst ehrenamtlich?
Ich habe mich 16 Jahre lang in der "Initiative Christen für Europa" mit Sitz in Dresden engagiert. Der Verein ermöglicht jedes Jahr rund 100 jungen Menschen, ein soziales Jahr im Ausland zu machen. Im Gegenzug können 100 Menschen aus dem Ausland ein soziales Jahr in Deutschland absolvieren. zum Beispiel in einer Werkstatt für behinderte Menschen, einem Altenheim oder einem Kindergarten.
Ich selbst habe das vor mittlerweile 26 Jahren in einer internationalen Jugendbegegnungsstätte gemacht – und dann lange ehrenamtlich in dem Verein mitgearbeitet. Zuerst war ich einfaches Mitglied, dann Kassenprüfer, dann im Vorstand, zuletzt im Vereinsrat. Ich finde es wichtig, dass ich nicht nur viel mit Ehrenamtlichen spreche, sondern mich selbst auch engagiere. Das gibt mir ein besseres Gefühl für die Anliegen der Ehrenamtlichen, die sich an uns wenden.
Was möchten Sie denjenigen mit auf den Weg geben, die sich engagieren möchten, aber noch zögern?
Ich würde empfehlen, vorher zu überlegen, wie man mit seinem Engagement einen Unterschied machen kann. Welche Dinge interessieren mich ohnehin, mit denen ich mich für andere Menschen einsetzen kann? Ich rate davon ab, ein Ehrenamt zu übernehmen, weil man sich dazu verpflichtet fühlt. Man sollte vielmehr einen inneren Antrieb haben, für das Thema brennen, und auch Freude am Ehrenamt haben.
Vielen Dank für das Gespräch!
Franz-Martin Schäfer ist seit Januar 2023 Leiter der juristischen Beratung bei der Deutschen Stiftung für Engagement und Ehrenamt. Zuvor war er sieben Jahre lang Justiziar bei der Ehrenamtsstiftung Mecklenburg-Vorpommern.
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2024 M11 26
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