Mehr als ein Pflichttermin zum Jahresende
Für viele ist das Mitarbeitergespräch ein lästiger Pflichttermin zwischen Jahresendstress und Weihnachtsurlaub. Dabei ist gerade das abschließende Feedbackgespräch wichtig – nicht nur zur Reflexion des vergangenen Jahres, sondern auch als Motivation für das anstehende Arbeitsjahr.
Auch in Kanzleien gewinnen Feedbackgespräche zunehmend an Bedeutung, berichtet Kanzleiberaterin und Jurist:innencoach Carmen Schön. Die Volljuristin und Psychologin berät seit 18 Jahren Anwält:innen, Kanzleien und Rechtsabteilungen zu Fragen von Kanzlei- und Geschäftsentwicklung sowie Bindung von Mitarbeitenden.
Sie begründet die steigende Relevanz von Feedbackgesprächen mit dem veränderten modernen und nicht mehr autoritären Ton in Kanzleien. Auch bestehen andere Ansprüche an Arbeitsatmosphäre und karrieretechnische Weiterentwicklung. "Heutzutage wünschen sich Arbeitnehmende mehr als ein gutes Gehalt. Wohlfühlen am Arbeitsplatz ist essenziell", so Schön.
"Von Business Services, Sekretariat bis zur Partner:innenebene, Feedback geben und nehmen ist überall bedeutsam", reflektiert Schön ihre Beratungserfahrung. Sie arbeitet mit Rechtsanwält:innen jeglicher Seniorität zusammen. Die hohe Nachfrage nach Etablierung, Durchführung und Verbesserung von funktionierenden Feedbackprozessen versteht sie aber auch als Indiz, dass Kanzleien mit deren Umsetzung häufig noch nicht vertraut sind.
"Selbst zwei Gespräche pro Jahr reichen fast nicht aus"
Ein Zustand, den auch Dr. Matthias Köhler, Partner im Berliner Büro der Wirtschaftskanzlei Baker McKenzie, wahrnimmt. Als eine aus den USA stammende Sozietät sei es jedoch einfacher, eine Feedbackkultur aufzubauen, denn "in den USA ist berufliches Feedback schon seit Jahrzehnten etabliert", berichtet Köhler.
Der Feedbackprozess für Rechtsanwält:innen bei Baker McKenzie besteht aus feststehenden Gesprächen, einer Zielvereinbarung und situativen Rückmeldungen.
Zweimal jährlich gibt es obligatorische Gesprächstermine. Dabei schätzen sich Associates anhand vorgegebener Kategorien selbst ein, geben aber auch Feedback an ihre Vorgesetzen. Wie wichtig Feedback auch für die Partner:innen ist, hat Sabine Olschner in einem Gastbeitrag für LTO aufgeschrieben. Im Anschluss teilen die Partner:innen schriftlich und mündlich ihre Einschätzung mit den Associates. Zusätzlich wird eine Zielvereinbarung aufgesetzt, die bis zum nächsten Gespräch wegweisend ist. Während der Probezeit gibt es bereits nach drei Monaten den ersten verbindlichen Austausch.
"Früher gab es in Kanzleien meist nur zum Jahresende Feedback", erinnert sich Schön. "Das ist zu wenig, selbst zwei Gespräche pro Jahr reichen fast nicht aus."
Situatives Feedback zu einzelnen Projekten
Deswegen ist für Köhler neben dem institutionalisierten Feedbackprozess auch "on-going-Feedback" zwingend. "Wenn ich ein Arbeitsprodukt bekomme, versuche ich innerhalb einer Stunde Rückmeldung zu geben", beschreibt der Arbeitsrechtler situatives, also situationsgebundenes Feedback. "Tägliches Feedback reduziert mögliche negative Feedbackgespräche und hilft auch mir, einen Überblick zu behalten", ergänzt er. Daher überlegt er am Ende eines Arbeitstages immer, ob er schon mit allen seiner derzeit acht Associates gesprochen hat.
Situatives Feedback gibt Associates die Möglichkeit, Anregungen von Vorgesetzten sofort umzusetzen. Das trägt zu einer steilen Lernkurve bei, vor allem bei Berufseinsteiger:innen.
Während sich sofortiges Feedback oft auf Inhalte begrenzt, bietet institutionalisiertes Feedback die Chance, auch die persönliche Entwicklung, den zwischenmenschlichen Umgang und andere Stärken und Schwächen zu analysieren. Situatives Feedback lässt im Laufe einer Karriere nach. Zu seinem Berufseinstieg vor mittlerweile 13 Jahren habe Köhler selbst fachliches Feedback von seinem Mentor erhalten, etwa zum Aufbau eines Mandantenschreibens. Heute sprechen die beiden über die Entwicklung von kanzleieigenen Businessmodellen.
Feedback richtig geben
Feedbackgespräche können sensibel sein. Köhler erinnert sich noch heute an seine erste Beurteilung als Associate: "Ich war gespannt, was mich erwartet, aber mein Mentor hat mit mir in entspannter Atmosphäre beim Lunch geredet." Auch Schön hebt hervor, dass eine angenehme Stimmung wichtig ist. Die Beteiligten sollen sich möglichst wohl fühlen.
Außerdem sollte auf Augenhöhe kommuniziert werden. "Man muss sich klar machen, dass man mit engagierten Mitarbeitenden spricht", erklärt die Beraterin, "niemand darf sich klein fühlen."
