KI in Großkanzlei und Kartellrecht

"Eine KI wird vieles nicht leisten können"

Interview von Dr. Franziska KringLesedauer: 6 Minuten

Über den Einsatz von ChatGPT & Co. in Kanzleien wird derzeit viel diskutiert. Kartellrechtler Pascal Pitz-Klauser erzählt, wie Großkanzleien KI verwenden – und wie KI die Arbeit in Zukunft verändern könnte.

LTO: Herr Pitz-Klauser, Sie sind Kartellrechtler – wieso beschäftigen Sie sich mit Künstlicher Intelligenz (KI)?

Pascal Pitz-Klauser: Das hat weniger mit dem Kartellrecht zu tun als damit, dass ich in einer großen Wirtschaftskanzlei arbeite. Bei Gleiss Lutz beraten wir Unternehmen zu allen Fragen des Wirtschaftslebens vom Kartellrecht und Gesellschaftsrecht über Fragen des gewerblichen Rechtsschutzes bis hin zum Arbeitsrecht, um nur einige Fachbereiche zu nennen. Derzeit wird mein Beruf in der medialen Diskussion gerne als Beispiel dafür herangezogen, wie KI den Berufsalltag verändern und Tätigkeiten insbesondere jüngerer Anwälte in Zukunft ersetzen könnte. Da empfiehlt es sich, das Thema aus der Perspektive eines solchen Anwaltes einmal zu beleuchten und zu fragen, wie er seinen Berufsalltag tatsächlich erlebt.

Inwiefern spielt KI für Ihre tägliche Arbeit denn schon jetzt eine Rolle?

Wenn wir Dokumente analysieren und große Datenmengen bearbeiten, nutzen wir KI-basierte Programme. Für unseren Datenraum mit mehreren Tausend Dokumenten haben wir also digitale Unterstützung.

Und wir verwenden – das machen mittlerweile wohl fast alle – DeepL. Viele wissen gar nicht, dass das ein KI-Programm ist. Wenn wir einen behördlichen Schriftsatz mit über 200 Seiten erhalten und der Mandant nur Englisch spricht, ist es sehr hilfreich, den Schriftsatz in wenigen Minuten übersetzen zu können. Die Nachricht versehen wir aber mit dem Hinweis, dass es sich nur um eine maschinelle Übersetzung handelt. Gerade wir Juristen bestehen ja – zu Recht – auf eine präzise Wortwahl und Ausdrucksweise. Deshalb muss die Übersetzung in der Regel sorgfältig geprüft werden.

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"KI könnte einfach gelagerte Fragen beantworten"

Vermehrt wird darüber diskutiert, inwiefern KI die Anwaltschaft "abschaffen" oder "ersetzen" könnte. Was sagen Sie dazu?

Ich mache mir keine allzu großen Sorgen um meine berufliche Daseinsberechtigung. Denn ich denke, man muss das Thema etwas differenzierter sehen: Wenn eine KI so einfach den juristischen Beruf ersetzen könnte, würden Juristen sich nicht durchschnittlich acht oder neun Jahre ausbilden lassen, bis sie fertig sind – ohne LL.M. oder Doktorarbeit.

Die kernjuristische Tätigkeit, also das Durchdringen der Rechtsordnung und die Subsumtion, kann nicht sinnvoll durch eine KI ersetzt werden. Um Gesetzesbegriffe auszulegen, planwidrige Regelungslücken zu erkennen und durch Analogieschlüsse zu schließen oder eine Norm teleologisch zu reduzieren, muss man rechtspolitische Erwägungen anstellen, man braucht eine rechtsethische Gesinnung, ein Rechts- und Gerechtigkeitsempfinden – und das ist dem Menschen vorbehalten. 

