Foto: JOCAO (Joachim Weber)
"Nach der Arbeit geht es meistens an den Herd"
LTO: Herr Dr. Kiefer, Sie sind seit knapp sechs Jahren als Anwalt tätig und waren von Beginn an auf das Lebensmittelrecht spezialisiert. Wie kam das?
Dr. Jonas Kiefer: Tatsächlich habe ich mich schon sehr früh für die Lebensmittelproduktion interessiert – das ist wohl auch die Grundvoraussetzung, um so ein "Nischengebiet" zu besetzen. Schon als Kind haben mich bei der "Sendung mit der Maus" die Beiträge fasziniert, in denen es beispielsweise um die Produktion von Käse oder Vanillepudding ging.
Im Schwerpunktstudium habe ich eine Seminararbeit zu geografischen Herkunftsangaben geschrieben, nach dem ersten Examen habe ich zu einem Thema mit Bezug zum Lebensmittel-, Wettbewerbs- und Markenrecht promoviert. Und nach dem Referendariat habe ich dann ganz gezielt nach einer Kanzlei gesucht, die einen Schwerpunkt im Lebensmittelrecht hat.
Was macht man als Anwalt im Lebensmittelrecht?
Ich berate und vertrete Lebensmittelproduzenten und -händler in allen Bereichen des Lebensmittelrechts. Wenn ein Unternehmen etwa ein neuartiges Getränk mit Fruchtschalen oder Hanfsamen entwickelt, möchte es wissen, ob eine behördliche Zulassung des Lebensmittels oder der Inhaltsstoffe erforderlich ist und sich entsprechend absichern. Was darf man in welchen Konzentrationen verwenden, welche Angaben gehören auf das Etikett, welchen Werbeslogan darf ich nutzen? All das sind typische Fragen, mit denen man sich als Anwalt im Lebensmittelrecht beschäftigt.
"Maximal achtmal im Jahr vor Gericht"
Es gibt aber auch die Fälle, in denen ein Produkt schon in der Welt ist und es dann zu Problemen kommt.
Ja, zum Beispiel bei Problemen im Bereich der Lebensmittelhygiene. Dann beraten wir über die nächsten Schritte, also etwa, ob man das Produkt aus dem Umlauf nehmen muss. Daneben gibt es auch noch wettbewerbsrechtliche Streitigkeiten, etwa bei Abmahnungen durch konkurrierende Unternehmen, wenn beispielsweise ein Produkt als "deutsch" beworben wird, obwohl die Rohstoffe nicht aus Deutschland kommen. Oft versuchen wir erst einmal, eine außergerichtliche Lösung zu finden, gehen aber bei Bedarf natürlich auch vor Gericht.
Wie oft stehen Sie vor Gericht?
Grob geschätzt etwa fünf- bis achtmal im Jahr. Das ist also ganz anders als bei Anwälten im Arbeitsrecht oder Familienrecht. Wir begleiten oft große Verfahren, die viel Zeit in Anspruch nehmen, mit dicken Akten und seitenlangen Schriftsätzen. Für die Unternehmen steht viel auf dem Spiel, dementsprechend wichtig ist ihnen eine rechtssichere Klärung.
"Sondervorschriften für Milch, Schokolade oder Bier"
Aus welchen Branchen kommen Ihre Mandanten?
Sie kommen aus ganz verschiedenen Branchen. Wir vertreten zum Beispiel Getränkehersteller, Molkereiunternehmen, aber auch Süßwarenproduzenten. Wir haben keinen Schwerpunkt in einer bestimmten Produktsparte. Daher ist es wichtig, dass man sich nicht nur auf das Lebensmittelrecht spezialisiert, sondern auch ein breites Know-how in unterschiedlichen Branchen aufbaut. Lebensmittelhersteller sind in vielen Bereichen mit ähnlichen Herausforderungen konfrontiert, im Detail unterscheiden sich diese dann aber deutlich. Zudem gibt es diverse Sondervorschriften zu beachten, etwa für Milch, Schokolade oder Bier. Das setzt Spezialkenntnisse voraus – sowohl rechtlicher als auch branchenspezifischer Natur.
Und das Lebensmittelrecht berührt ja auch ganz unterschiedliche Rechtsbereiche.
Ja, es bewegt sich in allen Bereichen, im öffentlichen Recht, im Zivilrecht, aber auch im Bußgeld- bzw. Strafrecht. Klassischer Regelungsgegenstand ist das Gefahrenabwehrrecht. Das betrifft den hygienischen Umgang mit Produkten und die Herstellung und Vermarktung von Lebensmitteln in einer Weise, dass sie für den Verbraucher nicht gefährlich werden. Ein wesentlicher Bereich ist auch der Schutz von Verbrauchern vor Täuschung, etwa bei der Etikettierung und Werbung – eine wettbewerbsrechtlich geprägte Materie.
Und in all diesen Bereichen sind dann sowohl nationale Vorschriften als auch das EU-Recht zu beachten. Außerdem gibt es produktspezifische und produktübergreifende Vorschriften. Durch eine besondere Übersichtlichkeit zeichnet sich das Lebensmittelrecht also nicht aus.
"Bei Lebensmittelkrisen muss es schnell gehen"
Gibt es einen Fall, der Ihnen besonders in Erinnerung geblieben ist?
Besonders herausfordernd und spannend wird es bei Lebensmittelkrisen, also wenn Produkte nicht so sind, wie sie sein sollen. In diesem Zusammenhang haben wir einmal zum Rückruf eines Lebensmittels beraten, das millionenfach im Umlauf war, nicht nur in Deutschland, sondern auch international. Es stand also in wirtschaftlicher Hinsicht viel auf dem Spiel.