Wer Feedback gibt, sollte sich darauf vorbereiten und konkrete Beispiele aufzeigen. Ansonsten fehlen Zusammenhänge und die Mitarbeitenden wissen nicht, wie sie das Feedback umsetzen sollen.
Balance zwischen Lob und Kritik
Es gibt aber auch Richtlinien, die das Feedbackgeben erleichtern.
So ist es sprachlich sinnvoll, die "Ich-Position" (ich finde, …) der "Du-Position" (du hast, …) vorzuziehen. Dadurch liegt der Fokus nicht einseitig auf den Feedbacknehmer:innen und diese fühlen sich nicht angegriffen.
Auch sollte eine Balance zwischen Lob und Kritik entstehen. Es bietet sich an, positiv zu beginnen, anschließend konstruktive Kritik anzubringen, um dann mit einem positiven Aspekt zu enden.
Außerdem können sich Feedbackgeber:innen an den drei "Ws" – Wahrnehmung-Wirkung-Wunsch – orientieren. Beispiel: Ich habe wahrgenommen, dass in deinem letzten Schriftsatz mehrere Rechtschreibfehler waren. Das wirkt auf mich, als hättest du den Schriftsatz nicht korrigiert. Nimm dir beim nächsten Schreiben die Zeit, dieses zu überprüfen. Hierbei wird die Rückmeldung klar strukturiert. Die "Wahrnehmung" beschreibt eine Beobachtung, wertet diese aber nicht. Auch dadurch entsteht eine Balance. Durch die "Wirkung" wird die jeweilige Konsequenz nachvollziehbar. Der "Wunsch" zeigt einen konstruktiven Lösungsweg auf und lässt die Feedbacknehmer:innen nicht ratlos zurück.
Feedback richtig nehmen
Wer Feedback erhält, sollte das Gegenüber ausreden lassen und nicht gegenargumentieren. Eine Rückmeldung muss oft sacken. Schön rät dazu, erstmal eine Nacht drüber zu schlafen, insbesondere bei negativem Feedback.
Aber man darf sich auch trauen, kritische Rück- oder Verständnisfragen zu stellen, damit Feedback fruchten kann. Schließlich heißt es Feedbackgespräch – und nicht Feedbackmonolog.
Wer vermeintlich ungerechtfertigtes Feedback bekommt, kann auch zunächst andere Kolleg:innen um eine Einschätzung bitten, bevor er oder sie in den Diskurs geht. Feedback muss auch nicht immer angenommen werden. Arbeitnehmende sollten sich aber damit auseinandersetzen.
Kein Feedback ist nicht gleich gutes Feedback
Schwieriger wird es hingegen, wenn gar kein Feedback erfolgt. Das hat Johanna Becker* während ihres Referendariats und als wissenschaftliche Mitarbeiterin in verschiedenen Wirtschaftskanzleien erlebt. Die Diplomjuristin steht kurz vor Abschluss des zweiten Staatsexamens. "Die dafür zuständigen Associates haben nicht immer Zeit, sich intensiv mit Feedbackgeben zu beschäftigen", erzählt sie. Das habe dazu geführt, dass sie am Ende einer Ausbildungsstation von positivem Feedback sogar überrascht war.
Becker hat aber auch ein Gegenbeispiel erlebt: "Meine Mentorin in der Wahlstation hat mich nach der Hälfte der Zeit nach einer Selbsteinschätzung gefragt und mir ihrerseits eine detaillierte Einschätzung meiner Stärken und Schwächen gegeben." Dadurch konnte sie Anregungen noch während der restlichen Stationszeit umsetzen. Feedback nur am Ende einer Station oder wissenschaftlichen Mitarbeit reicht nicht aus.
Insbesondere positives Feedback darf nicht vergessen werden, denn "das motiviert, stärkt das Selbstvertrauen und bleibt im Kopf", so Becker. Auch Schön bestätigt das. Das intensive Feedback aus ihrer Wahlstation habe Becker zum ersten Mal geholfen, ihren späteren Berufswunsch wirklich zu konkretisieren.
Nichts mit Esoterik
Feedback ist Teil der Berufswelt, aber oft noch immer eine heikle Angelegenheit. "Manche halten Feedback noch immer für Esoterik", kritisiert Schön. Dabei ist der Stellenwert von Feedback in Kanzleien immens.
Feedback geben und nehmen kann erlernt werden. "Bevor ich Partner wurde, habe ich selbst an Leadership Trainings teilgenommen, in deren Zentrum unter anderem die Themen Feedback und Kommunikation standen", erzählt Köhler. Auch für Associates gibt es bei Baker McKenzie dazu bereits frühzeitig Schulungen.
Feedbackgeben bedeutet auch, Führungsstärke zu beweisen. Denn Evaluierungsgespräche dienen nicht nur einseitig Associates für ihre berufliche oder persönliche Entwicklung, sie tragen auch dazu bei, sie an die Kanzlei zu binden. "Niemand bleibt bei Arbeitgebenden, die das Gefühl vermitteln, gar nicht ausbilden zu wollen", stellt Beraterin Schön fest.
Es sind immer mindestens zwei Seiten beteiligt, daher handelt es sich im besten Fall um eine Win-win-Situation. "Wenn unsere Associates von Beginn an Feedback von uns erhalten, profitieren sie und auch wir, da wir eine gute und vertrauensvolle Beziehung aufbauen”, schließt Köhler.
* Name geändert, der richtige Name ist der Redaktion bekannt.
Tamara Wendrich, LL.M. ist Volljuristin. Ihr zweites Staatsexamen hat sie im August 2024 am Kammergericht Berlin absolviert.
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2024 M12 12
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