Interkulturelle Kompetenz im Beruf

Anders­ar­tig­keit ver­stehen

Gastbeitrag von Sabine OlschnerLesedauer: 5 Minuten

Interkulturelle Kompetenz ist auch für Juristen eine wichtige Fähigkeit. Wo ist solch ein Fingerspitzengefühl besonders gefragt?

"Ich erinnere mich an die Beratung eines chinesischen Mandanten: Er war Gesellschafter einer deutschen Gesellschaft, die liquidiert werden sollte. Es gab immer wieder Verwerfungen mit dem Liquidator. Dem chinesischen Mandanten war es extrem wichtig, dass er sein Gesicht nicht verliert. Diese Besonderheit mussten wir also bei jedem Schritt unserer Beratung berücksichtigen", berichtet Anna Geissler. Sie ist Associate im Bereich Restructuring and Special Situations bei der global aufgestellten Kanzlei Ashurst in München. Die Juristin hat mehr als zehn Jahre ihres Lebens im Ausland gelebt – in den USA, der Türkei, in Japan und der Schweiz. "Dadurch bin ich mit unterschiedlichsten Kulturen in Berührung gekommen und musste mich mit den verschiedenen kulturellen Gepflogenheiten auseinander setzen. Das ist ein großer Vorteil für mein jetziges Berufsleben", erklärt die 29-Jährige, die seit drei Jahren Anwältin ist und bei ihrer Arbeit oft in Situationen kommt, in denen sie ihre gelernte interkulturelle Kompetenz abruft.

Interkulturelle Kompetenz – eine Fähigkeit, die mittlerweile häufig in Stellenanzeigen gefordert wird. Doch was ist das überhaupt? "Interkulturelle Kompetenz ist die Fähigkeit, in interkulturellen Situationen effektiv und angemessen zu agieren; sie wird durch bestimmte Einstellungen, emotionale Aspekte, (inter-)kulturelles Wissen, spezielle Fähigkeiten und Fertigkeiten sowie allgemeine Reflexionskompetenz befördert", schreibt zum Beispiel die Bertelsmann Stiftung, die interkulturelle Kompetenz als Schlüsselkompetenz des 21. Jahrhunderts wertet. Um dieses Ziel zu erreichen, so die Stiftung weiter, seien verschiedene Fähigkeiten hilfreich bzw. zum Teil sogar unabdingbar: Sprachkenntnisse, Wissen über kulturelle Eigenschaften bestimmter Länder, Empathie, Offenheit für Neues, Kommunikationsfähigkeit, die Bereitschaft, neue Wege zu gehen, Toleranz, Veränderungsbereitschaft, ein zielführender Umgang mit Stress und unklaren Situationen, kooperatives Arbeiten oder aktives Zuhören.

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Gemeinsamkeiten und Unterschiede erkennen

Juristen haben häufig mit Menschen aus anderen Kulturkreisen zu tun: seien es Mandanten aus Osteuropa, Kollegen aus Asien oder Geschäftspartner aus Afrika. Je besser man den anderen versteht – und zwar nicht nur auf der Sprachebene –, umso einfacher ist die Kommunikation beziehungsweise die Zusammenarbeit. Als Beispiel für einen großen Fauxpas wird häufig der Umgang mit Visitenkarten erwähnt: Für Chinesen zum Beispiel ist es ein Zeichen von Respektlosigkeit, wenn die überreichte Karte einfach unkommentiert in die Tasche gesteckt wird. Wer solche und andere interkulturelle Regeln kennt, kommt mit seinem Gegenüber direkt besser zurecht.

Das bedeutet nicht, dass Juristen nun für jede Kultur, mit der sie es im Berufsleben zu tun haben, die Besonderheiten auswendig lernen müssen. Nimet Güller-Kaya, Juristin und Führungskräftetrainerin für Kommunikationsthemen, rät vielmehr zu einer umfassenderen Perspektive: "Es reicht schon zu wissen, dass es bei Menschen aus unterschiedlichen Kulturen Gemeinsamkeiten und Unterschiede gibt, und diese Andersartigkeit zu verstehen, um seine berufliche Handlungskompetenz zu erweitern", ist ihre Empfehlung. So sollten sich auch Juristen bewusst sein, dass es in anderen Kulturen zum Beispiel andere Machtdistanzen gibt: Zollt man dem höhergestellten Gegenüber eher Respekt oder gar Gehorsam oder kann man auf Augenhöhe miteinander reden?