Das Problem: Während der Produktion war versehentlich Wasser in das Produkt geraten. Es war erst einmal unklar, ob das Produkt nur falsch zusammengesetzt war oder ob es darüber hinaus noch eine Kontamination mit anderen Stoffen gab, die gegebenenfalls gesundheitsschädlich sind. In solchen Fällen muss es schnell gehen. Wir arbeiten dann eng mit der Geschäftsführung des Unternehmens zusammen, aber auch mit Lebensmittelchemikern und der Presseabteilung.
Wir haben in diesem Fall mit unseren internationalen Büros einen Notfallplan aufgestellt und alles zentral koordiniert. Das ist eine herausfordernde Zeit, die aber auch sehr spannend und mit viel Verantwortung verbunden ist.
Was muss man für Ihren Job mitbringen?
Man muss auf jeden Fall Spaß daran haben, sich immer wieder in neue Sachverhalte hineinzudenken. Und generell hilft es, wenn man ein Interesse an Lebensmitteln, aber auch an Naturwissenschaften mitbringt. Natürlich muss man keinen Bachelor in Biologie in der Tasche haben. Das habe ich ja auch nicht. Aber Grundlagen sind gut, wenn es etwa um Grenzwertmessung oder Kontaminanten geht. Das lernt man im Laufe der Jahre, aber ein Grundverständnis ist definitiv hilfreich.
"Man braucht ein Gespür dafür, wie und was man kommuniziert"
Wichtig sind sicherlich auch gute Kommunikationsfähigkeiten?
Auf jeden Fall. Im Lebensmittelrecht ist man nicht der klassische Hinterzimmeranwalt, der nur Jura macht und an seinem Schriftsatz tippt. Man ist im ständigen Austausch mit den Unternehmen und Fachabteilungen und muss juristische Sachverhalte allgemeinverständlich erklären. Man muss viel kommunizieren und vermitteln, sowohl mit Wettbewerbern als auch mit Gerichten und Behörden. Da geht es häufig um die Frage, was die Unternehmen tun müssen, um die Verbraucher effektiv zu schützen, gleichzeitig aber die Produktion nicht unwirtschaftlich zu machen und das Produkt für den Verbraucher bezahlbar zu halten. Man muss einfach ein Gespür dafür haben, wie und was man kommuniziert.
Warum sollten sich Berufseinsteiger aus Ihrer Sicht für das Lebensmittelrecht entscheiden?
Ich plädiere immer für nischige Rechtsgebiete. Eine hohe Spezialisierung nimmt natürlich eine gewisse Flexibilität. Dafür baut man sich schnell Fachwissen in dem Spezialgebiet auf. Und man hat auch die Möglichkeit, wissenschaftlich tätig zu sein, Aufsätze zu veröffentlichen oder Vorträge zu halten, weil es eben nicht wie zum Beispiel im Gesellschaftsrecht schon 300 Koryphäen auf dem Gebiet gibt. Man ist dann einer der wenigen Experten in Deutschland. Das finde ich reizvoll.
Zu Beginn Ihrer Karriere waren Sie im Rahmen von Secondments auch mal in Unternehmen tätig, bei Haribo und Bitburger zum Beispiel. Wie war es für Sie, mal die andere Perspektive zu sehen?
Das war eine spannende und wertvolle Erfahrung. Die Kollegen waren sehr nett und auch fachlich war es hilfreich. In der Rechtsberatung endet das Mandat häufig mit einer Beratungs-Mail oder einem Gutachten. In meinen Secondments habe ich dann auch mitbekommen, wie es danach weitergeht, also wie Beratungsergebnisse in den Unternehmen "übersetzt" und angewendet werden. So entwickelt man ein besseres Gespür dafür, worauf es in der Beratung ankommt. Die Einblicke in die Lebensmittelindustrie haben mir natürlich auch sehr geholfen. Man lernt die Branche von Innen kennen und versteht die industriespezifischen Abläufe und Besonderheiten besser.
"Ich koche leidenschaftlich gerne"
In Ihrem Anwaltsjob beschäftigen Sie sich den ganzen Tag mit Lebensmitteln. Kochen Sie trotzdem noch selbst?
Auf jeden Fall, ich koche leidenschaftlich gerne und interessiere mich auch sehr für Wein. Wenn ich vom Schreibtisch aufstehe und mich den ganzen Tag konzentriert mit Lebensmitteln auseinandergesetzt habe, geht es meistens erst einmal an den Herd. Das Kochen beinhaltet natürlich auch den Einkauf. Ich gehöre aber nicht zu denjenigen, die im Supermarkt jedes Lebensmitteletikett studieren und Fehler suchen.
Was kochen Sie am liebsten?
Ein Lieblingsgericht habe ich nicht. Mir macht das Kochen am meisten Spaß, wenn ich etwas Neues probieren kann, sei es verschiedene Küchen der Welt oder andere Lebensmittel. Ich koche zum Beispiel sehr gerne mit Meeresfrüchten und probiere da viel aus. Mittlerweile verbinde ich auch Job und Hobby, weil wir bei CMS in Köln ein Kochevent ins Leben gerufen haben. Hier koche ich regelmäßig mit fünf oder sechs kochbegeisterten Kolleginnen und Kollegen für bis zu 40 andere Kolleginnen und Kollegen. Das ist eine schöne Abwechslung.
Vielen Dank für das Gespräch!
Dr. Jonas Kiefer ist seit Oktober 2019 bei CMS in Köln tätig, seit Januar 2025 ist er Counsel. Er ist auf das Lebensmittel- und Wettbewerbsrecht spezialisiert.
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