Der Vermögensbegriff im Strafrecht beispielsweise ist seit 1872 hochumstritten, wie soll eine KI jetzt den Streit lösen? Das ist natürlich das Paradebeispiel eines rechtlichen Meinungsstreites. Und nur Anwälte und Richter, also Menschen, können solche Streite führen und im Einzelfall entscheiden. Aber auch generell arbeiten wir in der alltäglichen Praxis viel juristischer als Außenstehende vielleicht denken. Auch viele, nicht unmittelbar kernjuristische Tätigkeiten, erfordern menschliches Urteilsvermögen oder gerade den anwaltlichen Blickwinkel: Zum Beispiel die Zusammenfassung eines Schriftsatzes oder Urteils, bei der von Anwälten selbstverständlich nicht bloß eine einfache Inhaltswiedergabe, sondern immer zugleich eine wertende Betrachtung gefordert ist.

Wie ist das im Kartellrecht?

Im Kartellrecht möchten Unternehmen von uns häufig wissen, ob Projekte, die sie planen, kartellrechtliche Risiken bergen. Gerade weil aus dem Gesetz nicht immer eine eindeutige Lösung folgt, brauchen unsere Mandanten solche Risikoprognosen. Wenn ein Unternehmen uns zum Beispiel fragt, wie eine neue Vertriebsstrategie kartellrechtlich zu bewerten ist, können sich insoweit gleich mehrere Fragen stellen: Wie wahrscheinlich ist es, dass das Bundeskartellamt das Unternehmen als marktbeherrschend ansehen und die neue Vertriebsstrategie als einen Missbrauch dieser Marktmacht beurteilen würde? Wie wahrscheinlich würde es trotz verbleibender Unsicherheiten dagegen vorgehen und wie wären die Erfolgsaussichten des Unternehmens im einstweiligen Rechtsschutz bzw. in der Hauptsache? Die Beantwortung dieser Fragen erfordert Menschenkenntnis, Erfahrungswissen, ggf. eine Abstimmung mit dem Bundeskartellamt und ein gewisses Fingerspitzengefühl. Das wird eine KI nicht leisten können. Und das gilt wohl generell für jede Art der strategischen Beratung.

Welche kartellrechtlichen Fragen könnte eine KI denn beantworten?

Einfach gelagerte Fälle, zu denen es eine gesicherte Rechtspraxis gibt, könnte eine KI durchaus bearbeiten. Wenn der Sachverhalt feststeht, sich zwei Unternehmen zusammenschließen wollen und es eine behördliche Praxis zur Marktabgrenzung gibt, die vielleicht sogar gerichtlich abgesichert ist, und die Unternehmen nur geringe Marktanteile haben, kann ich mir das gut vorstellen. Bei so einfachen Fällen könnte die KI eine fusionskontrollrechtliche Anmeldung beim Bundeskartellamt im ersten Schritt entwerfen.

Allerdings beschäftigen wir uns sehr häufig gerade auch mit Fragen, die in der Praxis der Gerichte und Behörden noch nicht gelöst sind. Bei der Übernahme der Plattform Kustomer durch Meta haben wir etwa mit dem Bundeskartellamt vor dem OLG Düsseldorf darüber gestritten, wann ein Unternehmen eine sogenannte erhebliche Inlandstätigkeit hat und ob daher im konkreten Fall eine Anmeldepflicht bestand. Hierzu mussten die Voraussetzungen der Anmeldepflicht durch Auslegung des Gesetzes konkretisiert werden – und damit wäre eine KI im Alltag dann doch überfordert, das ist kernjuristische, anwaltliche Arbeit.

"Ein Großteil der Arbeit ist die Aufbereitung des Sachverhalts"

Und häufig steht der Sachverhalt ja auch gar nicht fest.

Ein Großteil der Arbeit von Anwälten besteht in der Aufbereitung des Sachverhalts. Bei den Klausuren im Studium bekommt man einen kurzen Sachverhalt, in dem es nur um rechtliche Probleme geht. Im Referendariat ist es dann eine leicht überschaubare Akte zwischen fünf und zehn Seiten. In der Praxis muss man sich dahingegen häufig mit einer Fülle von Fakten vertraut machen und den Sachverhalt erst einmal zusammentragen. Und auch der Einsatz einer KI würde das nicht ändern. Solange es nicht die KI ist, sondern Anwälte sind, die sich mit dem Mandanten beraten, mit der Gegenseite verhandeln und gegenüber der Behörde oder vor Gericht argumentieren, müssen sie sämtliche Einzelheiten des Falls kennen.