Sie nennt ein Beispiel aus ihrer Praxis: "Ein Angeklagter aus dem Nahen Osten schaute dem Richter beim Sprechen nicht in die Augen. Der Richter glaubte, das sei als Zeichen seiner Schuld zu werten. Für den Angeklagten jedoch zollte es von Respekt, den höhergestellten Richter nicht direkt anzuschauen." Ein anderes Beispiel: Wenn ein Italiener sein Gegenüber beim Reden unterbricht, bedeutet das aus seiner Sicht nicht Unhöflichkeit. "Italiener haben im Gegensatz zu den Deutschen parallele Kommunikationssequenzen", erklärt Nimet Güller-Kaya. Wer so etwas weiß, werde von der Andersartigkeit seines Gesprächspartners nicht gestresst und könne seinen Methodenkoffer für soziale Kompetenzen vergrößern, so die Trainerin.

Kulturunterschiede zwischen Berufsgruppen

Geht es um die Frage der interkulturellen Kompetenz, braucht man gar nicht erst in andere Länder zu schauen. "Auch in Deutschland gibt es immer mehr Menschen und damit Kollegen oder Mandanten mit Migrationshintergrund", gibt Nimet Güller-Kaya zu bedenken. Auch diese reagieren vielleicht anders als man selbst – auch wenn sie im selben Land aufgewachsen sind. Dr. Christoph Nolden, Partner der Wirtschaftskanzlei SZA Schilling, Zutt & Anschütz, sieht Kulturunterschiede sogar schon zwischen Angehörigen verschiedener Berufsgruppen: "Ein Banker zum Beispiel denkt ganz anders als ein Jurist", so seine Beobachtung. "Dieser Unterschiede muss man sich bewusst sein." Das Beste sei, so sein Tipp, zu hinterfragen, warum sein Gegenüber anders denkt als man selbst.

Um das leisten zu können, reiche es nicht aus, so Nolden, ein Jahr im Ausland studiert oder mal ein Secondment absolviert zu haben. "Diese Offenheit für das Anderssein ist vielmehr eine Geisteshaltung – und letztlich Erfahrung im Umgang mit anderen." Trotzdem kann es immer wieder zu Stolperfallen kommen. Ein Beispiel aus den Kanzleiräumen der SZA: "Wir stellen in unseren Büros regelmäßig neue Bilder von unterschiedlichen Künstlern aus", berichtet Nolden. "Einmal hing in einem Konferenzraum eine Serie von Friedhöfen. Ein Kollege mit Asienerfahrung wies uns darauf hin, dass dies ein Affront für die koreanischen Geschäftspartner sei, die wir in Kürze erwarteten. Glücklicherweise konnten wir die Besprechung kurzfristig in einen anderen Raum verlegen."

Verschiedene Arten der Kommunikation

Was in Kanzleien gilt, kann genauso auf Gerichte übertragen werden: Auch hier treffen immer wieder Menschen unterschiedlicher Kulturen aufeinander. Um die interkulturelle Kompetenz in der Justiz weiter auszubauen, wurde im April 2018 in Essen das ZIK, das Zentrum für interkulturelle Kompetenz, eröffnet. Das vom Ministerium der Justiz NRW eingerichtete Fortbildungszentrum will alle Justizmitarbeiter bei der Bewältigung der alltäglichen Herausforderungen unterstützen.

Dazu gehören vor allem Mitarbeiter aus dem Vollzugsbereich, aber auch Richter oder Rechtspfleger. "Es geht zum Beispiel darum, sich die verschiedenen Arten der Kommunikation anzuschauen", erklärt Tim Behrend, Leiter des ZIK. Wie soll zum Beispiel eine Richterin damit umgehen, wenn sie von einem muslimischen Angeklagten nicht in ihrer Rolle akzeptiert wird? "Die Teilnehmer der Fortbildungen sollen vor allem erkennen, dass sie viel häufiger interkulturell kommunizieren, als sie glauben", so Behrend.

Anna Geissler von Ashurst ist überzeugt: "Bei der Vorbereitung auf einen Termin ist es immer gut zu wissen, woher die Person, die einem gegenüber sitzt, kommt, und sich entsprechend auf die Unterschiede der Kulturen einzulassen. Unabhängig von der rechtlichen Beratung habe ich durch meine Zeit im Ausland gelernt, dass der einfache Grundsatz, jeden so zu behandeln, wie man selbst gerne behandelt werden möchte, einen immer voranbringt und kulturelle Verschiedenheiten überbrücken kann."

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