Hierfür bedarf es mitunter einer engen Abstimmung mit dem Mandanten. Wir müssen ihm sagen, was aus juristischer Sicht relevant ist. Umgekehrt muss der Mandant uns erklären, was für sein Geschäftsmodell wichtig ist. Vieles ergibt sich erst aus der persönlichen Kommunikation; im Kartellrecht beispielsweise, wenn es darum geht, Märkte abzugrenzen. Hier müssen wir die Produkte und Leistungen unserer Mandanten verstehen und das wettbewerbliche Umfeld kennen. Nicht selten kommen wir erst durch mehrmaligen Kontakt mit dem Mandanten zu einer sicheren Lösung, von welchem Markt man ausgeht und welche wettbewerblichen Risiken dort bestehen.

Angenommen, Anwälte greifen auf KI zurück – wer trägt dann eigentlich die Verantwortung?

In den Großkanzleien geht es regelmäßig um Deals im zwei- oder sogar dreistelligen Millionenbereich. Eine KI kann möglicherweise beantworten, ob ein solcher Deal beim Bundeskartellamt angemeldet werden muss, aber die Frage ist: Wie sehr können und wollen wir uns darauf verlassen? Wenn es um viel geht, genügt es nicht, dass der Anwalt am Ende nur einen kurzen Plausibilitätscheck macht. Das Risiko wäre viel zu groß. Wenn ich eine Anmeldepflicht zu Unrecht verneine und daher keine Freigabe erhalte, ist die komplette Transaktion unwirksam und es droht eine Geldbuße und ggf. die Entflechtung. Deshalb wird es sorgfältiger Prüfung bedürfen, in welchen Fällen man sich auf das Ergebnis einer KI verlassen möchte.

"Bewerber sind interessiert an KI – oder besorgt"

Bei Gleiss Lutz betreuen Sie auch Praktikanten, wissenschaftliche Mitarbeiter und Referendare und führen Bewerbungsgespräche. Inwiefern spielt KI eine Rolle in Bewerbungsgesprächen?

Aus meiner Sicht gibt es zwei Arten von Bewerbern. Die einen sind sehr interessiert und fragen, inwiefern wir KI einsetzen und was wir da so machen. Daneben gibt es Bewerber, die fragen sich, ob der Anwaltsberuf in der Großkanzlei wirklich noch Zukunft hat. Viele denken, dass in Großkanzleien alles automatisiert und standardisiert abläuft – das ist aber nicht so. Insbesondere stimmt es nicht, dass man Associates ersetzen könnte und nur noch erfahrenere Anwälte braucht. Die jüngeren Anwälte müssen schließlich ausgebildet werden und das ganze Konzept einer Großkanzlei basiert doch auf der Zusammenarbeit zwischen Associate und Partner. Als Bewerber sollte man sich also von einer gewissen medialen Überspitzung des Themas nicht zu sehr verunsichern lassen.

Was halten Sie persönlich eigentlich von KI?

Ich finde KI hochfaszinierend und bin sehr gespannt auf die Entwicklungen in der Zukunft. Wenn man sieht, wie gut ChatGPT funktioniert und was das Programm schon weiß, ist das sehr beeindruckend. Gespannt bin ich aber in gleicher Weise darauf, wie KI gesamtgesellschaftlich angenommen und wie der Gesetzgeber den Bereich regulieren wird.  

In den nächsten fünf bis zehn Jahren wird sich rund um das Thema KI sehr viel tun. Auch viele andere Großkanzleien scheinen der Entwicklung aber offen gegenüberzustehen und KI als Chance zu begreifen. Sie erleichtert Tätigkeiten, bei denen man automatisieren und digitalisieren kann, und gibt Anwälten die Möglichkeit, sich auf die juristischeren Arbeiten zu konzentrieren.

Vielen Dank für das Gespräch!
 

Pascal Pitz-Klauser ist seit Januar 2021 Rechtsanwalt im Münchener Büro von Gleiss Lutz. Sein Beratungsschwerpunkt liegt im Kartellrecht.

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